Ab November soll es für deutsche Bürger*innen ohne großen Aufwand möglich sein, ihren Namen und Geschlechtseintrag mithilfe des neuen Selbstbestimmungsgesetzes offiziell zu ändern. Das jetzige Transsexuellengesetz würde damit abgelöst werden. Doch es gibt Kritik am Entwurf.
Im AStA-Seminarraum brennt an diesem Donnerstagabend noch Licht. Wer auf das Gebäude zugeht, sieht schon von außen eine Regenbogenflagge aus dem Fenster hängen. Vom Eingangsbereich, den weitere verschiedenfarbige Flaggen aus der queeren Szene schmücken, gelangen die ersten Gäste in den noch recht leeren Seminarraum. Pinke Lampions und Girlanden hängen von der Decke, während Lichter in allen Farben des Regenbogens flink über die Wände tanzen. Auf einem Tisch in der Ecke stehen verschiedene, bunte Cocktails bereit. Alle Tische und Stühle sind an die Seite gerückt, um in der Mitte Platz für die Tanzfläche freizuräumen. Etwas weiter am Rand stehen zwei Mikros vor einer Leinwand, auf der später die Songtexte zum Mitsingen zu sehen sein werden. Noch herrscht Stille im Raum.
Das Male-Ident-Queer Referat (MIQ) der TU Dortmund veranstaltet an diesem Donnerstag im November eine queere Karaoke-Party. Anders als der Name vermuten lassen würde, dient das Referat nicht nur zur Unterstützung für männliche queere Studierende, sondern für alle Studierenden, die sich selbst dem LGBTQIA+ Spektrum zuordnen.
Transsexuellengesetz in Teilen verfassungswidrig
Fynn Raschke gehört an diesem Abend zu den Organisierenden der Karaoke-Party und referiert seit April 2023 das MIQ. Fynn drückt allen Neuankömmlingen einen Klebezettel in die Hand, auf den sie mit einem Filzstift ihren Namen und ihre bevorzugten Pronomen schreiben sollen. Bei Fynn steht unter dem Namen lediglich ein Strich, der Nicht-Binärität ausdrücken soll. Nicht-binäre Personen identifizieren sich weder als männlich noch als weiblich und verwenden deshalb keine Pronomen. Fynn hat eigentlich einen anderen Geburtsnamen, nennt sich jetzt aber so, um einen für eine nicht-binäre Person passenden Namen zu haben. Der neue Name und Personenstand wurden allerdings noch nicht in offizielle Dokumente eingetragen. Das wäre aber theoretisch über das derzeit geltende Transsexuellengesetz (TSG) möglich.
Das TSG gibt es bereits seit 40 Jahren und wurde in weiten Teilen in den vergangenen Jahren als verfassungswidrig erklärt. Bis 2011 war es zum Beispiel notwendig, dass eine Person sich zwangssterilisieren lässt, eine geschlechtsangleichende Operation durchführt und sich von ihrem oder ihrer Ehepartner*in scheidet, um den Geschlechtseintrag ändern zu können.
Diese Regelungen wurden von Gerichten als verfassungswidrig eingestuft und aus dem Gesetzestext entfernt. Wie genau der Prozess einer Namens- und Personenstandsänderung mit dem TSG heute abläuft, kann Transberater Jonas Brandt erklären. Er selbst ist ein Transmann und begleitet in seinem Beruf bei der Transberatung Düsseldorf unter anderem trans*, inter* und nicht-binäre Personen (TIN* Personen).
Entwürdigende Fragen beim Gutachten
Brandt erklärt, dass die TIN* Person zunächst beim zuständigen Amtsgericht einen Antrag auf eine Namens- und Personenstandsänderung stellen muss. Dann bekommt sie Termine bei zwei unabhängigen Gutachter*innen. Diese stammen meistens aus dem psychiatrischen oder sexualmedizinischen Bereich und stellen spezifische Fragen, anhand derer sie beurteilen, ob die betroffene Person sich tatsächlich dauerhaft mit dem Geschlecht identifiziert, das sie angibt. Zuletzt entscheidet ein Gericht darüber, ob die Änderung des Namens und Personenstandes zulässig ist. Fällt das Urteil positiv für die antragstellende Person aus, ist nach vier Wochen die Rechtskraft des neuen Namens und Geschlechts erlangt und es gibt keine Rückverfolgung mehr auf den alten Eintrag.
