Party, Studium und Feminismus – ein Debüt mit Message

Aileen und Mattea sind zwei junge DJs, die mehr feministische Musik in die Clubs bringen wollen. Denn weiterhin dominieren Männer stark die DJ-Branche. Aileens und Matteas Debüt im Club Oma Doris ist für sie deshalb nicht nur ein Auftritt, sondern auch ein Statement.

Es ist 23.59 Uhr. Der erste Beat dröhnt aus den Boxen und bringt Böden und Wände zum Vibrieren. Mattea und Aileen haben ihre Augen fest auf den leuchtenden CDJ, , dem gängigen Club Equipment für DJs, gerichtet. Sie lassen sich nicht ablenken – als wäre die Musik der Schlüssel zu einer anderen, ihrer eigenen Welt. Matteas und Aileens glitzernde Oberteile reflektieren das Licht der roten Scheinwerfer und zeichnen ein Muster auf den digitalen Plattenspieler. Obwohl Mattea ein Stück größer ist als Aileen, wirken beide wie eine Person: Sie haben ihre Bewegungen aufeinander abgestimmt und greifen mit ihren Händen immer wieder über die Arme der anderen. Zwischendurch gleiten die Blicke der beiden über die Tanzfläche, ihre Münder formen ein zufriedenes Lächeln. Nach fünf Minuten tummeln sich die Leute auf der Tanzfläche und bewegen sich ausgelassen zum Rhythmus der Musik. Nach ungefähr zehn Minuten liegen bereits sämtliche Jacken in unordentlichen Stapeln am Rand der Tanzfläche. Nach einer halben Stunde ziehen sich die ersten ihre hohen Schuhe aus und tanzen barfuß oder auf Socken weiter.

14.30 Uhr – neuneinhalb Stunden bis zum Auftritt

Schon seit dem Morgen wird im Oma Doris die Party vorbereitet. Veranstalter*in ist Tabula Rasa. Das freie Kollektiv organisiert Partys mit Techno- und Housemusik sowie eigener, ausgefallener Deko, die zum Thema des Abends passt. Die Mitglieder kommen aus Dortmund und Umgebung, so auch Aileen. Sie ist seit 2019 Teil der Organisation. Für sie ist dieser Abend im Oma Doris allerdings nicht wie jede andere Veranstaltung, die Tabula Rasa ausrichtet. Heute legt sie mit ihrer Freundin Mattea zum ersten Mal in einem Club auf.

DJ oder DJane?
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In der deutschen Sprache werden weibliche DJs oft als DJanes bezeichnet. In diesem Text verwenden wir den Begriff nicht. Hier werden Mattea und Aileen als DJs bezeichnet, nur der Artikel und die Pronomina werden geändert.

Der englische Begriff Discjockey ist genderneutral, weshalb „die DJ“ sowohl für Aileen als auch für Mattea eine Bezeichnung sei, mit der sie sich identifizieren, erklärt Aileen. Die Debatte, wie weibliche Discjockeys genannt werden sollten, sieht das Duo kritisch. Einerseits sei es wichtig, Frauen in der DJ-Szene sichtbarer zu machen. Andererseits sollten Frauen, die auflegen, nicht auf ihr Geschlecht reduziert werden. „Es ist ähnlich wie beim Frauen-Rap“, vergleicht Mattea. „Es geht darum zu sagen: ‚Ich mache keinen Frauen-Rap, sondern ich bin eine Frau und mache Rap.‘.“

Aileen und Mattea sind zusammen das Techno-Duo „laut & cuntig“. Aileen sei damals „einfach so in die Techno-Szene gerutscht“ und habe sechs Jahre später angefangen, selbst auf Hauspartys aufzulegen. Auf einer Hausparty standen Mattea und Aileen auch zum ersten Mal gemeinsam hinter einem DJ-Controller. Die beiden kannten sich damals zwar bereits aus dem Studiengang Sozialwissenschaften, der Zufall hat sie aber als DJ-Duo zusammengebracht. Als Mattea vor der Party die Musikauswahl und DJs studierte, war sie enttäuscht: Es sollte überhaupt keine feministische Musik geben. Das wollte sie ändern. Auflegen konnte Mattea selbst noch nicht, dafür aber Aileen. Sie brachte es Mattea bei. Gemeinsam stellten sie ein queer-feministisches Hip-Hop-Set zusammen, das sie dann auf der Hausparty spielten.

