ARD, ZDF und Co. im digitalen Tiefschlaf: Es ist dringend Zeit für eine Konkurrenz zu Netflix und Youtube

Es sind gute Zeiten für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In der Corona-Krise kehren die Zuschauer*innen zurück. Einen wirklichen Grund zum Feiern gibt es allerdings nicht. Im Digitalen legt Corona die Versäumnisse der vergangenen Jahre schonungslos offen – Konkurrenten wie Youtube und Netflix spielen in einer anderen Liga. Ein Kommentar.

„Mit Corona schlägt die Stunde der Qualitätsmedien“, heißt es beim NDR. Die Menschen kehren zum linearen Fernsehen zurück und sorgen für Rekordeinschaltquoten. Sogar bei den jüngeren Zuschauer*innen. Zumindest dann, wenn man wie der WDR die Zielgruppen der 30- bis 49-Jährigen und der 35- bis 55-Jährigen als jung bezeichnet. Die Freude ist groß beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ich teile sie nicht – im Gegenteil. Denn die Corona-Krise legt offen, wie sehr ARD und Co. im digitalen Bereich den Anschluss verloren haben.

Analog gewonnen, digital verloren

In der tatsächlich jungen Zielgruppe unter 30 Jahren spielt das Jugendangebot Funk von ARD und ZDF – trotz steigender Bekanntheit – kaum eine Rolle. So heißt es nicht Funk & chill, sondern Netflix & chill. Es sind Youtuber*innen wie Rezo oder Mirella Precek, die Millionen Anhänger*innen erreichen. Die wenigsten der rund 70 Funker*innen können da mithalten. Der Youtube-Kanal von Funk kommt noch nicht mal auf 90.000 Abonnenten*innen.

Während Netflix mit der dritten Staffel der Thriller-Serie „Dark“ startet, kann die ZDF-Mediathek mit neuen Folgen vom Bergdoktor aufwarten. Binge-Watching in den öffentlich-rechtlichen Mediatheken ist wirklich nur etwas für Hartgesottene oder Menschen über 30.

Die unterversorgte Jugend

„Für Menschen über 50 geben wir zurzeit noch drei Viertel des Budgets aus, die Jüngeren sind unterversorgt“, räumt SWR-Intendant Kai Gniffke im SZ-Interview ein. Dass er einen Satz wie „Wir dürfen die Generation der Menschen, die in den nächsten 20, 30 Jahren für dieses Land Verantwortung tragen wird, jetzt nicht aufgeben“, überhaupt sagen muss, zeigt schon wie schlecht es momentan um die Zukunftsfähigkeit des Öffentlich-Rechtlichen steht.

Bisher scheint die Strategie zu sein, einfach Inhalte dort anzubieten, wo sich diese jungen, hippen Menschen herumtreiben. Bei Youtube, Instagram, Snapchat und wie die Tagesschau auch bei Tiktok. So macht sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk zum Zulieferer von Inhalten für amerikanische und chinesische Plattformen.

Im Klartext bezahlen also die Gebührenzahler*innen dafür, dass diese Unternehmen nicht nur kostenlosen Content bekommen, sondern auch fleißig Daten sammeln können, um sie noch besser mit Werbung zu bespielen. Dass vor den Videos von Funk keine Werbung abgespielt werden darf, ist da nicht mal ein kleiner Trost. Natürlich muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch externe Angebote bespielen. Nur sollte es das oberste Ziel sein, das Publikum wieder zu sich zu holen – auf eine eigene konkurrenzfähige Plattform.

Funk – Brillenmacher aus Leidenschaft

Foto: Stefan Hoederath/funk.

Wie sehr allerdings die Strategie eines eigenen Angebots verfolgt wird, zeigt sich, wenn man funk.de eingibt. Dann landet man nämlich auf der Seite von Dieter Funk – Brillenmacher aus Leidenschaft. Das Jugendangebot Funk erreicht man nur über die wenig geläufige Endung .net. Wer sich so aufstellt, scheint gar nicht gefunden werden zu wollen.

Dabei ist gerade die Hoheit über eine Plattform entscheidend, wenn es darum geht, öffentliche Debatten am Gemeinwohl auszurichten. Etwas, was kommerziellen Anbietern wie Facebook nicht unbedingt nachzusagen ist. Dass derzeit gerade Unternehmen wie Coca-Cola und Unilever den Slogan #StopHateForProfit unterstützen, zeigt die dabei entstehende Problematik. Mit ihrem Anzeigenboykott wollen sie Facebook dazu bewegen, gegen Hassrede auf ihrer Plattform vorzugehen. Was von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, sollte aber nicht in der Hand von Facebook oder Coca-Cola liegen.

