Etwa 0,6-1 % aller Menschen weltweit sind von einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) betroffen. Doch viele Menschen auf dem autistischen Spektrum werden erst im Erwachsenenalter diagnostiziert. Woran das liegt – und wie der Umgang mit ASS gelingen kann.
Disclaimer: Der Text nimmt Bezug auf Diagnosen, die durch Inhalte auf Social Media angestoßen wurden. Die Redaktion empfiehlt, immer eine psychotherapeutische/psychiatrische Meinung einzuholen.
Sich nirgendwo richtig zugehörig fühlen und ständig von Reizen überflutet sein? Das kennt Jasmin nur zu gut. Die 29-jährige studiert Kunst auf Lehramt an der TU Dortmund. Auf ihrem TikTok-Kanal „jasminbtrx“ berichtet sie über ihr Leben mit Autismus und ADHS. Bis zu ihrer richtigen Diagnose Mitte 2022 ist sie jahrelang zwischen Ärzt*innen und Therapeut*innen hin- und hergelaufen.
Zunächst wurde bei ihr eine Angststörung diagnostiziert. Weil die augenscheinlichen Panikattacken – die sich später als Reizüberflutung herausstellten – nicht besser wurden und sie sich in sozialen Situationen oft als Außenseiterin fühlte, kamen Depressionen dazu. „Ich musste teilweise früher Einkäufe abbrechen, weil ich dachte, vielleicht kommt wieder eine Panikattacke.“
Genaue Statistiken zum Vorkommen der Autismus-Spektrum-Störung in Deutschland gibt es aktuell nicht. Worüber es aber Daten gibt: Die Versorgungslage von Menschen mit ASS in Deutschland ist mangelhaft. Nicole David ist stellvertretende Forschungsgruppenleiterin der Studie „Barrierefrei ASS“ am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Das Forschungsprojekt zielt darauf ab, Bedarfe und Barrieren in der medizinisch-psychotherapeutischen Versorgung von Menschen auf dem autistischen Spektrum abzubilden und ein Modell mit Lösungsansätzen zu entwickeln.
Dafür wurden Betroffene, Angehörige und Behandelnde von Menschen mit ASS befragt. Das Hauptproblem: „Es gibt zu wenig Aufklärung bzw. Wissen bei Fachkräften über das Thema Autismus im Erwachsenenalter. Klassischerweise ist das ein Thema aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie bzw. Psychotherapie. Dort sind Behandelnde sehr sensibilisiert dafür, aber im erwachsenen Bereich ist es eine ganz große Black Box”, sagt Dr. Nicole David.
Aufgeben ist keine Option
Jasmin studiert noch im Bachelor. „Ich habe irgendwann aufgehört, die Semester mitzuzählen“, sagt sie lachend. „So richtig angefangen zu studieren habe ich erst vor kurzem.“ Sie war mehrere Jahre eingeschrieben, in der Hoffnung, dass es irgendwann besser werde mit den Konzentrationsproblemen. Finanziert hat sie sich das mit einem Teilzeitjob an einer Supermarktkasse. Den Job könne sie trotz Autismus und ADHS machen, weil sie dort meist die gleichen Aufgaben habe und so in eine Art Hyperfokus komme. Wirklich gut funktioniere das aber erst, seit Jasmin auch „Elvanse Adult“ einnimmt, ein Medikament für Erwachsene mit ADHS. Außerdem helfen ihr, wie sie sagt, im Alltag Achtsamkeitsübungen und zum Beispiel die „Pomodoro Methode“, um besser mit Reizen umgehen und sich länger konzentrieren zu können.
Ihr Ziel ist es, später einen Master in Kunst- und Kulturvermittlung zu machen und dann als Lehrerin oder in einer Kulturinstitution zu arbeiten. Einer ihrer Zukunftsträume hat aber nichts mit Karriere zu tun: „Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft sich mehr öffnet gegenüber Menschen, die anders sind. Ich war früher immer die Komische und man hat mich immer schon mit einer Pinzette angefasst. Das wünsche ich keinem.“
Was den Umgang mit der Autismus-Spektrum-Störung in Deutschland angeht, gibt es also noch viel Luft nach oben. Die Hypothese des Forschungsteams um Nicole David lautet: Wird der Zugang und die Qualität der Gesundheitsversorgung von Erwachsenen Menschen mit ASS verbessert, verbessert sich auch ihre Lebensqualität. Wenn „Barrierefrei ASS“ Ende 2023 eine Anschlussförderung bekommt, könnten Nicole David und das Team ihr Modell in größerem Umfang auf die Umsetzbarkeit hin testen und damit einen weiteren Beitrag zu einer besseren Gesundheitsversorgung von Menschen mit ASS leisten.
Beitragsbild: Annie Spratt/Unsplash
Als “Aspie”, eine ehr interne Selbstbezeichnung von Menschen aus dem autistischen Spektrum mit Asperger Syndrom, kann ich das bestätigen. Die Schwierigkeit als Asperger im Erwachsenenalter die richtige Diagnose zu erhalten ist sehr wichtig, um die Möglichkeit zu bekommen, diesen Umstand auch anderen Menschen mitzuteilen.
Denn diese Kommunikation ist wichtig für ein Verständnis. Ein neurotypischer Mensch, kann sich gelegentlich, ansatzweise vorstellen wie Asperger das sie umgebende Universum wahrnehmen. Das führt häufig zu Missverständnissen in Kommunikation und vor allem bei sozialen Kontakten. Als Beispiel zitiere ich mal eine gute Erklärung von Barbara (43), sie macht jetzt noch eine Ausbildung zur Logistikerin bei einem großen Schweizer Einzelhandels Unternehmen:
“Komme ich in einen Raum, sehe ich sofort alle Fehler. Es ist, als würden sie leuchten. Als Logistikerin ist das natürlich praktisch. Neulich wurde für die Lernenden im dritten Lehrjahr eine Übung aufgebaut, in der 13 Fehler versteckt waren. Ich kam per Zufall vorbei und sah sofort 12 davon. Nach nicht einmal 40 Sekunden im Raum.
Diese Gabe hilft mir enorm in der Logistik, aber weniger im Zwischenmenschlichen. Ich habe Asperger-Autismus. Das heisst, ich bin eine kommunikative Autistin – man nennt es auch das “Little Professor Syndrome”.
Das trifft es ganz gut: Man hat sofort ein Kind vor Augen, das alles besser weiss. So eines war ich und bin ich noch heute. Sehe ich einen Fehler, sage ich es sofort und bin dabei nicht sehr diplomatisch. Damit stosse ich andere Leute oft vor den Kopf.”
Als Kind hatte ich keine Ahnung, warum ich anders bin als die anderen.
Erst als Erwachsener habe ich das herausbekommen.
Ich bin bereits 61 und arbeite als Techniker und in der IT, an einer Universität.
Mir kommen meine “X-Fähigkeiten” sehr gelegen und sie haben einen sehr enormen Nutzen für mich.
Leider klappt Smalltalk, Flurfunk, Tratsch und Klatsch bei mir überhaut nicht gut.
Schöne Grüße
Christoph