Mehr als 1 oder 0 – Wie Quantencomputer die Welt berechnen

Unsere Computer haben uns auf den Mond und den tiefsten Meeresgrund gebracht, sie berechnen weltweit Aktienkurse und sagen täglich das Wetter voraus. Wissenschaftler*innen des Forschungszentrums Jülich in NRW arbeiten an einer Technologie, die die heutigen Computer noch in den Schatten stellen soll: Quantencomputer. Unsere Reporterin hat sich das aus der Nähe angeschaut.

Wer mit dem Zug in Jülich im Kreis Düren ankommt, merkt erst mal nichts von der internationalen Berühmtheit, die die Stadt durch die Arbeit ihres Forschungszentrums erlangt hat. Der Bahnhof heißt zwar „Forschungszentrum“, aber nach Hightech sieht es hier nicht aus: Es gibt ein Gleis. An drei Seiten ist die Haltestelle von Feldern umschlossen, an der vierten liegen zwei große Lagerhallen. Und keine Spur einer Forschungseinrichtung.

Mehrere Menschen stehen an einer Bushaltestelle nicht weit entfernt. Der Bus bringt seine Insassen an noch mehr Feldern vorbei, bis zu einer Schranke. Im Hintergrund sind mehrere große, kastige Gebäude zu erkennen. Das muss das Forschungszentrum sein. Obwohl das Gelände weitläufig ist, ist es dank eines detaillierten Lageplans leicht, sich zurechtzufinden. Nach etwa zehn Minuten Fußweg taucht auf der linken Seite das Gebäude „04.8x“ auf. Hier steht der Jülicher Quantencomputer.

Der Quantencomputer ist in verschiedene Ebenen gegliedert. Foto: Samantha Hofmann

Über Torten und Tonnen

Auf den ersten Blick sieht der Quantencomputer aus wie das Gerüst für eine goldene, auf den Kopf gestellte Hochzeitstorte, die von Etage zu Etage nach unten hin dünner wird.

Anders als eine Torte steht er aber nicht auf dem Boden, sondern hängt von einem etwa zwei Meter hohen Gestell.

Das Herz des Quantencomputers ist der Rechenchip. Auf ihm sitzen die Quantenbits – kurz Qubits. Sie bearbeiten die Aufgaben, die dem Quantencomputer gestellt werden. Auf dem Boden neben dem Gestell stehen mehrere goldene und silberne Tonnen, die über den Quantencomputer gestülpt werden, bevor er arbeiten kann. Sie schützen ihn vor Umwelteinflüssen und helfen bei der Kühlung. Qubits arbeiten nur richtig, wenn sie kälter sind als das Weltall, also bei etwa minus 270 Grad Celsius. Das ist nur knapp über dem absoluten Nullpunkt.

Daniel Weigand arbeitet im Forschungszentrum Jülich am Institut für Quanteninformationen. Hier steht er neben einem seiner Forschungsobjekte: dem Quantencomputer. Foto: PGI-11, intern

Daniel Weigand ist Postdoktorand am Forschungszentrum Jülich und zuständig für den Quantencomputer. Weigand beschäftigt sich mit den Grundlagen der Quantentechnologie: Wie müssen Hard- und Software aussehen, damit der Quantencomputer verlässlich funktioniert? Wie können Bauteile effektiver hergestellt werden? Wie kann die Technik außenherum, zum Beispiel für die Kühlung, verbessert werden? All das müssen Forschende weltweit klären, bevor der erste Quantencomputer außerhalb eines Labors in Betrieb gehen kann. „Keiner weiß so genau, wann Quantencomputer richtig eingesetzt werden können. Es kann in 10 Jahren oder auch 50 Jahren so weit sein, aber es wird passieren“, erklärt Daniel Weigand.

Ein Rechenchip des Forschungszentrum Jülich, der in den Quantencomputer eingesetzt werden kann. Foto: Samantha Hofmann

Quantencomputer machen alles gleichzeitig

Klassische Computer rechnen mit Kombinationen aus Einsen und Nullen, dem Binärcode. Dadurch werden zum Beispiel Buchstaben in die Sprache der Computer übersetzt. Um einen Buchstaben darzustellen, braucht es acht Stellen, genannt Bits, die mit Einsen und Nullen befüllt werden. Die gleichen acht Bits können nacheinander unterschiedliche Buchstaben darstellen, zur selben Zeit aber immer nur einen.

Die Qubits sind die Bits des Quantencomputers. Der Unterschied zum klassischen Bit ist, dass ein Qubit die beiden Zustände eins und null nicht nacheinander, sondern gleichzeitig darstellen kann. Qubits sind winzig klein und so treten in ihnen Effekte auf, die uns aus dem Alltag völlig absurd erscheinen mögen. Könnten wir mit einem Quwürfel spielen und er würde unter den Tisch rollen, lägen alle Augenzahlen gleichzeitig oben. Solange bis jemand nachschaut, welche es wirklich ist, dann erst stünde das Ergebnis fest. Vorher existieren alle möglichen Augenzahlen gleichzeitig und überlagern sich.