„Es hat sich echt schön angefühlt, das Ganze nicht allein zu machen, sondern Mattea mit mir hinter dem Pult zu haben und mit ihr den Moment zu teilen“, erklärt Aileen. Wenn zwei DJs hinter dem Mischpult stünden, sei die Aufmerksamkeit des Publikums nicht so erdrückend, da diese sich nicht nur auf eine einzelne Person konzentriere. Auf die Hausparty bereiteten sich beide intensiv vor. „Wir haben uns vorher Spickzettel geschrieben“, erzählt Mattea, „Die hatten wir an dem Partyabend überall auf unserem DJ-Pult kleben.“

Auf ihr Debüt im Oma Doris hat sich das Duo noch länger vorbereitet, noch intensiver geübt. „Man möchte ja auch Eindruck hinterlassen und in den Köpfen bleiben“, erläutert Aileen. Das bedeutet: mehr Arbeit und mehr Druck, musikalisch einen schönen Abend zu kreieren. Und das parallel zu ihrem Alltag und dem Studium.

Für den Auftritt im Oma Doris mussten die Studentinnen ihre Zeit genau einteilen und planen. „Manchmal fließen die beiden Bereiche ineinander über“, erklärt Aileen. Sie erinnert sich zum Beispiel an eine Fachschaftsratssitzung, während der sie in der letzten Reihe gesessen und ihr Set vorbereitet habe. Aileen hält es für möglich, Studium und Musik miteinander zu vereinbaren, ohne dass eines davon vernachlässigt wird. Aktuell würden vor allem ihre Freizeit und andere Hobbys unter dem erhöhten Vorbereitungs- und Übungspensum leiden, erklärt die DJ. Das ist es ihr aber wert: Musik zu machen, bedeutet für Aileen nämlich eine Auszeit von allem anderen zu nehmen.

Mattea sieht das ähnlich. Musik und Partys seien schon immer Teil ihres Lebens gewesen. Ihr Studium der Sozialwissenschaften bringt außerdem die nötige Flexibilität mit sich, die das DJ sein voraussetzt. Gerade deshalb passe es auch gut zusammen, DJ und Studentin gleichzeitig zu sein, findet Mattea. Auch, wenn sie in einer frühen Veranstaltung dann ab und zu etwas müde sei. Gerade in der Phase unmittelbar vor dem Auftritt nähmen die Vorbereitungen viel Zeit in Anspruch. Man sei sich zwischendurch nie richtig sicher, ob man das überhaupt schafft. Mattea und Aileen müssen nämlich nicht nur ihr eigenes Set vorbereiten: Tabula Rasa überlegt sich zu jedem Auftritt auch ein passendes Bühnenbild – und beim Aufbau helfen alle mit. Egal, ob Mitglied des Kollektivs oder DJ des Abends.

Hauptberuflich wollen Aileen und Mattea nicht auflegen, es soll ein Hobby bleiben. Der Beruf des*der DJ neige schnell zur Kommerzialisierung, findet Mattea. Da müsse man aufpassen, dass der Spaß nicht verloren und es nur noch darum gehe, Geld zu verdienen. Deshalb passe das Duo auch so gut zu Tabula Rasa: Es geht dem Kollektiv nicht darum, kommerzielle Partys zu veranstalten. Darum stehen auch oft Newcomer*innen hinter dem Mischpult – so zum Beispiel „laut & cuntig“.

16.30 Uhr – siebeneinhalb Stunden bis zum Auftritt

Im Oma Doris hängt heute Abend eine mehr als hundert Meter lange Girlande. Diese bunte Deko stammt noch vom Juicy Beats Festival 2018. Dafür habe das Team damals die Girlande in akribischer Arbeit selbst geknüpft, erklärt Aileen stolz. All das, was sie für ihre Arbeit bei Tabula Rasa brauchen, haben sich die Mitglieder selbst beigebracht.

Für das Oma Doris sei es wichtig, dass die Veranstalter*innen der Partys diverse Line-Ups aufstellen, erklärt Marius Quante, Assistent der Geschäftsleitung des Oma Doris sowie Mitglied bei Tabula Rasa. Auch, wenn diese das letztlich selbst entscheiden würden, sei „eine coole Mischung“ dennoch wünschenswert, findet Marius. Diese Mischung liefert Tabula Rasa heute Abend – und Aileen fordert sie für die gesamte Branche: „Wir brauchen nicht nur die übliche Quotenfrau in den Line-ups, sondern vielleicht auch einfach mal über die Hälfte nicht cis männlich.“

Cisgender

Als Cisgender werden Menschen bezeichnet, die sich mit der Geschlechtsidentität identifizieren, die ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Welches Geschlecht ein Mensch hat, wird anhand der biologischen Körpermerkmale einer Frau oder eines Mannes bestimmt.

