Ein langer Weg – So etabliert sich ein Trendsport

Jan Holub in der Boulderwelt Dortmund.

In den vergangenen Jahren ist Trendsport immer beliebter geworden. Wie entsteht eigentlich ein Trend im Sport, was macht ihn aus und welchen Einfluss haben große Sportartikelhersteller auf die Etablierung von neuen Bewegungsformen?

Es ist kalt draußen um kurz vor 11 Uhr an einem Vormittag im Januar. Die Wege des Revierparks Wischlingen in Dortmund sind noch nahezu leer. Die weitläufigen Grasflächen sind nass vom Regen und es sind ein paar Vogelgeräusche zu hören. Das stört Robin Ilchmann und die wenigen anderen umherwandernden Leute allerdings nicht.

Robin ist 22 Jahre alt und studiert seit kurzem Biologie. In seiner Freizeit spielt er gerne Discgolf – eine Mischung aus Frisbee-Werfen und dem traditionellen Golfspiel. Statt mit Schläger und Golfball wird Discgolf mit speziellen Frisbees beziehungsweise Discs gespielt. Dafür sind im ganzen Park Fangkörbe aus Metall aufgebaut, die es mit möglichst wenigen Versuchen zu treffen gilt. Robin steuert gerade mit seinen Freunden auf die erste Startmarkierung etwas abseits des Weges zu. Gerade noch in Sichtweite steht inmitten einer Baumgruppe ein metallener Korb mit mehreren Eisenketten im Inneren. Fast synchron nehmen die Spieler ihre Rucksäcke vom Rücken. Diese sind geöffnet und zeigen eine Auswahl aufgereihter Discgolf-Scheiben, alle mit unterschiedlichen Flugeigenschaften.

Discgolf an der Universität Witten/Herdecke. Foto: Milan Kuhaupt

Nach kurzem Überlegen wählt Robin eine flache blaue Scheibe aus. „Für lange Distanzen“, erklärt er und geht auf der Anlauffläche in Position. Er schickt die blaue Scheibe, den Distance Driver, auf die Reise in Richtung Korb. Mit einem lauten KLOCK landet die Disc jedoch ein paar Meter entfernt an einem Baum. Eine schwierige Position, denn weitergespielt wird immer von dem Punkt, wo die Scheibe landet. Aber gerade das macht den Sport aus, findet Robin.

Der größte Vorteil beim Discgolf ist, dass überall gespielt werden kann, wo es Körbe gibt. Die Spieler*innen brauchen lediglich ein Frisbee. Gerade die Möglichkeit jederzeit unabhängig von Trainings- oder Öffnungszeiten spielen zu können, macht den Trendsport für Robin so angenehm. „Dass du einfach mal Freunde mitnehmen kann, ist natürlich ein weiterer Pluspunkt. Discgolf kann mit jedem gespielt werden und wir sind dabei noch an der frischen Luft.“

Trends durch Weiterentwicklung von Sportarten

Viele neue Trendsportarten entstehen aus einem bereits etablierten Sport. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten, sagt Benjamin Büscher. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sportinstitut der TU Dortmund und beschäftigt sich in seiner Forschung unter anderem mit Trendsport. Manche Trends entstehen, indem bereits existierende Sportarten miteinander kombiniert werden. Dies sei beispielsweise beim Unterwasserrugby der Fall. „Andere Trends entwickeln sich durch eine Veränderung des Sportgeräts“, so Benjamin Büscher. Ein Beispiel dafür sei das Longboarding, welches in der Sportwissenschaft oft als Subtrend bezeichnet werde – eine meist leichtere, hier materielle, Abwandlung des Ursprungssports. Das Longboard ist eine Variante des Skateboards.

Infos zu Benjamin Büscher
Benjamin Büscher, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sportinstitut der TU Dortmund. Foto: Benjamin Büscher
  • Seit 2019 – Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sport und Sportwissenschaften der Technischen Universität Dortmund

Arbeitsbereiche: Sportpädagogik und Sportsoziologie
Lehre: Sportsoziologie, Trendsport und Rollsport

  • Schreibt aktuell seine Dissertation zum Thema „Skateboarding in pädagogischer Inszenierung“
  • Geschäftsleitung des Dortmunder Zentrums für Schulsportforschung
  • 5.10 bis 7.10.2023 – Ausrichter der Tagung „Skaten und Klugschei$en“ von der dvs-Kommision „Sport und Raum“ (Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaften)

Laut Benjamin Büscher gibt es drei Wege wie ein Trendsport entstehen kann. Er sagt: „Eine Sportart kann ganz klassisch von Null an erfunden werden. Das ist allerdings in den seltensten Fällen so, denn oft sind die Sportarten, die wir als Trendsport verstehen, eher Weiterentwicklungen bestehender Sportarten.“ Eine Sportart könne zudem auch ein Trend werden, wenn sie bereits an einem Ort etabliert ist, dann aber erst in anderen Ländern beziehungsweise Kulturen ins Interesse der Öffentlichkeit gerät. „Dann wird von einem Import gesprochen “, sagt Büscher.