Der Rechenchip durch ein Mikroskop betrachtet: In der Mitte sind fünf Qubits zu erkennen, angeordnet wie auf einem Spielwürfel. Foto: Samantha Hofmann

Für acht Qubits bedeutet das, dass sie das ganze Alphabet gleichzeitig als Überlagerungen von Einsen und Nullen darstellen können.

Welcher Buchstabe ist es denn nun?

Alles auf einmal darzustellen ist meistens nicht die Lösung einer Aufgabe. Welchen Buchstaben gibt der Quantencomputer also am Ende aus? Das kommt darauf an, welchen man gerne hätte. Sobald jemand auf die Qubits zugreift, um das Ergebnis auszuwerten, zerfällt die Überlagerung und das wahrscheinlichste Ergebnis offenbart sich.

Welche Eigenschaften das wahrscheinlichste Ergebnis haben soll, erfährt der Quantencomputer von den Forschenden durch komplizierte Quantengatter. Sie sind die Bausteine, mit denen der Quantencomputer arbeitet. Bei einem normalen Computer ist das wie mit einer Suchmaschine im Internet. Gibt man „Dortmund AND Universität“ ein, gibt die Maschine nur Ergebnisse aus, die beide Begriffe enthalten. Der Befehl AND ist hier das Gatter. Durch verschiedene Gatter sagen wir dem Computer, was wir von ihm wollen. Quantengatter sind keine für uns verständlichen Befehle wie AND oder OR, sondern abstrakte Dinge wie X, S und T.

Einsatzgebiete sind divers

„Ein Quantencomputer kann alles, was ein klassischer Computer auch kann. Die Frage ist immer, ob es sich lohnt ihn einzusetzen“, erklärt Daniel Weigand. Aber: „Wir wissen, dass sein Einsatz in den richtigen Bereichen richtig viel bringt!“

Diese silbernen Tonnen schützen den Quantencomputer vor Umwelteinflüssen, wie Infrarotstrahlung. Foto: Samantha Hofmann

Woran Quantencomputer in Zukunft arbeiten werden, ist noch ungewiss. Sie könnten Naturkatastrophen vorhersagen, Daten ver- und entschlüsseln oder die Zusammensetzung von Medikamenten berechnen. Es lohnt sich immer dann, einen Quantencomputer einzusetzen, wenn ein normaler Computer für die gleiche Aufgabe unverhältnismäßig lange bräuchte – oder sie gar nicht lösen könnte. Das ist zum Beispiel dann so, wenn in Rechnungen Parameter vorkommen, die verschiedene Werte annehmen können. Beeinflussen sich diese Unbekannten dann auch noch gegenseitig, ist Schluss für die derzeitigen Computer.

Für Quantencomputer gilt das nicht: Wie unvorhersehbar die Unbekannten auch sein mögen, die Qubits stellen alle ihre möglichen Werte automatisch durch die Überlagerung der Einsen und Nullen dar. Und können mit den passenden Algorithmen das gesuchte Ergebnis berechnen. So etwa beim Entschlüsseln von digitalen Daten.

So funktioniert Verschlüsseln im Internet

Wie eine Geheimbotschaft sind viele Informationen im Internet verschlüsselt. Sender*innen verfassen eine Botschaft und schicken sie, mit dem verwendeten Schlüssel, an die Empfänger*innen. Ohne den Schlüssel soll niemand die Botschaft entschlüsseln können.

Symmetrische und Asymmetrische Schlüssel

Verschlüsselungen bei denen Sender*in und Empfänger*in den gleichen Schlüssel benutzen, heißen symmetrisch. Im Internet ist es schwierig den Schlüssel zu übergeben, ohne dass Dritte ihn abfangen und die Nachricht damit entschlüsseln können. Deswegen ist der Schlüssel auf eine andere Art verschlüsselt, nämlich asymmetrisch.

Bei der asymmetrischen Verschlüsselung gibt es immer zwei sich ergänzende Schlüssel, wobei einen die Sender*innen und einen die Empfänger*innen haben. Im Internet steht dafür öffentlich ein Public Key zum Verschlüsseln der Daten zur Verfügung. Auf einen zweiten Schlüssel, den Private Key, können nur die Empfänger*innen zugreifen. Public und Private Key ergänzen sich gegenseitig. Das Prinzip ist wie bei einem offenen Safe: Jede*r kann etwas hineinlegen und die Tür zuschnappen lassen (verschlüsseln), aber nur wer den passenden Schlüssel hat, kann den Safe öffnen (entschlüsseln).

