Das Mindestalter im Eiskunstlauf soll von fünfzehn auf 17 Jahre angehoben werden. So hat es die International Skating Union (ISU) am Dienstag (07.06.2022) bei einem Kongress in Phuket entschieden. Grund für die Entscheidung soll laut ISU die “mentale Gesundheit und das emotionale Wohlergehen der Eisläufer” sein. Kommt diese Entscheidung zu spät oder ist die Psyche der jungen Eisläufer*innen noch zu retten? Ein Kommentar.
Bisher mussten die Eisläufer*innen für Wettbewerbe im Eiskunstlauf am 01. Juli des laufenden Jahres fünfzehn Jahre alt sein. Der Weltverband ISU kündigte jetzt eine Anhebung auf 17 Jahre an, allerdings nur schrittweise. Das ist zu spät, denn auch dieses Jahr gab es einen tragischen Fall. Erst in der Olympia Saison 2025/2026 müssen Eisläufer*innen 17 Jahre alt sein. Die nächste Saison dürfen diese noch mit 16 statt mit fünfzehn Jahren antreten. Die Anhebung des Mindestalters soll neben dem Schutz der Psyche von den jungen Teilnehmer*innen, auch einen faireren Kampf gewährleisten. Aber eine ausgeglichene Konkurrenz ist laut Kritiker*innen erst ab dem 18. Lebensjahr möglich. Insgesamt haben 100 Länder abgestimmt, wobei 16 gegen die Erhöhung stimmten und drei sich enthielten.
The ISU Congress voted in favor of gradually increasing the age limit from 15 to 17 years for the sake of protecting the physical and mental health, and emotional well-being of Skaters. pic.twitter.com/O2O6TP4fLP
— ISU Figure Skating (@ISU_Figure) June 7, 2022
Diese Entscheidung kommt aber sehr spät. Eine 15-Jährige beendete unter Tränen ihre Kür. So eine Frustration in so jungem Alter zu erfahren, kann nicht richtig sein.
Der Fall Walijewa
Der Fall der damals 15-jährigen Kamila Walijewa hat dazu beigetragen, dass das Mindestalter angehoben wird. Sie trat dieses Jahr als Einzel-Eiskunstläuferin bei den Olympischen Winterspielen in Peking an. Sie wurde positiv auf einen verbotenen Wirkstoff getestet, der in Herzmedikamenten enthalten ist. Durch den Wirkstoff soll die Leistung des Herzen gesteigert werden, sodass die Sportler*innen keine beziehungsweise weniger Erschöpfung bei hoher Leistung verspüren. Walijewa wurde von der russischen Anti-Doping-Agentur RUSADA gesperrt, einen Tag später aber wieder entsperrt. Der internationale Sportgerichtshof (CAS) entschied daraufhin, dass die 15-Jährige antreten dürfe. Die Beweislage sei unzureichend gewesen, so das Sportgericht. Russland argumentiert, dass der Test auf Grund von Kontamination positiv gewesen sei. Kamila Walijewas Großvater nehme die Herzmittel ein und sie hätte aus Versehen aus demselben Glas getrunken.
Dieses Ganze hin und her kann für eine Fünfzehnjährige nur grausam sein. Mit diesem Stress sollte Kamila auf das Eis und Bestleistung zeigen. Wie abzusehen, litt ihre Leistung unter dem immensen Stress. Walijewa stürzte in ihrer Kür, gab aber nicht auf und machte weiter. Sie verließ das Eis unter Tränen und war niedergeschmettert von ihren Gefühlen. Ist das noch vertretbar? Es ist schlimm genug, wenn Sportler*innen auf etwas lange und sehr hart hingearbeitet haben und nicht das erreichen, was sie wollten. Aber das als pubertierende 15-Jährige – gerade dann sollte man sich nicht mit so einem Leistungsdruck auseinandersetzen müssen.
Fragwürdiges System
Ob der Doping-Verdacht stimmt oder nicht, es ist doch sehr fragwürdig, so junge Sportler*innen einem so hohen Leistungsdruck auszusetzen. Durch den Walijewa-Fall haben sich viele eindeutig geäußert und es wurde ein Zeichen gesetzt. Kinder hätten nichts im Spitzensport zu suchen und sollten aus der Wettkampfschlacht rausgehalten werden. Aber welchen Unterschied machen zwei Jahre? Warum wird die Altersgrenze nicht wenigstens auf 18 Jahre angehoben?
