Verkehrswende leicht gemacht? Warum das 9-Euro-Ticket keine langfristige Lösung ist

Ab heute gilt deutschlandweit das 9–Euro-Ticket, der Ansturm an den Ticketschaltern ist groß. Der Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) spricht von einer „Riesenchance“. Ist das jetzt endlich die Verkehrswende? Ein Kommentar.

Wer in der letzten Woche in Dortmund ein 9-Euro-Ticket am Verkaufsschalter kaufen wollte, fand sich schnell in der Warteschlange vor der DSW21-Verkaufsstelle an der Kampstraße wieder. Seit letztem Montag ist das Ticket erhältlich, mit dem Reisende für neun Euro deutschlandweit den Personennahverkehr nutzen können – und der Bedarf ist offensichtlich da. Nicht nur in Dortmund war der Ansturm groß, auch die Berliner Zeitung berichtet, dass im Großraum Berlin bereits am ersten Verkaufstag 146.700 Tickets in Umlauf gekommen seien.

Die Krise als Chance?

„Eine Krise ist ein produktiver Zustand, man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“

Max Frisch, Schriftsteller

Krisen hat Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) in seiner kurzen Amtszeit viele erlebt. Historisch hohe Benzinpreise, marode Brücken in ganz Deutschland und gesunkene Fahrgastzahlen während der Pandemie. Zeit, etwas gegen den Frust der Bürger zu tun und Schadensbegrenzung einzuleiten. Das 9-Euro-Ticket soll gleich mehrere Probleme lösen und signalisieren: „Man tut ja schon was“. Und um gegen die Skepsis der innovationsfaulen Deutschen anzukommen, nennt Wissing sein Projekt nun „eine Riesenchance“. Bringt das Ticket jetzt die Verkehrswende oder ist es nur blinder Aktionismus?

ÖPNV in Deutschland ist teuer und ungerecht

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Kürzlich hat die Deutsche Bahn ihre neue ICE-Flotte vorgestellt, die ab Ende 2023 eingesetzt werden soll. Tablet-Halter, Bordrestaurantambiente und persönliche Kleiderhaken an jedem Sitz lassen auf die Zielgruppe schließen. Wer sich die “gemütliche” Wohlfühlatmosphäre leisten will, muss aber mitunter tief in die Tasche greifen, denn eine Zugfahrt in Deutschland ist teuer. Das liegt vor allem daran, dass sich der ÖPNV in Deutschland zu einem hohen Prozentsatz aus den Fahrgasteinnahmen finanziert, die während Corona zudem stark zurückgegangen sind. Dass es in Deutschland billiger ist, ein Auto zu besitzen, als Bus und Bahn zu nutzen, hat eine Studie des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2020 ergeben. Während Autofahrer*innen das Dienstwagenprivileg, die Entfernungspauschale und Energiesteuervergünstigungen für Dieselkraftstoff genießen, bezahlen ÖPNV-Nutzer*innen teure Ticketpreise und die Steuern für das vergünstigte Autofahren obendrauf.

Günstiger – aber für wen?

Autofahren ist aber nur für den Einzelnen günstiger. Bei genauerer Betrachtung sind die externen Kosten für den Staat am höchsten. So machten sie 2004 10 % des Bruttoinlandproduktes aus. Denn Lärmschutzwände müssen den Verkehrslärm auffangen, Klimaschutzmaßnahmen die Abgase ausgleichen, Gesundheitskosten durch Luftverschmutzung und Unfallkosten von der Gesamtbevölkerung getragen werden. Doch benachteiligt werden dabei besonders sozial schwache Personen. Der Grund: Sie nutzen eher den ÖPNV, jedoch ermöglichen ihre Steuern Autofahrer*innen, günstig Auto zu fahren, während der ÖPNV teuer und schlecht ausgebaut bleibt. Gutverdiener wiederum besitzen häufiger Autos und profitieren ohne einen Ausgleich zu zahlen.

Die Lösung liegt auf der Hand: Es müsste eine Umverteilung geben. Subventionierungen für den ÖPNV und nicht mehr für das klimaschädliche Auto. Dass so eine Umverteilung einem Verkehrsminister von der FDP aber schwerfällt, liegt ebenso auf der Hand. Wie erklärt man der Dienstwagen-Wählerschaft, dass 5000 Euro jährlicher Autozuschuss jetzt in Regionalzüge und eine zweite Busverbindung durch Wanne-Eickel eingesetzt wird?