Obwohl extreme Regelungen wie die Zwangssterilisation abgeschafft wurden, hält Fynn das TSG noch immer für entwürdigend und möchte es unter anderem deshalb nicht in Anspruch nehmen. Ein Kritikpunkt ist, dass bei den Gutachten sehr intime Fragen gestellt werden würden. „Fragen wie: Wie oft masturbierst du im Monat?“, sagt Fynn.
Die nicht-binäre Person verstehe nicht, was das mit dem eigenen Trans-Sein zu tun habe und warum das irgendjemanden etwas angehe. Doch auch ohne solche Fragen beschreibt Fynn diese Gutachten als „in keiner Weise zielführend, um in irgendeiner Weise jemandem sein Trans-Sein ab- oder zuzusprechen“. Fynn Raschke begründet das damit, dass Außenstehende nicht über die Geschlechtsidentität eines Individuums entscheiden könnten. Das wisse die Person immer nur selbst. Weil niemand die Gedanken und Gefühle eines anderen Menschen nachvollziehen könne, würden die Gutachter*innen oft anhand von Klischees beurteilen, ob eine TIN* Person sich mit dem Geschlecht identifiziert, das sie angibt. Typisch männliches oder weibliches Verhalten und Aussehen seien laut Fynn aber noch lange kein Indiz dafür, dass eine TIN* Person sich auch mit dem Geschlecht identifiziert, als das sie sich äußerlich präsentiert.
Hoffnung auf ein Selbstbestimmungsgesetz
Das Selbstbestimmungsgesetz, auf das Fynn und viele andere aus der Community hoffen, würde es trans-, inter- und nichtgeschlechtlichen Menschen erleichtern, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen beim Standesamt ändern zu lassen. Es wäre damit beispielsweise nicht mehr nötig, den Antrag für die Namens- und Personenstandsänderung gerichtlich genehmigen zu lassen. Außerdem bräuchte es nicht mehr zwei unabhängige Gutachter*innen, die beurteilen, ob eine TIN* Person sich tatsächlich mit dem Geschlecht identifiziert, das sie angibt. Stattdessen soll eine Selbstauskunft über die eigene Identität ausreichen.
Auch Transberater Jonas Brandt befürwortet ein Selbstbestimmungsgesetz. Im Gegensatz zu Fynn sieht er das TSG allerdings weniger kritisch. Bei den Prozessen, die Brandt begleitet habe, seien die Gutachter*innen sehr respektvoll gewesen. Die transgeschlechtliche Person habe verweigern können, sehr intime Fragen zu beantworten, ohne dadurch einen Nachteil zu erhalten. Ein negatives Gutachten habe er nur ein einziges Mal erlebt. Das habe daran gelegen, dass die Person Drogen genommen habe und somit laut Gutachter nicht das Ausmaß der Entscheidung begreifen konnte. Abgesehen von solchen Extremfällen würde es in der Regel nicht vorkommen, dass die Gutachter*innen der TIN* Person das Trans-Sein absprechen würden.
Queere Events als “safe space” für TIN* Personen
Zurück auf der Karaoke-Party schnappt sich um halb acht ein Mädchen mit pinken Haaren und einem gleichfarbigen Strickrock das Mikro und singt mit ihrer Freundin leidenschaftlich „Rules“ von Doja Cat. Das scheint das Eis auch bei den anderen Partygästen zu brechen: Viele stellen sich um die beiden Mädchen herum und tanzen und singen ausgelassen mit.