Daher sei es in der Sportwissenschaft wichtig, die Umgebung zu betrachten. Denn Trend sei nicht gleich Trend. „Es sollte immer geschaut werden, in welcher Umgebung und für wen es ein Trend ist“, sagt Büscher. In der Schule beispielsweise könnten auch neue Inhalte, die nicht im traditionellen Schulsport verankert sind, als Trendsportarten bezeichnet werden, obwohl diese möglicherweise in anderen Bereichen schon etabliert sind.

Vom Trend zum etablierten Sport

Nachdem eine neue Sportart erfunden worden ist, wird diese zuerst nur von kleinen Gruppen ausgeübt. Zu Beginn wird die Sportart daher vor allem von Pionier*innen innerhalb der eigenen Szene getragen. Das geht aus der Forschung “do the right things – Trends im Feld des Sports” von Sportwissenschaftler Jürgen Schwier hervor. „Nach dieser Pionier-Phase erlebt der Sport eine Phase der Innovation, in der die Sportart verfeinert wird und beispielsweise die Sportgeräte verbessert werden, um auch mit ersten Serienproduktionen und Vermarktungen durch kleine Firmen zu starten“, so Benjamin Büscher.

Für einen Trend ist es wichtig, dass sich dieser über einen längeren Zeitraum hinweg konstant im öffentlichen Interesse hält. Nur dann kann daraus ein etablierter Sport werden. „Wenn eine Sportart sich lange genug im öffentlichen Interesse hält, dann bilden sich in einer Phase der Reife Strukturen heraus. Sportvereine und Schulen integrieren den Sport in ihr Angebot und dann stellt sich irgendwann die Frage, ob es noch ein Trendsport ist.“

In der abschließenden Phase gäbe es dann nur zwei Möglichkeiten. Entweder der Sport werde in den Kanon der etablierten Sportarten aufgenommen und als Standard in allen Institutionen verankert, wie zum Beispiel der Sportberichterstattung und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Oder er verschwinde weitestgehend aus dem öffentlichen Interesse, so Sportwissenschaftler Benjamin Büscher.

Bouldern – ein Trendsport auf dem Weg zur Etablierung

Mittwochabend, 19.15 Uhr. Treffpunkt: Boulderwelt Dortmund. Der Parkplatz ist fast voll. Für alle Autofahrer*innen ist Suchen angesagt. „Das ist ziemlich normal“, sagt Jan Holub. Er ist 34 Jahre alt, von Beruf Software-Ingenieur und in seiner Freizeit begeisterter Boulderer.

Jan Holub in der Boulderwelt in Dortmund. Foto: Milan Kuhaupt

Nach einem kurzen Halt in der Umkleide geht es direkt auf die Matten. Diese sind in der ganzen Halle unter den Wänden ausgelegt. Die Wände sind bis zu viereinhalb Meter hoch und müssen mithilfe von verschieden geformten Griffen erklettert werden. Das Ziel ist ein festgelegter Punkt im oberen Bereich der Wand, der Top-Griff. Anders als beim klassischen Klettern gibt es beim Bouldern keine Sicherung. Geklettert wird in Absprunghöhe und mit Bodenpolstern.

Jan hat seine Stretching-Routine beendet und geht auf die Suche nach einer Kletterroute an der Wand, die ihn anspricht, ihn herausfordert. Denn genau das mache Bouldern aus. An der Wand ist Erfolg ein großer Anreiz. Wer scheitert, versucht es erneut und holt sich Inspiration bei den anderen in der Halle. „Irgendwann kennst du die Leute“, sagt Jan. „Dann kommt man ins Gespräch und hilft sich gegenseitig.“

Ein Phänomen für die breite Masse

Bouldern sei ein gutes Beispiel, welches zeige, dass die Einfachheit eines Sports von entscheidender Bedeutung dafür ist, wie dieser von der Öffentlichkeit angenommen werde. In der Tendenz zeige sich deutlich: Ist es ohne große Hindernisse möglich den Sport auszuüben, dann ist es auch wahrscheinlicher, dass sich dieser durchsetzt, so Christoph Edeler. Er ist Leiter des Hochschulsports der Technischen Universität Dortmund. „Es ist wichtig, dass ein Trendsport niedrigschwellig ist. Es sollte möglichst wenige Rahmenbedingungen für die Ausübung geben. Wenn ich zum Beispiel Wellenreiten will, dann brauche ich die Anbindung zum Wasser. Und es ist deutlich komplexer und schwieriger zu lernen.“