Billig ist nicht ausschlaggebend

Während die halbe Influencerwelt bereits auf dem Weg nach Sylt ist, bleibt die Frage, ob das mit dem Bahnfahren jetzt ein Hype ist oder nach den drei Aktionsmonaten im September wieder out wird. Bahnfahren in Deutschland ist nämlich dann wieder so wie früher: teuer, unpünktlich, dauert lange und ist einfach anstrengend.

Damit in Deutschland mehr Leute die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, müsste an mehreren Stellschrauben gedreht werden. Studien zeigen nämlich, dass die sogenannten Mobilitätsentscheidungen sehr stark auf Gewohnheiten beruhen. Drei Monate sind dabei ein zu kurzer Zeitraum. Die sonstigen Anreize, auf die Bahn umzusteigen, sind zu niedrig und werden vom Staat zudem nicht begünstigt. Am heutigen Mittwoch (1.06.2022) tritt die Sprittpreis-Bremse in Kraft, die es Autofahrer*innen ermöglicht, bis zu 35 Cent günstiger zu tanken und die Kraftstoffpreise so wieder fast auf Vorkrisenniveau zu senken. Das 9-Euro-Ticket hat somit keine Chance ein langfristiges Umdenken zu schaffen, geschweige denn umzusetzen. 2,5 Milliarden Euro vom Staat schaffen keinen Schienenausbau, keine neuen Züge und so auch keine bessere Taktung, Flexibilität, Pünktlichkeit oder Geschwindigkeit. Vor allem kommt es nicht gegen die strukturelle Bevorzugung des Autos an. Das 9-Euro-Ticket sorgt somit nicht für die dringende Verkehrswende.

Wie geht eine echt Verkehrswende?

Eine echte Verkehrswende ist nur möglich, wenn es neue Finanzierungsmodelle gibt. So lange die Verkehrsunternehmen auf sich gestellt sind, bleibt die Verkehrswende aus. Das Umweltbundesamt spricht von einem notwendigen “Maßnahmenmix”, der den ÖPNV langfristig unterstützt und das Autofahren dabei unattraktiver macht. Einer der bekanntesten Nahverkehr-Vorreiter in Europa ist Wien, wo eine Jahreskarte für die “Öffis” 365 Euro kostet-einen Euro pro Tag. Das hat dazu geführt, dass in Wien mehr Leute mit Bahnen und Bussen fahren als ein Auto besitzen. Möglich geworden ist das Wiener Modell durch das jahrelange Engagement des Bundeslandes Wien und Österreich. Dort machen hohe Parkgebühren das Autofahren in der Stadt unattraktiv und viele Arbeitgeber werden als “dritte Finanzierungssäule” mit eingebunden. Neben den Fahrgästen und der Unterstützung vom Staat ermöglichen sie ein nachhaltigeres Finanzierungsmodell als es in Deutschland der Fall ist.

Ist die Verkehrswende noch zu retten?

Auch in Deutschland gibt es erste Modellversuche. So wird aktuell in Baden-Württemberg am sogenannten Mobilitätspass gefeilt, der den öffentlichen Verkehr langfristig verbessern soll. Um die größte Herausforderung des Umbaus – die Finanzierung – zu stemmen, sollen die Kosten auf das Land, die Kommunen und die Bürger gerecht verteilt werden. So sollen die Modellkommunen die Möglichkeit haben, von Innenstadtbewohner*innen und KFZ-Halter*innen eine verpflichtende Abgabe zu verlangen, die dann mit einem ÖPNV-Gutschein wieder entschädigt wird. Auch eine City-Maut, die bei der Einfahrt in die Städte bezahlt werden muss, steht zur Debatte. Solche Testversuche könnten, wenn sie gelingen, auch in anderen Städten übernommen werden.

Tropfen auf der heißen Straße

Wie viel mehr der ÖPNV in den drei Aktionsmonaten genutzt wird, werden erste Zahlen im Herbst zeigen. Das 9-Euro-Ticket ist ein sinnvoller Anreiz, es reißt das Steuer aber nicht herum. Das Problem bleibt strukturell. Deutschland ist ein Autostaat, der Milliarden investieren müsste, um die Infrastruktur herzustellen, die notwendig ist, um eine Verkehrswende einzuleiten und das Klima sowie die Menschen zu schützen. Ob der Verkehrsminister und die Regierung diese Investitionen ebenfalls als “Riesenchance” empfinden, bleibt offen.

Beitragsbild by Fionn Grosse via unsplash 

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