Gamification – Spielerisch besser lernen?

Mit Spielen verbinden wir Spaß und Freude. Mit Lernen eher das Gegenteil. Die Lernmethode Gamification will beides kombinieren. Ob das aber dazu führt, dass wir besser lernen, will Autor Luis Tamberg herausfinden.

Mathematik ist ein Pflichtfach in meinem Studium. Meine Erfahrung aus dem letzten Sommersemester: Es ist verdammt langweilig. So sehr, dass ich schnell die Lust verliere und auch mit dem Stoff nicht mehr hinterherkomme. Doch nun soll es anders werden. Der Begriff Gamification ist mir schon vor einer Weile über den Weg gelaufen. Weil ich nicht mehr genau weiß, worum es ging, lese ich nach: Gamification ist eine Methode, bei der die Kraft von Spielen auch für Prozesse außerhalb genutzt wird. Konkret bedeutet das: Wir nehmen Elemente aus Spielen und übertragen sie auf spielfreie Umgebungen, wie zum Beispiel das Lernen. Scheint wie für mich gemacht.

Level 1: Die Lernplattform

Nach einiger Zeit finde ich eine geeignete Website und kann hier die für mich relevanten Themen auswählen. Zuerst wähle ich einen Avatar aus. Ich entscheide mich für eine rote tropfenförmige Gestalt. Mithilfe von Energiepunkten, die ich durch Übungen sammle, kann ich sie weiterentwickeln bis zu einem roten Drachen. Außerdem erhalte ich Medaillen, wenn ich unterschiedliche Aufgaben erfüllt habe. Da mich das alles etwas an Videospiele erinnert, die ich in meiner Freizeit spiele, bin ich motiviert zu lernen.

Auswahl des Avatars. Foto: Luis Tamberg

Level 2: Die Übungen

Ich bin aufgeregt und möchte endlich beginnen, um zu erfahren, wie es sich mit der Plattform lernen lässt. Bei der ersten Übung muss ich sofort rechnen. Es gibt vier Auswahlmöglichkeiten. Ich löse die Aufgabe auf meinem Collegeblock und überprüfe, ob meine Lösung unter den vier Antworten ist. Ist sie und sie ist sogar richtig. Darüber freue ich mich und bin verwundert, wie leicht mir das gefallen ist.

Die zweite Aufgabe sieht etwas anders aus. Dieses Mal gibt es keine Auswahlmöglichkeiten. Stattdessen soll ich das richtige Ergebnis eintippen. Zuerst liege ich falsch, aber jetzt packt mich der Ehrgeiz. Ich will die nächsten Aufgaben unbedingt lösen. Das schaffe ich auch. Konfetti fliegt über meinen Bildschirm und ich erhalte einige hundert Energiepunkte. Damit ist meine erste Übung beendet. Danach lerne ich noch etwas weiter. Mal löse ich die Aufgaben auf Anhieb, mal mache ich Fehler. Dadurch weiß ich aber bei der nächsten Aufgabe sofort, was ich anders angehen muss.

Als ich fertig bin und auf die Uhr schaue, bin ich überrascht. Es sind bereits zwei Stunden vergangen. Wie kann ich so lange für Mathe lernen, ohne zu merken, wie die Zeit verfliegt?

Level 3: Der Effekt von Gamification

Professor Seiji Isotani, seit kurzem auch Gastprofessor für Bildung an der Harvard Graduate School of Education Foto: Privat

Um das herauszufinden, schreibe ich eine Mail an Seiji Isotani. Er ist Professor für Informatik und Lerntechnologie an der Sao Paulo Universität in Brasilien und forscht seit mehreren Jahren zum Thema Gamification. „Je engagierter die Studierenden sind, desto besser lernen sie. Auch die Lernumgebung ist entscheidend. Sind die Studierenden zufrieden, wirkt sich das auch auf das Lernverhalten positiv aus“, sagt Professor Isotani. Zudem könne Gamification in uns einen Zustand auslösen, durch den wir vollkommen in einer Tätigkeit aufgehen. Unser kompletter Fokus liegt dann auf dieser Aufgabe und wir blenden alles andere aus wie zum Beispiel die Uhrzeit.

