Die Nacht wird immer heller, dadurch sind Sterne immer schlechter zu sehen. Viele Fragen sind noch offen, sicher ist aber: Lichtverschmutzung ist menschengemacht und hat ernsthafte Konsequenzen – für Menschen, Tiere und Pflanzen.
Die Dortmunder Innenstadt um halb elf in der Nacht. Die Sonne ist untergegangen, der Himmel färbt sich graublau. Es sind laue 19 Grad, ein windstiller Sommerabend. Mit einem Luxmeter geht die 21-jährige Geografie-Studentin Swantje Maurer den Westenhellweg, Dortmunds große Einkaufsmeile, entlang. Mit dem Gerät misst sie die Beleuchtungsstärke eines Leuchtmittels.
Zweieinhalb Stunden nach Ladenschluss ist nicht mehr viel los in der Innenstadt. Nur noch vereinzelt spazieren Menschen die gepflasterte Einkaufsstraße entlang. Große runde Lampen hängen mittig über der Fußgängerzone. Sie werfen einen kreisförmigen orangen Lichtkegel auf den Weg. Trotzdem strahlt es auch häufig grell von rechts und links. Viele Geschäfte leuchten ihre Ware prunkvoll und hell aus – obwohl sie kaum jemand sieht um diese Uhrzeit.
Swantje Maurer steht vor dem großen Schaufenster eines Schmuckgeschäfts. Alle Vitrinen in dem Laden sind ausgeleuchtet, eine Werbetafel strahlt hell. Mit dem Luxmeter misst Maurer vor dem Schaufenster stehend einen Wert von 300 Lux. Das Licht des Vollmonds ist auf der Erde nur etwa 0,3 Lux hell. „In der Stadt wirkt der Vollmond gar nicht hell. Das liegt an der ganzen künstlichen Beleuchtung“, sagt Swantje.
Zu viel, zu hell
Die Beleuchtung von Geschäften in einer nachts fast verlassen wirkenden Innenstadt ist häufig überflüssig, kritisiert Loeka Jongejans. Die 29-Jährige ist Postdoktorandin an der Ruhr Universität Bochum, hat Geowissenschaften studiert und forscht zur Beleuchtung im öffentlichen Raum. Sie erklärt: „Lichtverschmutzung ist das Licht, das überflüssig ist.“
Bei in der Nacht aufgenommenen Luftbildern scheint es so, als würden Straßenlaternen den Großteil der Beleuchtung ausmachen. Ein Trugschluss, sagt Jongejans: „Rund um Straßen scheint am meisten Licht. Es sind aber nicht die Straßenlaternen, sondern andere Lichtquellen, die den Großteil der Gesamtbeleuchtung ausmachen.“
Aus Satellitendaten gehe hervor, dass es in den wohlhabenden Ländern nachts immer heller wird. Im weltweiten Durchschnitt um etwa zwei Prozent pro Jahr. Konkrete Zahlen allein für Deutschland gebe es nicht. „Das Thema ist zu unerforscht“, sagt Jongejans. Worüber schon viel bekannt ist, sind die Auswirkungen, die Lichtverschmutzung auf Menschen, Tiere und Pflanzen hat. Zu viel ist nämlich nicht nur überflüssig und ineffizient, sondern auch schädlich, sagt Chronobiologin Dr. Annette Krop-Benesch. Sie forscht seit 2002 zur inneren Uhr von Menschen, Tieren und Pflanzen. Seit 2012 beschäftigt sie sich ausgiebig mit Lichtverschmutzung, hat ein Buch dazu geschrieben und berät Firmen, Ministerien sowie Städte.
Blaues Licht
Um Lichtverschmutzung und ihre Auswirkungen zu verstehen, müsse man erst einmal verstehen, wie die innere Uhr von Menschen, Tieren und Pflanzen funktioniert, sagt Krop-Benesch. Wichtigster Zeitgeber ist das Licht. Ob und wie es uns beeinflusst, hänge von drei Faktoren ab: der Helligkeit, der Leuchtrichtung und der Farbe.
