Ein Gnadenhof – Das Altersheim für Tiere

Wo kommen alte, kranke oder verhaltensgestörte Tiere hin, die niemand mehr haben möchte? Mit etwas Glück auf den Gnadenhof von Elke Balz. Für den sucht die 82-jährige Besitzerin nun dringend eine Nachfolge.

Die Sonne scheint auf Miras feuchte Schnauze. Sie liegt auf ihrer Hütte. Erhaben wie eine Königin auf ihrem Thron. Mit dem schwarzen, dicken Fell muss ihr eigentlich viel zu warm sein in der Sonne. Sie spitzt die Ohren, ihr Kopf hebt sich. Fehlalarm. Es ist nur Elke Balz, die um die Ecke kommt. Seit 15 Jahren kümmert sie sich um die Hündin Mira und viele andere alte oder kranke Tiere auf ihrem Lebenshof. Elke Balz ist 82 und war bis zur ihrer Pensionierung Lehrerin. Danach gründete sie zeitgleich zum Tierhof den Verein „Refugium für Tiere in Not“.

„Ich wohne in meinem mütterlichen Haus, bin alleinstehend. Eigentlich eine Sünde für einen Menschen, das alles allein zu nutzen. Da habe ich mich entschlossen, notleidende Tiere aufzunehmen. Die kamen dann nach und nach. Im Laufe der Zeit sind hier Hunde, Katzen, Esel, Enten, Schafe und Hühner aus schlechter Haltung eingezogen.“

Den Hund unter ihrem Arm setzt Elke Balz ab. Seine Hinterbeine kann er nur unkoordiniert aufsetzen. Er läuft geradewegs auf einen Blumentopf zu. Zum Glück nur langsam, denn sein Kopf stößt dagegen. Er läuft weiter. Hier ist es perfekt. Hier ist sein stilles Örtchen. „Er ist blind und taub, hat hinten in den Läufen Bänderrisse, einen Luftröhrenvorfall und einen Herzfehler. Der sollte schon vor Wochen in den Hundehimmel. Er wollte aber noch nicht. Der hat eine Energie, das ist sagenhaft“, sagt Elke Balz.

Mira auf der Hundehütte.

„Das hat die Menschheit an ihr verbrochen“

Noch vier weitere Hunde liegen vor dem Haus. In den Hundehütten, auf Kissen oder einfach auf dem Boden. Auf den ersten Blick wirken sie alle sehr zufrieden. Das war nicht immer so. Denn die Hunde kommen aus dem Tierschutz aus Sardinien und Rumänien. „Alfredo hat zum Beispiel mit sieben anderen Hündinnen bei einem Privatmann gelebt. Was die für eine Vorgeschichte haben, ist unbekannt. Es ist nicht aufgefallen, als dieser Mann plötzlich verstorben ist. Die Hunde lebten unversorgt mit dem toten Mann in der Wohnung. Irgendwann hat die Polizei die Tür aufgebrochen. Die Hunde waren natürlich völlig verstört und sind dann ins Tierheim gekommen.“

Eine Hündin liegt nicht so still wie die anderen in der Sonne. Sie läuft auf dem Grundstück herum. Rauf und runter. Guckt in der Gegend herum. Läuft zu dem Beet neben dem Eingangstor. Und wieder los. Auf halbem Weg wandert ihr Blick in den Himmel. „Was machst du denn da? Fängst du schon wieder die Wespen?“, fragt Elke Balz.

Die Hündin kommt angelaufen. Neugierig schnuppert sie am Stuhl. Vor der zum Streicheln ausgestreckten Hand schreckt sie zurück. „Das ist unsere Angsthündin. Sie kommt auch aus Sardinien. Es war ein Graus, die im Tierheim zu sehen. Das Tier ist nur rumgerast wie von einer Tarantel gestochen, kroch auf dem Bauch und war ununterbrochen in Panik. Ich habe der Vereinsvorsitzenden gesagt: ,Erschießen sie die oder geben sie sie an mich.´ Sie ist seit vier Jahren hier. Sie wird nie ein normaler Hund werden, das hat die Menschheit an ihr verbrochen.“

Alle Tiere finden hier ihr Zuhause

Neben den Hunden leben hier noch zwei Katzen, zwei Schafe, zahlreiche Hühner und Enten. „Der Hof soll für Tiere ein neues Zuhause bieten, die nicht gemocht wurden, behindert, alt, krank oder verhaltensgestört sind.“ Elke Balz zeigt auf einen Holzhaufen. Die Baumstämme liegen kreuz und quer übereinander, bedeckt von Moos. Die Rinde eines Stammes löst sich.

Über dem Haufen, hoch in der Baumkrone ist ein kleines Vogelhäuschen. „Bei mir sieht nicht alles so gepflegt aus. Im hinteren Bereich des Grundstücks ist alles noch ungepflegter. Das ist Absicht. Wir wollen auch den natürlichen Bewohnern wie Haselmäusen, Spitzmäusen, Igeln, Lurchen, Teichmolchen und Weinbergschnecken einen Lebensbereich zu Verfügung stellen.“

Zuhause für Wildtiere.