Die 20-jährige Maryam Cakan ist eine der Umstehenden. Sie finde es wichtig, dass es solche Veranstaltungen speziell für queere Menschen gibt. „Ich finde es unangenehm, in einen Raum zu laufen und erst austesten zu müssen, ob die andere Person nett ist und nicht queerfeindlich“, sagt sie. Dem stimmt die 17-jährige Emilia E. zu. Sie ist heute zum ersten Mal bei einer queeren Karaoke-Party und findet es super: „Das ist hier einfach ein safe space.“
Um viertel nach acht herrscht bereits eine heitere Stimmung und immer gibt jemand ein Lied zum Besten. Unter den Partygästen sind einige TIN* Personen. Dazu gehört auch die 24-jährige Physik-Studentin Glenn Kasimir. Glenn ist eine Transfrau. Während sie spricht, streicht sie sich immer wieder eine ihrer braunen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Bei anderen Veranstaltungen fühle sie sich oft nicht wohl, weil sie häufig ungewollte Aufmerksamkeit auf sich ziehe. „Hier kann ich einfach sein, wie ich bin“, sagt sie. Glenn hat wie Fynn und viele andere ihren alten Namen nicht offiziell ändern lassen, möchte das aber noch tun.
Ein langer Weg zur Selbstbestimmung
Bis Glenn und Fynn den Namen und Personenstand ohne großen Aufwand mit einem Selbstbestimmungsgesetz ändern können, kann es allerdings noch dauern. Nach jetzigem Stand soll das Gesetz im November 2024 in Kraft treten. Ein Sprecher des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) begründet die lange Wartezeit damit, dass für das Gesetz datentechnische Anpassungen im Personenstandswesen der Standesämter und Meldebehörden nötig seien. Diese würden eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen.
Jonas Brandt kann das nicht wirklich nachvollziehen. „Was ich problematisch finde, ist, dass man uns seit fünf Jahren verspricht, es kommt ein neues Gesetz und es passiert und passiert einfach nichts“, sagt er.
Scharfe Kritik am Gesetzesentwurf
Bisher gibt es nur einen Gesetzentwurf. Wenn dieser im November umgesetzt wird, wären damit aber noch lange nicht alle Probleme gelöst. Aus der queeren Community ertönt teilweise scharfe Kritik. So haben zum Beispiel mehrere LGBTQIA+ Vereine aus Dortmund im Oktober 2023 einen Offenen Brief gegen einige der geplanten Paragraphen im Selbstbestimmungsgesetz verfasst. Sie haben die Regelungen als unzureichend oder sogar als schädlich und diskriminierend für TIN* Personen beschrieben.
Einer dieser Paragraphen nimmt auf das Hausrecht Bezug. Dieses besagt, dass der oder die Eigentümer*in eines Grundstücks bestimmen darf, wer dieses Grundstück betritt und wer nicht. Das impliziert, dass zum Beispiel die Eigentümer*innen von Frauenschutzräumen weiterhin bestimmen dürfen, wer aufgenommen wird und wer nicht. Es ist also keine neue Regelung, sondern lediglich ein Aufmerksam-Machen auf eine Vorschrift, die bereits existiert. Die Nennung des Hausrechts sei laut Fynn schlicht überflüssig, weil Frauenschutzräume ja ohnehin immer selbst entscheiden können, wer hereingelassen wird und wer nicht.
Erleichterter Zugang in Schutzräume?
Manche Gruppen hätten Angst, dass Männer, die sich mit ihrem angeborenen Geschlecht identifizieren (cis Männer) und deshalb das Selbstbestimmungsgesetz gar nicht bräuchten, sich durch eine Änderung des Namens und des Personenstandes mit dem neuen Gesetz leicht Zugang zu solchen Frauenschutzräumen erschleichen könnten. Diese Sorge könne Fynn nicht verstehen: „Niemand würde einfach so den Namen und Personenstand ändern, weil das ja weitreichende Konsequenzen mit sich zieht.“ Außerdem werde bei Frauenschutzräumen ohnehin nur sehr selten der Personalausweis kontrolliert. Deshalb würde eine Änderung des Geschlechtseintrags im Ausweisdokument nicht automatisch dazu führen, dass eine Person Zugriff auf solche Räume bekomme. Ein weiterer Punkt, der bei dieser Debatte nicht vergessen werden dürfe, ist, dass einige cis Männer auch ohne Selbstbestimmungsgesetz in Frauenschutzräume eindringen. Das Problem würde also nicht erst mit einem neuen Gesetz entstehen.