Die Expertin erklärt: Farben von Licht nennt man Farbtemperaturen. Sie werden in Kelvin gemessen. Kerzenlicht liegt bei etwa 1500 Kelvin und scheint rot-orange. Eine Glühlampe leuchtet, je nach Wattzahl, in einem orangen bis gelben Farbton und hat einen Wert von rund 2500 Kelvin. Tageslicht hat eine bläuliche Farbe. Die Temperatur liegt bei mehr als 5000 Kelvin. LED-Straßenbeleuchtung scheint häufig bei 4000 oder sogar 5000 Kelvin.
Damit hat das Licht der energiesparenden Lampen in vielen Fällen einen hohen Blauanteil und blendet stärker. Genau da liegt das Problem, sagt Krop-Benesch. „Eigentlich verschmutzen wir nicht das Licht, sondern die Nacht und dieses künstliche blaue Licht ist nicht gut für unseren Tag-Nacht-Rhythmus.“
Die innere Uhr
Wann der Mensch müde wird, hängt von der inneren Uhr ab. Blaues Licht, etwa das der Sonne, verhindert die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin. Bei Sonnenuntergang beginnt der menschliche Körper im Normalfall mit der Produktion und Ausschüttung des Hormons.
Auf der Netzhaut des Auges liegen Rezeptoren, die stark auf blaues Licht reagieren. „Dann bekommt unser Gehirn die Information, dass Tag ist. Dadurch schlägt unser Herz schneller, der Blutdruck ist oben und unsere Verdauung funktioniert“, so Krop-Benesch. Wenn es dunkel wird und Melatonin ausgeschüttet wird, versetze es den menschlichen Körper in eine Art Ruhemodus. Das Hormon wird an alle Organe gesendet, wodurch das Herz schwächer arbeitet, der Blutdruck sinkt, die Atmung flacher wird und die Verdauung langsamer wird. „Viel künstliches und blaues Licht am Abend gaukelt unserer inneren Uhr vor, dass noch Tag ist. Dadurch beginnt der Körper wesentlich später mit der Melatoninproduktion.“
Unzählige Auswirkungen
„Gestörter oder nicht ausreichender Schlaf kann deutliche Auswirkungen auf die Gesundheit haben“, sagt Annette Krop-Benesch. Bei zu wenig Schlaf steige das Alzheimer-Risiko. Melatonin aktiviere auch das Immunsystem und baue aggressive Moleküle ab, die Zellen angreifen und zerstören. Auch Krebszellen bekämpfe das Hormon aktiv. Studien haben zudem gezeigt, dass Menschen in stärker beleuchteten Städten häufiger übergewichtig sind als in dunkleren. Ebenso steigt das Risiko für Brust- und Prostatakrebs sowie für Bluthochdruck. „Der wiederum führt zu Herz-Rhythmus-Störungen und Herzinfarkten“, sagt Krop-Benesch. Ein gestörter Tag-Nacht-Rhythmus oder zu wenig Schlaf hat auch psychische Folgen. „Wer zu wenig schläft, ist reizbarer, weniger leistungsfähig und unkreativer.“
Das Risiko für Depressionen, Angststörungen und Panikattacken steige bei gestörtem Schlaf an. Ebenso die Bereitschaft zum Drogenkonsum. „Das fängt an bei der Tasse Kaffee am Morgen. Bei anderen ist es die Zigarette, denn Nikotin ist auch ein Wachmacher“, so die Biologin. Vermehrt werde auch zu Schlafmitteln gegriffen. Lichtverschmutzung birgt viele potenziell gesundheitliche Risiken. Dennoch, relativiert Krop-Benesch, „bekommt deshalb niemand in zwei Jahren einen Tumor in der Brust. Aber es ist ein zusätzlicher Stressfaktor“.
Auch Tiere betroffen
Nicht nur auf Menschen wirke sich Lichtverschmutzung aus. „Tagaktive Tiere sind wegen Lichtverschmutzung länger und nachtaktive kürzer aktiv, als sie eigentlich sein sollten.“ Besonders Insekten seien davon betroffen, da blaues Licht sie stärker anzieht als oranges.