Infos zu Christoph Edeler
  • Leiter des Hochschulsports der Technischen Universität Dortmund
Christoph Edeler, Leiter des Hochschulsports an der TU Dortmund. Foto: Felix Schmale
  • 2003 – 2007 Studium an der Deutschen Sporthochschule Köln
  • Seit 2007 – Dipl. Sportwissenschaftler
  • Seit 2010 im Hochschulsport
  • Seit 2014 – Leiter des Hochschulsports an der Technischen Universität Dortmund
  • Sprecher des adh-Beirats FISU Games 2025
  • Sportliche Interessen: Mountainbiken, Wellenreiten & Calistenics

Damit sich ein Trendsport etabliert, sind noch andere Faktoren wichtig. So spielen beispielsweise die Pionier*innen des jeweiligen Sports eine zentrale Rolle. „Bei vielen Trendsportarten, von denen man heute wahrscheinlich sagen würde, dass sie sich etabliert haben, hat es besondere Vorbilder gegeben. Beim Rennradfahren war das in den 1990er Jahren Jan Ullrich. Nach seinem Tour de France-Sieg ist plötzlich jeder Rennrad gefahren“, sagt Christoph Edeler.

Auch Benjamin Büscher vom Sportinstitut der TU Dortmund weiß um die Wirkung von Vorbildern: „Bei Trendsportarten hat man die Chance, etwas zu erreichen, das noch niemand zuvor geschafft hat. Das betont sehr stark das Können-Erlebnis und bindet an den Sport.“

Benjamin Büscher beim Skaten in der Skatehalle Dortmund. Foto: Milan Kuhaupt

Wenn beispielsweise eine völlig neue Bewegung gemeistert werde, dann habe dies einen starken Pioniercharakter. „Tony Hawk hat beim Skateboarding als erste Person den 900, eine zweieinhalbfache Drehung um die Körperlängsachse in der Halfpipe, auf einem massenmedial übertragenem Contest geschafft. Es geht immer darum, eine Person zu finden, die sich hervorhebt und den Sport in der Öffentlichkeit repräsentiert“, so Benjamin Büscher weiter. Das sorge vor allem über die sozialen Medien für große Aufmerksamkeit.

Trendsport – Marketingimage für die Sportindustrie

Entsteht eine neue Sportart, dann ergibt sich für Unternehmen oft eine Investitionsmöglichkeit. Sportgeräte werden neu entwickelt, Zubehör wird benötigt und der Sport muss beworben werden – braucht ein Marketing. „Ob sich ein Sport schlussendlich etabliert oder nicht, hängt natürlich auch viel mit der Sportberichterstattung und mit Werbung zusammen. Für eine neue Sportart ist es wichtig, dass diese konsequent in der öffentlichen Wahrnehmung bleibt. Daher ist es auch wichtig, dass viel und kontinuierlich darüber berichtet wird“, sagt Benjamin Büscher.

Auch dabei spielen die Pionier*innen des jeweiligen Sports eine wichtige Rolle. Beim Trendsport werden die Athlet*innen meist direkt durch Werbeverträge mit der Sportindustrie bezahlt und nicht rein durch das Sporttreiben, so Büscher. Für die Firmen ist das ein guter Einstieg in den Sport. Für die Sporttreibenden bietet sich durch die Kommerzialisierung oft eine Möglichkeit, Profi zu werden. „Über die Kommerzialisierung von Trendsport und die Einbindung von Vorbildertypen wird auch oft ein gewisses Image oder ein Lifestyle mitverkauft“, sagt Christoph Edeler, Leiter des Hochschulsports an der TU Dortmund.

Vor allem beim Wellenreiten und beim Skaten sei dies deutlich zu sehen. „Durch große Marken beim Wellenreiten wird zum Beispiel Kleidung auch von Menschen getragen, die den Sport nicht ausüben. Und durch die freiheitsliebende Darstellung des Sports steigt dann zum Beispiel auch die Nachfrage nach Surfcamps“, so Edeler. Mittlerweile sei Wellenreiten daher auch olympisch und es entstehe auch in Deutschland immer mehr Infrastruktur in Form von Wave-Pools.

Auch beim Bouldern ist diese Entwicklung zu beobachten. In ganz Deutschland gibt es heute über 500 Kletterhallen – 1989 waren es nur knapp 20. Außerdem haben sich Wettkampfstrukturen gebildet, seit 2016 gibt es die Boulder Bundesliga.

 

Beitragsbild: Milan Kuhaupt

Ein Beitrag von
Mehr von Milan Kuhaupt
KURT – Das Magazin: Schachboxen, Profitänzerin, Altenheim-Hunde
 Im Altenzentrum Maria Lindenhof helfen Hunde der mentalen Gesundheit der Bewohner*innen. Ein...
Mehr
Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert