Dortmunder Zoo im Wandel: „Wir müssen Respekt vor den Tieren vermitteln“

Der Dortmunder Zoo plant ein neues Zukunftskonzept: größere Gehege, ein schöneres Gelände, neue Attraktionen. Direktor Frank Brandstätter erzählt, wie er Artenschutz betreiben will und warum der Zoo für ihn mehr ist als bloßes Freizeitvergnügen für Familien.

Herr Brandstätter, wie können Zoos dafür sorgen, dass Tiere keine Verhaltensstörungen bekommen?

Da ist Fachwissen gefragt. Wir eruieren, wo der Grund für das Verhalten des Tieres liegt. Meistens sind es Kleinigkeiten, die Stress für die Tiere auslösen. Wir hatten so etwas vor kurzem mit unserem Seelöwenbullen. Wenn ein Tierpfleger im Gehege war, hatte der Bulle das Problem, dass er nur ins Wasser gehen und nicht an Land bleiben konnte. Das hat ihn unter Stress gesetzt. Es lag bei ihm also an der Strukturierung des Landteils. Meistens sind es Kleinigkeiten, die Stress für die Tiere auslösen. Ein weiteres Beispiel: Früher ist unsere Leopardin immer nur im Kreis gelaufen. Seitdem wir Pflanzen in der Mitte haben, kann sie sich dorthin zurückziehen. Sie fühlt sich sicher, wohl und hat nicht das Gefühl, angestarrt zu werden.

Was machen Sie mit Tieren, deren Verhaltungsstörungen Sie nicht mehr abgewöhnen können?

Damit müssen wir leben. Es sei denn, wir haben das Gefühl, dass sich das Tier damit selbst schadet. Ich habe es aber noch nie erlebt, dass Tiere Verhaltensstörungen hatten, die wir nicht ablenken konnten.

Der Dortmunder Zoo setzt gerade das „Zukunftskonzept Zoo 2023“ um. Was möchte der Zoo damit erreichen?

Im Dortmunder Zoo wollen wir Tiere in einer semi-natürlichen Umgebung zeigen und damit Geschichten erzählen – Geschichten, die die natürlichen Zusammenhänge zeigen. Das geht nur, indem wir die Tiere und ihre Lebensräume in einen Zusammenhang setzen. Der Fokus liegt auf Artenschutz und Umweltschutz. Die IUCN (International Union for Conservation of Nature) gibt vor, dass Tierhaltung im Zoo einem übergeordneten Ziel folgen muss. Sie ist nicht nur dafür da, dass wir die Tiere beobachten können. Deswegen verzichten wir auf zu viele Tierarten, damit wir die, die wir haben, unter den bestmöglichen Bedingungen halten können. Wir müssen Respekt vor den Tieren vermitteln.

Zukunftskonzept Zoo 2023
Im Dezember 2016 hat der Rat der Stadt Dortmund das „Zukunftskonzept Zoo 2023“ beschlossen. Damit soll der Zoo zum einen das Wohlbefinden der Tiere verbessern. Zum anderen soll er das Gelände für Besucher*innen attraktiver gestalten. Das Konzept beinhaltet ungefähr 40 Einzelprojekte. Dafür hat der Rat dem Dortmunder Zoo 31 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Ursprünglich sollte der Zoo das Konzept bis Ende 2023 fertigstellen. Voraussichtlich werden die Bauarbeiten aber bis 2025 dauern.

Wie bewerten Sie die Umsetzung des Zukunftskonzepts?

Mir geht es zu langsam – aber Faktoren wie die Lieferprobleme in der Bauindustrie können wir kaum beeinflussen. Wir hatten eine Zeit lang über zehn Baustellen parallel laufen. Da mussten wir aufpassen, dass wir den Überblick nicht verlieren.

Dr. Frank Brandstätter ist Direktor des Dortmunder Zoos. Foto: Stadt Dortmund

Gab es Hürden während des Zukunftskonzepts?

Mit dem Zukunftskonzept selbst nicht. Normalerweise geht man mit einem Zukunftskonzept in einen Diskurs, in dem Fall mit der Politik, und sagt: Ich brauche Geld. Beim ersten Zukunftskonzept hatten wir Glück, dass es anders war. Die Politik hat uns Geld gegeben und damit beauftragt, ein Konzept zu erstellen. Jetzt ist das Konzept abgeschlossen und es geht darum, wie wir weitermachen. Das heißt, wir treten mit der Fortschreibung dieses Konzepts wieder an die Politik heran und sagen: Dafür brauchen wir Geld. Das betrachte ich aber als eine normale Hürde.

Studien belegen, dass Tiere in Zoos oft verstörtes Verhalten zeigen. Eine Untersuchung zum Verhalten von Schimpansen in Zoos beispielsweise zeigt, dass alle 40 untersuchten Tiere abnormales Verhalten in mindestens einer Form zeigen. Sie aßen zum Beispiel ihren Kot. Warum lohnt es sich dennoch, in Zoos zu investieren?

Wir haben in Deutschland ein relativ hohes Zoo-Niveau. Leider ist das in den meisten europäischen Ländern nicht der Fall. Wir müssen in Zoos investieren, weil wir die Tierhaltung optimieren müssen. Zuerst müssen wir einen Bezug zum Tier herstellen. Im Zoo bieten wir ihnen einen Ersatzlebensraum. Wir müssen verhindern, dass Tiere in einen Käfig gequetscht werden, um angeschaut zu werden. Meines Erachtens gibt es viel zu viele Institutionen, die unter dem Namen Zoo firmieren und eigentlich altmodische Tiergefängnisse sind. Ein Zoo sollte sich sehr genau überlegen, ob er dem Tier die Rahmenbedingungen bieten kann, die es braucht. Die Zahl der Zoos müsste reduziert werden, auf die Zahl derer, die es gut machen. Wir zum Beispiel sind eingebunden in den Europäischen Zooverband. Der hat bestimmte Vorgaben. So könnte man sagen, Zoos werden nur noch anerkannt, wenn sie den Vorgaben des Verbands folgen.

Das Löwengehege ist eines der neuen Projekte im Dortmunder Zoo. Foto: Vincent Vogel

Welche Vorteile bringen die neuen Gehege des Zukunftskonzepts dem Zoo?

Die neuen Gehege werden die Tierhaltung verbessern. Sie werden dafür sorgen, dass die Menschen sich die Gehege lieber angucken als vorher und erkennen, dass es den Tieren gut geht, in der Hoffnung, dass es uns gelingt, mit den Erzählstrukturen mehr Aufmerksamkeit zu erwecken. Durch Forschungen von Studierenden haben wir zum Beispiel herausgefunden, dass wir bei den Felskängurus noch Büsche einsetzen müssen, damit die Tiere sich wohlfühlen. Diese Dinge sind für die Besucher und Besucherinnen wichtig. Sie gehen heute mit anderen Augen in den Zoo als früher. Ich glaube, dass die Menschen wissen und fühlen möchten, dass es den Tieren gut geht. Ich kann das garantieren, aber nicht immer kann der Mensch es erkennen. Wir müssen Strukturen schaffen, die natürlich aussehen. Außerdem ist der didaktische Ansatz wichtig. Wir haben eine Verpflichtung, naturkundliche Bildung zu vermitteln. Das muss unterschwellig auf eine Art geschehen, bei der die Besucher und Besucherinnen nicht das Gefühl haben, dass sie zur Schule gehen.

Sie haben gerade die neuen und größeren Gehege beschrieben. Laut Studien führen diese nicht zwangsläufig dazu, dass sich die Tiere wohler fühlen. Eine Untersuchung der Universität Bielefeld aus 2004 zum Beispiel belegt, dass Tiere, die in jungen Jahren ein krankhaft wiederholendes Verhalten gezeigt haben, das auch dann nicht geändert haben, als das Gehege verändert und vergrößert wurde. Wie kommentieren Sie das?

Das ist eine Frage der Tierpflege und kann sich verändern. Ich habe das schon sehr oft erlebt. Es gibt Tiere, die ihr Leben lang Stereotypien hatten und zu alt sind, um sie abzulegen. Das sieht man oft in alten Bärenparks, die ehemalige Zirkusbären aufgenommen haben. Die haben ein wunderschönes Gehege, sind aber oft schon alt. Trotzdem ist der Wohlfühlfaktor größer. Aber das Gehege allein macht es nicht aus. Es geht auch darum, wie wir die Tiere händeln und welche Freiräume wir ihnen lassen. Wir können einen Bären, der sein Leben lang in einem engen Käfig war, nicht einfach in eine riesige Anlage setzen. Der ist völlig irritiert, der fühlt sich dann ängstlich. Deswegen können wir ihm etwas bauen, was wie ein Käfig ist und es ihm überlassen, wann er herausgeht. Das können wir bei jedem Tier machen, es bedarf aber tierpflegerischer Geschicklichkeit. Deswegen setzen wir nur noch ausgebildete Zootierpfleger ein.