22.30 Uhr – eineinhalb Stunden bis zum Auftritt

Man spürt die Aufregung bei den DJs und dem gesamten Team. Die einen gehen nochmal schnell ihr Set durch, die anderen hetzen von einem Ort zum anderen, um letzte Vorbereitungen zu treffen. Dazu gehört unter anderem die Einführung des Awareness-Teams: Mitglieder von Tabula Rasa und deren Freund*innen laufen während der Party in gelben Warnwesten durch die Menge, um dafür zu sorgen, dass sich alle Gäste im Club sicher fühlen.

Mittlerweile ist auch der und die letzte DJ im Club eingetroffen. „laut & cuntig“ sind an diesem Abend nicht die einzigen FLINTA*, die hinter dem CDJ-Player stehen. Das sei in der Branche eher selten, sagen Aileen und Mattea. Zum einen würden Frauen die Möglichkeiten fehlen, aufzulegen, zum anderen würden sie sich teilweise nicht trauen. Tatsächlich sind nicht-männliche Künstler*innen auf Festivals oft unterrepräsentiert. Das bestätigt eine Studie von der Online-Datenbank female:pressure: Das Netzwerk aus FLINTA* hat 2020 und 2021 28 Festival-Line-ups analysiert. Nur etwa 32 Prozent der Künstler*innen waren weiblich und auch andere nicht-männliche Musiker*innen waren kaum vertreten. Mattea und Aileen wissen, was das für die Arbeit als DJ für Folgen haben kann.

FLINTA*
FLINTA* steht für Frauen, Lesben, Inter, Non-Binary, Trans und Agender*. Dieser Ausdruck soll eine Personengruppe beschreiben, die nicht cis männlich ist. Neben FLINTA* sind auch die Begriffe FLTI* (Frauen, Lesben, Trans, Inter*) oder FLINT* gebräuchlich.
Geschlechterverhältnisse der Festival-Acts in Deutschland 2020 und 2021

Nach ihrem ersten gemeinsamen Auftritt habe ein Mann zu ihnen gesagt: „Für Mädels war das schon echt ein gutes Techno-Set.“ Mattea macht das fassungslos: „Das bringt einfach auf den Punkt, dass Frauen als DJs immer noch nicht von allen ernst genommen werden. ,Als Mädels‘ gehört es sich, nur gut auszusehen und nicht viel von der Technik zu verstehen, oder was? Die Stereotype sind leider noch präsent.

Auch in der Musikindustrie werden Frauen oft auf ihr Äußeres reduziert, erzählt Mattea. Aus ihrer eigenen Erfahrung weiß sie, dass manche Clubs sich das zunutze machen würden: „So nach dem Motto: ,Wir brauchen sexy Frauen als Aushängeschild, um für unsere Partys auf Social Media zu werben.‘“

Das DJ-Duo möchte anderen weiblich gelesenen Personen zeigen, „dass man natürlich auch als Frau, als Nichtbinäre oder als Trans-Person auflegen kann“. Ihnen gehe es darum, Barrieren abzubauen und FLINTA* einen Zugang zu ermöglichen.

23.30 Uhr – eine halbe Stunde bis zum Auftritt

Seit einer halben Stunde läuft das erste Set des Abends. Mattea und Aileen sind danach dran. Gleich geht es los. Beide wirken ruhig, aber ihre Hände zittern leicht. Wenige Minuten später macht sich das Duo auf den Weg hinter den CDJ-Player. Dort schütteln sie ein letztes Mal ihren Körper aus. Mattea dreht sich nach links und umarmt Aileen – kurz und ganz fest –, bevor beide tief ausatmen und die Blicke auf das DJ-Pult richten. Aileen und Mattea legen ihre Hände auf die leuchtenden Knöpfe – der erste Beat dröhnt aus den Boxen.

Der letzte Ton des Songs erfüllt den Raum: „Our Space“ beschreibt die Intention und Stimmung des Abends. Es ertönt lauter Jubel. Menschen applaudieren und schreien „Zugabe!“, aber die nächste DJ steht schon bereit. Mattea und Aileen können gar nicht aufhören zu grinsen. Ihre Gesichter glänzen im roten Scheinwerferlicht. Sie fallen sich in die Arme und jubeln mit der Menge mit. „Das ging viel zu schnell rum“, hört man es aus der Menge rufen.

Es ist 2.08 Uhr – der Auftritt von „laut & cuntig“ ist zu Ende. Das Duo bahnt sich einen Weg durch die Tanzenden nach draußen, um frische Luft zu atmen. „Ich fühle mich irgendwie nicht angekommen in der Situation“, platzt es aus Mattea heraus. „Es ist alles so surreal.“ Sie und Aileen wirken überwältigt. Einen Spickzettel haben die beiden DJs dieses Mal nicht gebraucht.

 

Beitragsbild und alle weiteren Bilder: Sofie Richter

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