Der alte Aschekäfig ist umsäumt von dutzenden Bäumen, auf dem Platz wuchert Gestrüpp. Fußball spielt hier schon lange niemand mehr. Stattdessen soll auf dem alten Sportplatz in Dortmund-Sölde eine Siedlung für bis zu 40 Tiny Houses entstehen. Der Bau soll im Frühjahr 2023 beginnen, teilt die Stadt Dortmund mit.
Tiny Houses sollen eine Antwort darauf geben, wie die Gesellschaft in Zukunft umweltfreundlicher leben kann, und bezahlbaren Wohnraum schaffen. Ob in Bayern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder NRW: Überall in Deutschland wurden in den vergangenen Jahren Tiny House-Siedlungen errichtet. Verlässliche Zahlen, wie viele Tiny Houses es hierzulande gibt oder jährlich gebaut werden, gibt es zwar nicht. Einer Studie des Tiny House-Dienstleisters Livee und des Tiny House Verbands zufolge können sich aber 58.000 der Befragten, die alleine leben und bis 2022 bauen wollen, vorstellen, in Deutschland in einem Tiny House zu leben.
Der Traum von den eigenen vier Wänden – umweltfreundlich und auf gerade mal 20 Quadratmetern? Prof. Wolfgang Sonne von der TU Dortmund steht dem Trend skeptisch gegenüber. Sonne ist Lehrstuhlinhaber für Geschichte und Theorie der Architektur und bezweifelt den ökologischen Nutzen der Häuser: „Als Wohnmodell ist ein Tiny House das Gegenteil von Nachhaltigkeit.“
Der Bau eines Tiny Houses
Ein Tiny House kann vieles sein: eine Jurte, ein ausgebauter Kastenwagen oder ein Baum- oder Containerhaus. Klassische Tiny Houses wie jene, die zum Beispiel in Dortmund-Sölde entstehen sollen, bringen alles Lebensnotwendige auf begrenzten Platz unter. Für gewöhnlich befinden sich Wohnzimmer und Küche in einem Raum. Schränke stapeln sich bis unter die Decke und das Bett steht auf einem Podest aus Schubladen, um den Raum effizient zu nutzen.
Angefertigt werden die kleinen Häuser zum Beispiel in der Schreinerei von Tiny House Dieckmann. Das Unternehmen aus Hamm ist seit 2016 spezialisiert auf den Bau von Tiny Houses. „In letzter Zeit sind mit dem Begriff vor allem Tiny Houses on Wheels gemeint, die man auf einem PKW-Truck bewegen kann“, sagt Vera Lindenbauer, Mitarbeiterin von Tiny House Diekmann. Neben Häusern, die bewegbar sind, gibt es auch kleine Häuser, die auf ein Fundament gebaut werden. Acht dieser Tiny Houses on Wheels stehen momentan in der Fertigungshalle der Schreinerei des Unternehmens. In Weiß, Schwarz oder Naturholz. Die Häuser, die hier stehen, sind noch nicht fertig: Bei einigen steht erst der Unterbau, bei anderen fehlt nur noch der Innenausbau. Kreischende Sägen sind zu hören und Bohrer. Hämmer klopfen schallend auf Holz.
Gewichts fokussiertes Arbeiten
Holz ist der Grundbaustoff, mit dem das Unternehmen arbeitet: Aus dem Naturprodukt wird die Fassade und das Innenleben des Hauses gefertigt. Der natürliche Rohstoff ist im Vergleich zu anderen Materialien besonders leicht und wird deshalb oftmals für den Bau der Tiny Houses benutzt. Das Haus muss so leicht wie möglich sein, damit die Bewohner*innen es mit einem normalen Führerschein der Klasse B auf einem Trailer bewegen können. Die Holzbauweise ist außerdem CO2-neutral, sofern das Holz nicht verwittert und das CO2, das darin gespeichert ist, erhalten bleibt, sagen Expert*innen. Auch bei der Dachkonstruktion wird aufs Gewicht geachtet und Aluminium verwendet. Vera Lindenbauer sagt, das Material sei viel leichter als herkömmliche Dachpfannen und außerdem robust und langlebig. Für den Fußboden verwendet das Unternehmen meist Vinyl, einen Kunststoffbelag, der wie Holz oder Stein aussieht.
Um die Bewohner*innen vor Feuchtigkeit sowie Schimmel zu schützen und Energie zu sparen, müssen die kleinen Häuser außerdem gedämmt werden. Je besser ein Haus gedämmt ist – ob klein oder normalgroß –, desto besser ist dessen Energiebilanz: Da die Wärme bei Kälte drinnen gespeichert wird, verbrauchen die Bewohner*innen im Winter zum Beispiel weniger Energie, um zu heizen, und verringern so den CO2-Ausstoß. An warmen Tagen hingegen bleibt das Haus innen kühl. In der Grundausstattung kostet ein Tiny House 40.000 Euro, der Bau dauert etwa zwölf Monate.