Esel Elfi war schwanger

Tiere sind schon seit Elke Balz‘ Kindheit ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Geplant, einen Lebenshof zu gründen, hat sie aber nie. Ein Bekannter wusste von den freien Ställen auf dem Hof von Elke Balz. So zog vor 16 Jahren das erste notleidende Tier bei ihr ein.

„2007 habe ich den Verein gegründet, denn einige Monate zuvor habe ich eine junge Eselstute aufgenommen. Sie war mit einem Transport in einer Herde von England hierüber gekommen. Das weiß ich, weil sie noch vom belgischen Zoll eine Marke hinten im Schweif hatte. Ich sollte sie nur vorübergehend aufnehmen, aber dann hat nie wieder jemand nach ihr gefragt. Sie ist also hiergeblieben. Sie hat den Anstoß gegeben für die Gründung des Tierhofes”, sagt Elke Balz.

Ein Jahr später hat sie mir einen kleinen Hengst in den Stall gesetzt. Ich wusste davon nichts. Sie muss auf dem Weg nach Deutschland geschwängert worden sein. Der Hengst ist aber sehr früh gestorben. Deswegen war die Eselstute regelrecht depressiv. Zufällig war hier in der Nähe ein Nothengst. Ein wunderschönes Tier aus schlechter Haltung. Bei der Zusammenführung von Tieren weiß man nie, wie es klappt. Aber als dieser junge Hengst den Berg in Richtung Wiese geführt wurde, merkte man bei Elfi sofort, dass sie sich wohlfühlte. Nach ungefähr einem Jahr stand wieder ein Fohlen im Stall“, erzählt Elke Balz schmunzelnd.

Heute leben die Schafe in den alten Ställen der Esel. Unter dem Dach brütet ein Zaunkönig. Auf der großen Wiese nebenan laufen Hühner herum. Immer unter Beobachtung des Hahns. „Der Hahn ist höchst aggressiv. Der hat mich schon mehrmals krankenhausreif geschlagen.“ Elke Balz schnappt sich eine Harke, um sich zu schützen. Sie läuft Richtung Hühnerstall. Einige Hühner laufen ihr hinterher: „Das mag der Hahn gar nicht.“ Es liegt ein frisches Ei im Stroh. Der Hahn kommt näher. Jetzt schnell raus.

„Ich bin froh, wenn Kimba nur mal zwei Minuten in der Sonne liegt.“

Elke Balz steht jeden Tag um sechs Uhr auf. Um halb sieben lässt sie spätestens die Hühner und Enten raus. Dann geht sie weiter zu den Schafen. Weil das ältere von beiden keine Zähne mehr hat, weicht Elke Balz das Futter am Tag vorher ein. Nach dem Füttern müssen die Ställe sauber gemacht werden. Danach werden die Hunde versorgt. Dann erst frühstückt Elke Balz selbst. Anschließend geht sie mit der Tageszeitung ins Dachgeschoss. Da lebt die Katze Kimba. Elke Balz leistet ihr eine Stunde Gesellschaft. „Sie will nicht runter. Sie hat einen Balkon. Ich kann die Tür auflassen, aber sie bleibt dort oben. Ich bin schon glücklich, wenn sie nur mal zwei Minuten in der Sonne liegt.“ Wenn die Lebenshof-Besitzerin dann wieder herunterkommt, muss der blinde Hund raus, um sein Geschäft zu machen. Und dann bekommen alle Hunde ihre Kaustange.

Die Geschwister Ofelia und Alfredo.

„Seit fünf Jahren baue ich körperlich ab. Es hat sich kein Nachfolger gefunden. Ich bin in der täglichen Versorgung auf mich allein angewiesen. Im Moment habe ich keine bezahlten Hilfskräfte. Ich finde keine geeigneten Leute. Die sind oft unzuverlässig und nicht sorgfältig. Die Tierversorgung habe ich immer selbst gemacht. Hier fällt ja aber noch viel mehr Arbeit an. Der Hof muss gefegt werden, das Gras muss geschnitten werden. Es müssen Sachen gestrichen werden.“

Wer darf wohl heute mit?

Es wird wieder laut. Stoffel bellt. Mira bellt. Alfredo auch. Die Hundeschar versammelt sich vor dem Eingangstörchen. Immer gespannt, wer da jeden Moment durch die Tür kommt. Jeden Tag kommen ehrenamtliche Helfer*innen, um mit den Hunden spazieren zu gehen oder bei anderen Arbeiten zu helfen. „Es ist das Allerwichtigste, dass die Hunde ihre Runden gehen können. Die Hunde kommen mindestens einmal am Tag raus. Ein langer Spaziergang ist Pflicht“, sagt Elke Balz.