Asymmetrische Verschlüsselung

Der Clou bei der asymmetrischen Verschlüsselung ist, dass es möglich ist, vom Private Key auf den Public Key zu schließen, aber auf keinen Fall andersherum. Das funktioniert mit Mathematik. Es ist einfach zwei Zahlen zu multiplizieren, auch wenn sie sehr groß sind. Aber aus dem fertigen Produkt die beiden Zahlen zu extrahieren, ist zeitaufwendig. Einfach gesagt ist der Public Key das Produkt zweier sehr großer Primzahlen, der Private Key sind die beiden Primzahlen selbst. Aus dem Private Key kann der Public Key einfach errechnet werden.

Bis jetzt hat dieses System gut funktioniert, aber Quantencomputer könnten ihm ein Schnippchen schlagen. Sind sie erst einmal marktreif, werden sie die heutigen Verschlüsselungen auch ohne Schlüssel brechen oder den passenden Schlüssel errechnen können.

Ein Netzwerk aus mehreren hundert Computern hat 2009 in einem Versuch zweieinhalb Jahre gebraucht, um einen Schlüssel mit 232 Stellen zu knacken. Ein einzelner Computer hätte für die Rechnung wohl 2.000 Jahre benötigt. Aktuell werden Zahlen als Schlüssel verwendet, die über 600 Stellen haben. Das ist für normale Computer unmöglich zu entschlüsseln.

Was bringt der Quantencomputer beim Entschlüsseln?

„Aber das ist alles ohnehin obsolet. Sobald Quantencomputer mit genügend Qubits zuverlässig funktionieren, kann man das Faktorisierungsproblem schnell genug lösen“, erklärt Prof. Edmund Weitz in seiner YouTube-Serie zu Quantencomputern. Er unterrichtet Mathematik und Informatik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft (HAW) in Hamburg und beschäftigt sich dabei auch mit der Funktion der Quantencomputer.

Tatsächlich hat Peter Shor – ebenfalls Mathematiker und Informatiker – schon 1994 einen Algorithmus vorgestellt, mit dem Quantencomputer Verschlüsselungen lösen können, die auf Primzahlen beruhen. Damals wie heute liegt die großflächige Anwendung allerdings in unbekannter Ferne. Ein bisschen näher sind Forschende ihrem Ziel aber gekommen: Mit dem Shor-Algorithmus konnten Quantencomputer kleine Zahlen, wie 15 oder 21 in ihre Primfaktoren zerlegen. Das ist ein Anfang, allerdings brauchen Quantencomputer, um moderne Verschlüsselungen mit diesem Algorithmus zu lösen, wohl Millionen Qubits. Der aktuell größte Rechenchip von International Business Machines (IBM) hat 127 Qubits. Bis 2025 will IBM auf 4158 Qubits erhöhen, das reicht für das Knacken von Verschlüsselungen bei weitem noch nicht aus.

Durch dieses Netz aus Kabeln bekommen die Qubits ihre Befehle. Foto: Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau

Seit Peter Shor seinen Algorithmus entwickelt hat, hatten Kryptographen über 25 Jahre Zeit ihre Verschlüsselungen an die neue Problematik anzupassen. Und das mit Erfolg: Verschiedene Post-Quanten-Kryptografien – also quantensichere Verschlüsselungen – werden schon fleißig getestet, um den besten Kandidaten für einen sicheren neuen Standard zu finden.

Warum bauen Forschende nicht einfach mehr Qubits?

„Das Problem ist die völlige Abschottung von der Außenwelt“, sagt Edmund Weitz von der HAW Hamburg. Selbst winzig kleine Umwelteinflüsse sorgen für Rechenfehler. „Wir können uns das formal vorstellen, wie zusätzliche Qubits, die sich in das Quantenregister eingeschlichen haben.“ Und die irritieren die Qubits dort so sehr, dass sie nicht mehr richtig arbeiten können. Je mehr Qubits, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich ein Störsignal einschleicht.

Die Zukunft der Quantencomputer

So wie es derzeit aussieht, arbeiten Quantencomputer erst einmal nicht als alleinstehende Geräte. Edmund Weitz ist der Meinung, dass Quantentechnologie wohl vor allem mit klassischen Computern kombiniert wird. Die Qubits übernehmen dann nur die Teile einer Rechnung, für die der normale Computer zu lange brauchen würde. Das Problem, dass die Qubits stark gekühlt und andauernd kalibriert werden müssen, lässt sich dadurch aber nicht lösen. Daniel Weigands Arbeitsplatz in der Grundlagenforschung zu Quantencomputer ist also vermutlich noch ein paar Jahre gesichert.

Beitragsbild: Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau

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