Level 4: Elemente aus der Spielwelt

Nach drei Wochen habe ich etwas unter 2.000 Energiepunkte. Um die zweite Stufe des Avatars zu erreichen, benötige ich 10.000. Und der Traum vom roten Drachen ist noch in weiter Ferne. 250.000 Punkte sind dafür notwendig. Das entmutigt mich aber überhaupt nicht. Da ich in meinem Profil schon jetzt den Fortschritt angezeigt bekomme, fühlt sich jede gelöste Aufgabe wie ein Erfolg an. Dass der Avatar dabei gelevelt und irgendwann seine nächste Stufe erreichen wird, motiviert mich auch weiterhin.

Kann man sagen, was für Gamification-Elemente besonders effektiv sind, um die Lernmotivation zu steigern? „Es gibt kein Patentrezept für den Einsatz von Gamification und die Unterstützung von Studierenden beim Lernen. Man muss den Kontext, die Studierenden, die Aktivitäten, die Materialien und andere Variablen berücksichtigen, um Gamification effektiv zu gestalten“, antwortet mir Seiji Isotani.

Gerade bei den Studierenden gibt es individuelle Unterschiede, wie gut ein Gamification-Design funktioniert. Das hängt mitunter auch davon ab, wie motiviert die Studierenden sind. Bei denen, die von außen motiviert werden müssen, ist Gamification generell sehr effektiv, da dabei eine unattraktive Aufgabe durch spielerische Elemente attraktiver wird. Die eigentlichen Aufgaben sind dann das Mittel, um Ziele zu erreichen, wie in einem Spiel auch. Zum Beispiel, um einen Charakter auf ein neues Level zu bringen oder neue Sachen freizuschalten. Bei Studierenden, die die Motivation aus der Tätigkeit selbst ziehen, muss das Design geändert werden, damit Gamification bei ihnen funktionieren kann. Die Programmierer*innen müssen dafür sorgen, dass die spielerischen Elemente dazu führen, dass die Lernenden mehr Freude an der Tätigkeit selbst haben. Das bedeutet: Sie lösen die Aufgaben nicht, weil sie dadurch Punkte oder Medaillen bekommen können, sondern weil die Aufgaben so spielerisch gestaltet wurden, dass sie ihnen Spaß machen.

Level 5: Spielerische Lehre

Nach einem Monat lerne ich immer noch regelmäßig mit der Plattform. Auch wenn ich immer nur ein paar Stunden in der Woche dort verbringe, freue ich mich jedes Mal, damit zu üben. Ich hänge nicht mehr dem Stoff der Vorlesung hinterher und ich habe ein besseres Verständnis dafür entwickelt, wie ich bei verschiedenen Aufgaben vorgehen muss. Außerdem bin ich kurz davor, die zweite Stufe des Avatars zu erreichen. Auf meiner Profilseite werden mir viele verschiedene mathematische Themengebiete angezeigt. Effektiver wäre es, wenn meine Vorlesung einen eigenen Kurs auf der Plattform hätte. So könnte ich genau die Sachen lernen, die von der Lehrperson vorgesehen sind und diese wiederum hätte einen Einblick in den Wissensstand ihrer Studierenden.

Bislang spielt Gamification in der Lehre kaum eine Rolle. Doch das könnte sich ändern. „Es gibt eine Tendenz zu mehr Gamification in der Lehre. Eine Analyse zeigt, dass es in Bezug auf Nutzung und Forschung zunimmt“, meint Professor Isotani. In Deutschland hat es bereits an einigen Universitäten Veranstaltungen mit Gamification gegeben. Zum Beispiel wurden Studierende an der Universität in Düsseldorf zu Orks, Elfen und Goblins, um spielerisch in einer Fantasy-Welt zu lernen, wie Wissen dargestellt werden kann. Auch an der Hochschule in Heidelberg wurden Gamification-Elemente genutzt, um für eine Mathematikvorlesung zu lernen. Hier schlüpften die Studierenden in die Rolle von Vampiren oder Werwölfen.

Wichtig ist, dass das Spiel für die Studierenden bedeutsam ist. Wenn sie das gewählte Gamification-Design als Unsinn oder unnötig empfinden, wird es keinen positiven Effekt auf die Motivation oder das Lernen geben. Fantasy-Welten könnten zudem dazu führen, dass sich Studierende, die ansonsten nur wenige solcher Spiele spielen, nicht ernst genommen fühlen. Dennoch zeigen diese Beispiele, dass Gamification auch an der Universität möglich ist.

Beitragsbild: Luis Tamberg

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