Auch greife die künstliche Beleuchtung in die Lebensräume von Tieren ein. Fledermäuse etwa vermeiden blaues Licht. „Denen schneiden wir die Flugrouten ab“, sagt Krop-Benesch. Zugvögel hingegen fliegen nachts und werden, so Krop-Benesch, vom hellen Licht der Städte angelockt. „Vom kalten blauen mehr als vom wärmerem. Das kostet sie Zeit und Energie.“ Außerdem würden die Tiere häufig mit hell beleuchteten Gebäuden kollidieren. „So sterben mehr Vögel als durch Windräder“, sagt Krop-Benesch.
Genau wie bei Menschen und Tieren verändert Lichtverschmutzung auch den Tag-Nacht- sowie Jahreszeiten-Rhythmus von Pflanzen. „Alle Pflanzen nutzen die Tageslänge, um die Jahreszeit festzustellen“, sagt Krop-Benesch. Bäume etwa, die direkt neben Straßenbeleuchtung stehen, behalten länger ihre Blätter.
Erst seit 20 Jahren wird aktiv zu Lichtverschmutzung geforscht. „Es gibt noch ganz viele offene Fragen“, meint Krop-Benesch. Doch es gäbe auch Möglichkeiten, um der Lichtverschmutzung entgegenzuwirken. „Man braucht nicht die ganze Nacht über Werbebeleuchtung. Es wird aber immer mehr Licht genutzt.“ Grund dafür seien die LED-Leuchten. Die sparen Energie und somit auch Geld. „Gemeinden leuchten die ganze Nacht durch, weil es ja kaum noch Strom verbraucht“, meint Krop-Benesch. Es werde zwar weniger Energie verbraucht, die Lichtemission steige aber trotzdem an.
Sinnloses Licht
Wie viel und an welchen Stellen Licht in der Dortmunder Innenstadt strahlt, irritiert auch Geografie-Studentin Swantje Maurer. „Oft ergibt Beleuchtung nachts keinen Sinn“, meint Swantje. Etwa bei Schaufenstern „ist es um null Uhr einfach unnötig“.
Die 21-Jährige läuft vom Westenhellweg in Richtung Dortmunder U. Es ist eines der wichtigsten und bekanntesten Wahrzeichen der Stadt. Das große U auf dem Turm ist beleuchtet, hat eine große Strahlkraft. Swantje steht mit dem Luxmeter am Vorplatz des U-Turms: Sie misst 30 Lux, das 100-fache vom Licht des Vollmonds.
Neben dem Dortmunder U stehen weitere Gebäude. Eins teilen sich ein Kunstverein, ein Softwareentwickler, eine Behörde und eine Krankenkasse. Die Fassade ist zum Teil aus Glas, im Treppenhaus leuchten grelle Lampen. Auch die gemauerte Fassade ist alle paar Meter beleuchtet. Warum beleuchten wir so viel?
Sicherheit ist ein Faktor
„Wir gewöhnen uns an das Licht, deshalb fällt es uns so schwer, es aufzugeben“, sagt Chronobiologin Annette Krop-Benesch. „Wir haben das Gefühl, wir brauchen es, um sicherer zu sein.“ Laut der Biologin ein Fehlschluss. Licht gebe zwar Sicherheit – aber nur bis zu einem gewissen Grad. Die dunkle Straße sei gar nicht so gefährlich. „Gefährlich sind für Frauen eher Bahnhöfe oder bestimmte Kneipen und Clubs“, meint Krop-Benesch. Geowissenschaftlerin Loeka Jongejans teilt diese Einschätzung. „Ich glaube, die vermeintliche Gefahr hat oft nichts damit zu tun, wie viel Licht da ist, sondern, wie belebt die Straße ist.“
Swantje ist mittlerweile zum Dortmunder Westpark weitergezogen. Der Stadtpark am Kreuzviertel ist besonders bei Studierenden beliebt, hat aber nicht den besten Ruf. Hier tummeln sich auch Drogenabhängige, Dealer verkaufen ihr Zeug. Der Hauptweg des Parks, der in einer Linie vom nördlichen zum südlichen Eingang verläuft, ist mit grellen Lampen beleuchtet. Auf einer Bank sitzen drei Männer. Sie trinken Bier und unterhalten sich.