Existenzberechtigung nur im Garten
Ob damit eine nachhaltige Lösung für die allgegenwärtige Wohnungsnot in deutschen Großstädten gefunden ist, bezweifelt Experte Wolfgang Sonne. Für ihn wäre ein Tiny House nur im Garten eines anderen, bereits existierenden Hauses richtig aufgehoben. Dieses sei bereits an die Versorgungsnetze angeschlossen und auch Straßen müssten nicht erst noch erschlossen werden. „Das wäre das ökologische Plus“, sagt Sonne. „Wenn ich hier und da auf ein Grundstück noch ein Tiny House dazustelle, tut das überhaupt nicht weh, das kann sogar ganz gut sein.” Denn wenn mehr Menschen auf dem Grundstück leben könnten, würde die Fläche effektiver genutzt.
Steht ein Tiny House jedoch allein auf einem Grundstück, „schneidet ein Tiny House auf alle Fälle schlechter ab als eine Wohnung“. Zwar könne ein Holzhaus problemlos bis zu 50 Jahre alt werden, die Energiebilanz des Tiny Houses sei aber schlechter als die eines Mehrfamilienhauses. In vielen Fällen sind von den sechs Seiten eines großen Wohnhauses vier Seiten nämlich automatisch gedämmt – also der Boden und die Decke sowie die rechte und linke Seite durch angrenzende Wohnungen oder Häuser.
Dem Experten zufolge sind Tiny Houses auch als Besiedlungsmodell nicht geeignet. Das hat zwei Gründe. Zum einen bieten sie im Vergleich zu Mehrfamilienhäusern wenig Wohnraum gemessen an der Fläche, die sie in Anspruch nehmen. Anders als Mehrfamilienhäuser werden sie ja nicht in die Höhe gebaut. Zum anderen: Da Tiny Houses für den gleichen Wohnraum mehr Fläche benötigen, dehnt sich die Siedlungsfläche in der Folge immer weiter aus. Die Distanzen zum Beispiel zum Arbeitsplatz oder zum nächsten Supermarkt werden immer größer, der Anreiz, zu Fuß zu gehen oder mit dem Rad zu fahren, immer kleiner.
Autarkie in Deutschland? Nein, danke!
Ein Vorteil der Tiny Houses sei es, dass die Bewohner*innen sich abschotten und so individuell entfalten könnten, sagt Sonne. Komplett abgeschottet sind die kleinen Häuser Deutschland jedoch nicht. „Wenn ich ein Wohnhaus auf einem Baugrundstück errichten möchte, unterliege ich dem Anschlusszwang in Deutschland“, erklärt Vera Lindenbauer. „Man muss zwangsweise an die Versorgungsnetze angeschlossen werden, vor allem an Wasser und Abwasser.“ Dieser Anschlusszwang besteht, um unter anderem die Volksgesundheit zu erhalten und die Umwelt zu schützen. Dazu werden Gebäude an laufende Systeme wie die Kanalisation angeschlossen. Neben der Wasserversorgung und dem Fernwärmenetz gehören auch Dienste wie die Straßenreinigung dazu.
Ein Haus, das zu hundert Prozent autark ist, würden die meisten Kund*innen aber ohnehin nicht bauen wollen, sagt Lindenauer – auch ohne Anschlusszwang. „Sie merken schnell, dass das technisch sehr aufwendig ist.“ Wer komplett autark leben möchte, benötigt nämlich unter anderem eine Wasseraufbereitungsanlage, Speichertechnik und eine Solaranlage. „Spätestens beim Thema Abwasser hört dann bei vielen der Anspruch auf hundertprozentige Autarkie auf, weil sie merken, dass dann einiges auf sie zukommt“, erklärt Lindenauer.
Nicht zu bauen, ist am umweltfreundlichsten
Was macht ein Haus denn nun eigentlich ökologisch? Als erstes seine Energiebilanz, erklärt Wolfang Sonne. „Es ist wichtig, dass das Haus so gebaut ist, dass man vor allem fürs Heizen nicht so viel Energie verbraucht und die Energie nicht so viel CO2 freisetzt.“ Wichtig ist als zweites die Schadstoffbilanz der Materialen, die für den Bau verarbeitet werden. „Ein Haus, das von der Konstruktion und vom Material her gut gebaut ist und hält, das braucht man nicht umbauen und auch nicht abreißen und neu bauen“, sagt Sonne. Jeder Bauprozess verbrauche Ressourcen und Energie und setze erneut Schadstoffe wie CO2 frei. Also ist es dem Experten zufolge auch ökologisch, erst gar nicht zu bauen.
Nachhaltiger als Tiny Houses ist für Wolfgang Sonne das Besiedlungsmodell der kompakten Stadt. Darin leben möglichst viele Menschen relativ eng zusammen. Ein Wohnhaus hätte eine Höhe von drei Etagen, da die meisten Menschen diese ohne Probleme bewältigen könnten. Die Versorgungseinrichtungen, die es für das Alltagsleben braucht, sind fußläufig erreichbar – und die Menschen müssten nicht unbedingt mit dem Auto fahren.
Beitragsbild: Magnus Terhorst