Transberater Jonas Brandt sieht das etwas anders. Er arbeitet eng mit der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (DGTI) zusammen. Deshalb weiß er, dass es schon häufiger vorgekommen ist, dass Personen sich mit dem DGTI-Ergänzungsausweis Zugriff auf Schutzräume verschafft haben. Das Dokument ersetzt keinen Personalausweis, wird aber an vielen Stellen anerkannt „Eine transfeminine Person, die noch einen Penis hat und in ein Frauenhaus möchte, soll natürlich Schutz bekommen, aber vielleicht sind dort Frauen, die durch eine Person mit einem Penis traumatisiert wurden“, sagt Brandt. Der Schutzraum dieser Frauen dürfe nicht missachtet werden. Er findet es daher richtig, dass im Selbstbestimmungsgesetz das Hausrecht noch einmal aufgeführt wird. Denn es sei nicht der Sinn das neuen Gesetzes, uneingeschränkten Zugriff auf Schutzräume zu ermöglichen.
Umkehrung der Personenstandsänderung im Kriegsfall
Auch Paragraph neun des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes findet Fynn kritisch. Darin heißt es, dass in einem (bevorstehenden) Verteidigungsfall eine Personenstandsänderung von Transfrauen, die in den letzten zwei Monaten stattgefunden hat, rückgängig gemacht werden kann. Die Betroffenen können dann für die Wehrpflicht eingezogen werden. Wenn sich der Krieg über Jahre zieht, muss sich die Person dementsprechend jahrelang mit dem falschen Namen und Personenstand ausweisen. Diese Regelung kritisiert Jonas Brandt ebenfalls.
Dazu sagt der Sprecher des BMFSFJ, dass Transfrauen, die unmittelbar im Zeitraum des Spannungs- und Verteidigungsfalles ihren Personenstand geändert haben, nur rechtlich dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden. In allen anderen Lebensbereichen würden sie aber weiterhin als Transfrauen gelten. Zweck des Gesetzes sei es, eine Verweigerung der Wehrdienstpflicht durch das Ändern des Personenstandes vorzubeugen.
Ein weiterer kritischer Paragraph sei laut Fynn, dass die TIN* Person nach der Antragsstellung drei Monate warten muss, bis der Name und Personenstand offiziell geändert werden. Durch diese Sperrfrist soll gesichert werden, dass die betroffene Person sich mit ihrer Entscheidung sicher ist. Fynn bemängelt daran: „Das ist keine Entscheidung, die man mal eben so trifft. Deshalb ergibt diese dreimonatige Sperrfrist keinen Sinn.“ Dem stimmt Jonas Brandt zu. Das zeige auch die Detransitionsrate, die bei lediglich 0,07 Prozent liegt. So wenige Menschen, die ihren Namen und Personenstand ändern, machen das später wieder rückgängig, eben weil die Entscheidung meist sehr gut durchdacht ist.
“Es geht darum, sich nicht ständig rechtfertigen zu müssen”
„Grundsätzlich ist das Selbstbestimmungsgesetz unglaublich zu befürworten“, findet Fynn trotz allem. Am Ende sei das Ziel einfach nur, dass TIN* Personen nicht mehr mit diskriminierenden Gesetzen und Strukturen auseinandersetzen müssen. Viel zu oft müssten Transpersonen die eigene Geschlechtsidentität verteidigen, was die meisten Menschen auf der Welt nie machen müssten. „Es geht einfach um eine Selbstbestimmung und darum, sich nicht ständig rechtfertigen zu müssen“, findet Fynn.
Beitragsbild: Matthias Schaffartzik