Swantje geht ein Stück in den Park hinein. Der Weg ist hell ausgeleuchtet – aber rechts und links ist alles dunkel. „Alleine würde ich hier wohl nicht durchlaufen“, meint sie. „Wenn es dunkel ist, gucke ich mich mehr um. Licht kann einen positiven Einfluss haben. Aber viele Lampen könnten gedimmt werden“, sagt sie. Die Master-Studentin weiß aber auch: Sicherheitsgefühl ist subjektiv.
Planung ist alles
Viel schwerwiegender als helle Beleuchtung wie die des Westparks sei aber jene, die keine wichtige Funktion erfüllt, meint Loeka Jongejans. Wie etwa Fassadenbeleuchtung oder Werbetafeln. Chronobiologin Annette Krop-Benesch wünscht sich, dass Lichtplanung in Städten neu gedacht wird. So solle eher wärmer, also orange beleuchtet werden. Solche LED-Lampen gebe es sogar: die Amber-LEDs. Sie seien nur nicht ganz so energieeffizient wie blauweiße und werden somit wesentlich seltener im öffentlichen Raum verbaut.
„Eine Kirche oder ein Rathaus muss nicht um drei Uhr nachts beleuchtet werden“, findet Krop-Benesch. Jeder könne etwas tun, sich bei seiner Stadt und Gemeinde für das Thema einsetzen. Im eigenen Zuhause rät Krop-Benesch von Beleuchtung wie Fassaden oder Pflanzen aus rein ästhetischen Gründen ab. „Nachts muss es dunkel sein, das ist sehr wichtig“, sagt Krop-Benesch und fasst zusammen: „Wir müssen überlegen, wie viel Licht wir brauchen und es dahin lenken, wo es hingehört. Besonders wichtig ist aber, den Blauanteil im Licht zu reduzieren.“
Forschung geht weiter
Geowissenschaftlerin Loeka Jongejans arbeitet mit dem Physiker Dr. Christopher Kyba an dem Projekt Nachtlichter. Kyba ist Experte beim Thema Lichtverschmutzung und hat viele wissenschaftliche Artikel dazu publiziert. Sie wollen herausfinden, wie künstliches Licht im öffentlichen Raum genutzt wird und wie sich die Nutzung im Laufe des Abends und der Nacht verändert.
Diese Arbeit ist sehr mühsam, daher hoffen die Forscherinnen und Forscher auf Unterstützung von Bürgerwissenschaftlern. Die können sich auf der Website registrieren, ein Tutorial abschließen und dann auf ‘Light-Walk’ gehen. Dabei soll dann jedes künstliche Licht, egal ob Straßenlaterne, Ampel, Schaufensterbeleuchtung oder beleuchtete Fassade, gezählt werden. Im Herbst soll das Projekt offiziell starten. Swantje Maurer wird dann in Dortmund Touren leiten. So können die Teilnehmenden Fragen stellen und gemeinsam die Lichtquellen in Dortmund zählen.
Es ist mittlerweile 0 Uhr, Swantje Maurer ist vom Westpark zurück in die Innenstadt gelaufen. Sie geht über den Westenhellweg und lässt den Abend Revue passieren. „Es war schon dunkler, als ich erwartet habe. Ich hätte gedacht, dass zum Beispiel noch mehr Läden Licht anhaben oder ihr Logo beleuchten“, sagt sie. „Trotzdem kann da noch etwas gemacht werden. Es gibt einen großen Handlungsspielraum und man kann, wenn man will, schnelle Ergebnisse erzielen.“
Beitragsbild und Bildergalerie: Julien März