Janina Hagg studiert an der Fachhochschule Dortmund Wirtschaft. Ihren großen blauen Korb stellt sie nun auf den Hundehütten ab. Drinnen befinden sich Erdbeerpflanzen, Spinatsamen und viele weitere Dinge zum Aussähen und Einpflanzen. Sie zeigt Elke Balz die Einkäufe, während die Hunde aufgeregt vor ihr stehen. Wer darf wohl heute mit?

10.000 Euro Tierarztkosten im Jahr

„Ich habe mir im Laufe der Zeit Beziehungen aufgebaut, bei denen ich um Spenden anhalten kann, wenn ich Geld brauche. Eine Firma unterstützt mich jährlich mit 5000 Euro, eine Privatperson mit 2500 Euro. Die Tierrechtsorganisation Free Animal unterstützt mich mit 100 Euro monatlich. Es gibt auch Angebote von der Stadt oder von Geldinstituten, aber die kriegt man nicht einfach so. Vor zwei oder drei Jahren wollte ich gerne eine Hecke aus einheimischen Gehölzen an der ganzen Grundstücksgrenze entlang anlegen. Für die Finanzierung sollte ich Projektpläne und Fotos liefern. Das ist natürlich zeitaufwendig und wenn man alles allein macht, ist das praktisch nicht zu leisten.“

Die Spenden haben nicht immer gereicht. Besonders am Anfang war es auf dem Hof schwer. Elke Balz erklärt: „Wer so etwas betreiben will, muss bereit sein, notfalls sein ganzes Privatvermögen zu investieren. Es gab anfangs eine Zeit, in der ich monatlich von meinem Privatvermögen 300 Euro aufs Vereinskonto überwiesen habe. Als die Esel noch da waren, hatten wir Tierarztkosten von jährlich 10.000 Euro. Im Moment ist es die Hälfte vielleicht.“

Neben den Tierarztkosten kommen noch Kosten für Futter hinzu, Pflegeprodukte, die Instandhaltung und gegebenenfalls Lohn für die Arbeiter*innen. Die Energiekosten zahlt Elke Balz von ihrem Privatkonto. Im Winter macht sie sogar manchmal nur bei den Tieren die Heizung an, damit denen warm ist. „Das Wohl und die Bedürfnisse der Tiere haben allerhöchste Priorität. Sie sind an oberster Stelle und denen möchte ich gerecht werden ­– egal was sonst anfällt.“

„Es ist so, als wenn ein enges Familienmitglied stirbt“

365 Tage im Jahr ist Elke Balz hier auf dem Hof, lebt und versorgt die Tiere. Besonders schwer fällt es ihr, wenn sie sich von einem verabschieden muss.

„Es ist immer wieder dasselbe Drama. Es ist so, als wenn ein enges Familienmitglied stirbt. Als wenn der Ehefrau der Ehemann stirbt, mit dem sie jahrzehntelang in einem Schlafzimmer geschlafen hat. Ich habe aber trotzdem beschlossen, das immer wieder durchzustehen, so schmerzhaft es auch ist. Das ist doch kein Grund, wartenden Tieren meine Hilfe zu entziehen.“

Trotz der vielen Herausforderungen bereut Elke Balz nichts. „Ich wusste von Anfang an, dass ich bereit sein musste über Jahrzehnte hinweg auf Urlaub und Freizeit zu verzichten und sei es auch nur ein Wochenendausflug. Und es ist so gekommen. Es hat sich nicht einmal jemand angeboten und gesagt: ‚Komm heute ist Samstag, vielleicht willst du auch mal mit einer Freundin irgendwo essen gehen. Ich beaufsichtige den Hof.‘ Trotzdem bin ich der Meinung, dass ich ein erfülltes Leben führe. Natürlich habe ich körperliche Beeinträchtigungen, aber ich bin zufrieden und ich bin gerne für die Tiere da.“

Rudi liegt vor seiner Hundehütte in der Sonne. Alle Viere von sich gestreckt. Die Augen geschlossen. Er genießt die Sonnenstrahlen auf seinem Fell. „Der Kleine da vorne, wie er da liegt. Ist das nicht ein entspannender Anblick?“

 

Fotos: Zoe Gleisberg

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1 Kommentare

  1. says: Wolfgang Kretzschmar

    Ich wünsche Elke Balz noch Jahre in denen sie ausreichend Kraft hat sich um ihre Tiere zu kümmern und vor allem Hilfe für die tägliche Arbeit von gleichgesinnten zu erhalten. Ich bin selbst über 80, bis vor einigen Jahren war das nur eine Zahl, aber jetzt geht es jeden Tag ein Stückchen bergab und die Sorge wächst was wird aus meinen Tieren wenn ich weg bin. Pferde, Esel, Hunde, Katzen. Hühner, Enten,. Die Erben? Nein, die interessiert nur das Geld.
    Aber jetzt muß ich erstmal die Hunde füttern

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