Auch Youtube agiert nach eigenen Regeln. Wie der Spiegel berichtete, entschied Youtube im März eigenmächtig, unter Videos zu Corona auf die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu verweisen. Dadurch erhielten auch krude Verschwörungsvideos einen seriösen Anschein. Immer wieder stehen Youtubes Algorithmen in der Kritik, zu einer Radikalisierung beizutragen.

Es braucht daher ein Gegenmodell zu den kommerziellen, oft polarisierenden Kriterien, die der freie Markt hervorbringt. Medienwissenschaftler*innen wie Charlotte Echterhoff regen daher die Idee einer Plattform mit demokratischen Algorithmen an. Diese sollen die gesellschaftliche Vielfalt abbilden und das Gemeinwohl fördern. In diese Richtung muss sich auch ein öffentlich-rechtliches Angebot entwickeln.

In die richtige Richtung, aber zu langsam

Dass die Algorithmen großer Internetfirmen wie Facebook und Youtube der Demokratie nicht immer dienlich sind, ist auch in der Führungsetage der Öffentlich-Rechtlichen angekommen. Bereits 2018 warb BR-Intendant Ulrich Wilhelm prominent für eine Art Super-Mediathek, in der sowohl Inhalte von ARD und ZDF, als auch von privaten Anbietern oder Wikipedia zu finden sein sollten.

Dazu wird es auf absehbare Zeit allerdings nicht kommen. Auch weil ZDF-Intendant Thomas Bellut gerne die Eigenständigkeit seiner vergleichsweise erfolgreichen ZDF-Mediathek behalten will, wie er im Zapp-Interview durchklingen lässt. Als kleiner Schritt in die richtige Richtung kann gesehen werden, dass nun zumindest Inhalte von ARD und ZDF über beide Mediatheken gesucht und dabei seit April auch die selben Login-Daten verwendet werden können.

Der nächste Schritt muss nun sein, ein Netzwerk zu bilden, über das alle Inhalte von Funk, über Deutschlandfunk bis zu Arte, aufgerufen werden können. Über die Bedienoberfläche und Aufbereitung dieser Inhalte kann gerne ein lebendiger Wettbewerb über die Mediatheken hinweg bestehen bleiben.

Die Gebührenzahler*innen ins Boot holen

Das reicht aber bei Weitem nicht, um Youtube und Co. ernsthaft Paroli bieten zu können. Dafür muss langfristig der öffentlich-rechtliche Rundfunk ebenfalls die Möglichkeit zulassen, dass Nutzer*innen eigene Inhalte hochladen können.

Prof. Leonhard Dobusch, der den Bereich „Internet“ im ZDF-Fernsehrat vertritt, formulierte jüngst die Idee einer Art Kulturtube von ARD und ZDF auf der Künstler*innen ihre Musik oder Performances hochladen können. Die von der Corona-Krise besonders gebeutelten Künstler*innen könnten so eine Bühne bekommen und der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Kulturauftrag ins digitale Zeitalter überführen. Das wäre ein guter Anfang.

Momentan sieht allerdings alles danach aus, als würde die digitale Zukunft ausschließlich den globalen Big Playern gehören. Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk dem eine konkurrenzfähige Alternative entgegenstellen will, wird das nur gehen, wenn die Gebührenzahler*innen miteinbezogen werden. Wenn sie Teil einer Plattform sind, die es ihnen erlaubt, eigene Playlisten zu erstellen und zu teilen, Kommentare zu Beiträgen zu verfassen und eigene Bilder und Videos hochzuladen.

Eine Plattform, die sich dabei eben nicht am kommerziellen Interesse orientiert, sondern einen breiten gesellschaftlichen Dialog ermöglicht. Eine Plattform, die Datenschutz gewährleistet und die von uns finanzierten Inhalte so aufbereitet, dass sie gut auffindbar und abspielbar sind. Das wäre in Zeiten immer stärkerer Polarisierung absolut notwendig.

Sollte das in den nächsten Jahrzehnten nicht gelingen, wird sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk einer noch größeren Diskussion über die Rechtfertigung eines Beitrages von fast 20 Euro stellen müssen. Dabei kann an der Notwendigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kein Zweifel bestehen. Das hat gerade auch Corona bewiesen. Umso wichtiger ist es nun, endlich aus dem Tiefschlaf zu erwachen und eine echte digitale Perspektive zu entwickeln.

Beitragsbild: Fotomontage aus OpenClipart-Vectors/Pixabay und Markus Spiske/Pexels

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