Die Tierhaltung in Zoos ist immer wieder ein Streitthema. Foto: Vincent Vogel

Kritiker*innen der Tierhaltung in Zoos plädieren unter anderem dafür, Zuchtauffangstationen einzurichten. Ist das auch für den Dortmunder Zoo denkbar?

Das machen wir seit Jahren. Keiner von uns erschießt ein Tier, nur weil es alt wird und gibt es weg. Es mag sein, dass es das in anderen Zoos gibt, aber in deutschen Zoos kommt es fast nicht vor. Wir haben hier viele Tiere, die alt sind. In der Natur wirft eine Löwin sechs Jungtiere, und nicht alle überleben. Im Zoo überleben alle. Wohin sollen die überzähligen Löwen? Irgendwann sind alle Zuchtstationen besetzt. Dann gibt es zwei Möglichkeiten. Erstens Verhütungsmittel, die aber negative gesundheitliche Effekte haben und zu Verhaltensstörungen führen können. Bei den meisten Tieren ist das Paarungsverhalten viel stärker als bei uns Menschen Teil des Verhaltensrepertoires. Wenn wir die Fortpflanzung verhindern, schränken wir die Tiere psychisch unheimlich ein. Für einen Zoologen geht das fast in Richtung Tierquälerei. Anders ist es, wenn ich die Zucht zulasse. Dann habe ich eine künstliche Aufzuchtsituation, also muss ich künstlich regulieren. Das heißt: Eine Löwin wirft sechs Jungtiere, und vier davon schläfert man ein, damit das Gleichgewicht erhalten bleibt. Das ist ein Punkt, der ethisch auf sehr viel Widerstand bei den Menschen stößt. Der Mensch interpretiert hier mit Menschenethik, aber Tierethik ist etwas anderes. Ich finde, wir sollten den Tieren nicht einen großen Teil ihres Verhaltensrepertoires nehmen, nur weil wir es nicht für ethisch halten.

Wo ist der Unterschied zwischen Mensch- und Tierethik?

Die Menschethik ist sehr altruistisch. Wenn Menschen ein behindertes Kind bekommen, kümmern sie sich darum, weil es ihr Kind ist. Wenn Tiermütter ein Kind bekommen würden, das behindert ist, würden sie es abschieben und töten, weil es unnötige Energie verbraucht. Diese Ethik ist sehr selbstbezogen. Wenn ich dieses Verhaltensrepertoire einschränke, nehme ich den Tieren einen wichtigen Teil ihres Lebens. Sie können ihren Lebenszweck nicht erfüllen.

Wie bekommen Zoos das klassische, schlechte Image weg?

Unser Ziel ist, nicht nur eine gute Tierhaltung darzustellen, sondern sie umzusetzen. Das ist ein entscheidender Schritt, um zu dokumentieren, dass wir schon seit langem weg sind von diesem Menagerie-Effekt. Wir haben kein Recht, Tiere zu halten, nur damit Menschen sie angucken können. Zoos dienen einem höheren Ziel. Deswegen rücke ich gerne den Freizeitcharakter des Zoos in den Hintergrund. Ich kämpfe seit Jahren dafür, dass der Zoo als kulturelle Institution angesehen wird und nicht als Freizeitvergnügen für Familien mit Kindern.

Bedeutung und Geschichte von Zoos
Zoos haben ihre Anfänge vor etwa 10.000 Jahren als Menagerien. Damals dienten die Tiere laut Recherchen des SWR und des WDR der Ernährung, indem sie geschlachtet und gegessen wurden. Ab dem dritten Jahrhundert vor Christus wurden Tiere erstmals zur Schau gehalten. Die Sumerer und Inder taten dies aus kultisch-religiösen Gründen. Ihren Höhepunkt fanden Menagerien in der Renaissance und im Barock. Zu dieser Zeit waren sie oft an königlichen Höfen oder bei Adligen zu finden. Die Käfige waren eng, denn über artgerechte Tierhaltung wurde früher kaum nachgedacht. Anders als Menagerien gingen Zoos in dieser Zeit schon einem Bildungsauftrag nach. Dennoch verbinden frühere Menagerien und Zoos eine Sache: die Idee einer Käfiglandschaft mit Tieren, die die Menschen sonst nicht zu Gesicht bekommen. Der älteste noch existierende Zoo ist der Tiergarten in Schönbrunn in Wien, den 1752 Kaiser Franz I. Stephan und Maria Theresia angeordnet haben. Mittlerweile gibt es weltweit schätzungsweise 10.000 Zoos.

 

Beitragsbild: Vincent Vogel

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