Auch die 26-Jährige Katharina Müller findet die Anhebung des Mindestalters wichtig. Sie trat dieses Jahr als Eiskunstläuferin mit ihrem Partner Tim Dieck bei den Olympischen Winterspielen an und hat das Geschehen miterlebt. Sie macht Eiskunstlauf bereits seitdem sie fünf ist und kann den Druck der jungen Eisläufer*innen nachvollziehen. In dem Alter könne man noch gar nicht mit dem Druck klarkommen, vor allem nicht mit dem medialen Druck. Zu Waliejwa sagte sie Folgendes:
“Es gibt auch Fotos, wo sie mit einer Jacke über dem Kopf einfach durch die Presse-Ecke gelaufen ist, damit sie nichts beantworten muss. Das war mental unglaublich schwer. Man hat einfach diesen Druck gespürt, auch wenn man gar nicht davon betroffen ist.”
Durch den Dopingskandal wurde die Situation und der Druck noch mal schlimmer. Die Aufmerksamkeit wäre ohnehin bei den jüngeren Mädchen gewesen, aufgrund ihres Alters.
Kinder ausnutzen, um zu gewinnen?
Besonders schlimm ist, dass teilweise extra so junge Mädchen ausgewählt werden. Da sie viel kleiner und dünner sind und so zum Beispiel Sprünge schneller und höher leisten können. Katharina sagt auch, dass so junge Mädchen vorteilhaft sein können, da sie noch gar nicht realisieren, was genau passiert. Durch die Änderung des Mindestalters wird vor allem im Einzellauf bei den Frauen ein Gleichgewicht geschaffen, da die physischen Gegebenheiten extrem wichtig sind.
All das hört sich für mich schon danach an, dass 15-Jährige wegen ihrer körperlichen Vorteile ausgenutzt werden. Die Psyche dieser jungen Menschen wird dabei völlig außer Acht gelassen. Da frage ich mich, wieso so etwas zugelassen wird. Es wäre doch sowieso fairer – wegen bereits genannten körperlichen Unterschieden – Minderjährige nicht in den Wettkampf zu lassen. Das ist für mich eine Sache der Menschlichkeit und des Gewissens.
Nicht nur im Eiskunstlauf herrscht immenser Leistungsdruck. Seit 1997 gilt für Olympia allgemein eine Altersbegrenzung von 16 Jahren. Auch hier sind die Teilnehmer*innen viel zu jung. Nicht mal volljährig und schon wird die Psyche dieser jungen Menschen von siegesorientierten Trainer*innen oder hoch motivierten Eltern zerstört. Man sollte sich mit 16 um andere Dinge kümmern. Spaß haben, zur Schule gehen und sich mit Freunden treffen. Nicht sieben Tage die Woche von morgens bis abends in irgendeiner Halle bis zum Umfallen trainieren. Am besten noch, um danach weinend und niedergeschmettert nicht den ersten Platz zu belegen.
17 Jahre reicht nicht aus
Kritiker*innen regen sich darüber auf, dass die Erhöhung nur schrittweise erfolgen soll und in der nächsten Saison noch 16-Jährige teilnehmen dürfen. So auch der ehemalige Eiskunstläufer Daniel Weiss bei der Sportschau:
“Ich kann nicht nachvollziehen, warum man das Alter nur schrittweise ändert. Ich hätte mir gewünscht, das es sofort und komplett auf mindestens 17 Jahre erhöht wird.”
Andere Experten finden 17 Jahre nicht ausreichend, darunter der früheren Eiskunstläufer Norbert Schramm. Nicht nur ist es falsch, dass das Mindestalter erst in drei Jahren auf 17 Jahre angehoben wird, es ist bei Weitem noch zu jung. Schramm wünscht sich ein Mindestalter von 18 Jahren, wenn nicht sogar 21 Jahre. Nur so könne sich der Sport weiterentwickeln. Das ist wichtig, denn nur so kann Fairness den jungen sowie den älteren Sportler*innen gegenüber gewährleistet werden. Und das kann nur funktionieren, wenn diese mindestens volljährig sind.
Beitragsbild: Pavel Danilyuk by Pexels