Politische Gewalt erreicht in Deutschland einen neuen Höhepunkt: Angriffe und Bedrohungen gegen Politiker*innen steigen seit 2017 rasant an. Extremistische Narrative und gesellschaftliche Spannungen verschärfen die Lage, sagt Präventionsforscherin Lotta Rahlf.
Lotta Rahlf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Peace Research Institute Frankfurt und spezialisiert auf das Thema Radikalisierungsprävention.
Kürzlich hat das Bundeskriminalamt eine Studie veröffentlicht, die einen neuen Höchststand politisch motivierter Kriminalität in Deutschland für das Jahr 2023 verzeichnet. Wie hat sich die Gewalt gegen Politiker*innen in den letzten Jahren entwickelt?
Die Entwicklung der politisch motivierten Gewalt in Deutschland ist alarmierend. Die Zahlen des BKA zeigen eine deutliche Zunahme, insbesondere seit 2017. Es ist wichtig, zu beachten, dass diese Statistiken nur die Fälle widerspiegeln, die zur Anzeige gebracht wurden. Die Dunkelziffer dürfte erheblich höher sein, da nicht jede verbale oder physische Attacke gemeldet wird. Besonders die Gewalt gegen politische Amts- und Mandatsträger hat sich in den letzten fünf Jahren laut BKA verdreifacht.
Welche Formen von Gewalt treten dabei am häufigsten auf?
Die häufigste Form der Gewalt spielt sich im digitalen Raum ab. Beleidigungen und Bedrohungen über soziale Medien sind an der Tagesordnung und die Dunkelziffer ist hier besonders hoch, da viele dieser Angriffe nicht zur Anzeige gebracht werden. Aber auch im realen Leben sind Politiker immer wieder Zielscheibe von Angriffen, insbesondere bei öffentlichen Veranstaltungen oder in ihren Büroräumen. Parteibüros wurden wiederholt attackiert. Das zeigt, dass politisch engagierte Menschen in ihrem täglichen Umfeld nicht immer sicher sind.
Welche gesellschaftlichen und strukturellen Faktoren begünstigen diese Gewalt?
Die zunehmende Gewalt gegen Politiker hat viele Ursachen. Ein wesentlicher Faktor sind die allgemeine Unzufriedenheit und das Ohnmachtsgefühl in der Gesellschaft, das durch Krisen wie die Flüchtlingskrise, die Corona-Pandemie oder die Klimakrise verstärkt wird. Populistische und extremistische Gruppierungen nutzen diese Unsicherheit, um ihre Narrative zu verbreiten. Sie bieten einfache Lösungen und Schuldzuweisungen an, die in sozialen Medien besonders gut funktionieren. Dadurch entsteht ein Feindbild, das in Gewalt gegen politische Vertreter münden kann.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Aufstieg populistischer Bewegungen und der Zunahme von Gewalt gegen Politiker?
Auf jeden Fall. Populistische Parteien, insbesondere am rechten Rand, profitieren von der Verbreitung solcher Feindbilder. Indem sie Ängste und Ohnmachtsgefühle aufgreifen und Sündenböcke präsentieren, tragen sie zur Polarisierung der Gesellschaft bei. „Diese geschürten Feindbilder legen die Grundlage dafür, dass im Ernstfall Gewalt als legitimes oder sogar notwendiges Mittel betrachtet wird. Der Chef des BKA hat kürzlich betont, dass jeder politische Akteur, der den sachlichen Diskurs untergräbt, zur Polarisierung beiträgt und somit indirekt Gewalt fördert.
In meinen Interviews mit jungen Politiker*innen fiel auf, dass zwar der Hass zunimmt, aber auch die Unterstützung durch die Bevölkerung wächst. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Das ist eine interessante Beobachtung. Es gibt tatsächlich zwei gegensätzliche Reaktionen auf die zunehmende Gewalt: Einerseits gibt es Menschen, die sich von der Gewalt einschüchtern lassen, was auch das Ziel vieler dieser Angriffe ist. Andererseits gibt es diejenigen, die eine „Jetzt erst recht“-Mentalität entwickeln und sich stärker für die Demokratie einsetzen. Es ist ermutigend, zu sehen, dass viele Menschen nicht bereit sind, sich einschüchtern zu lassen und stattdessen noch lauter für ihre Überzeugungen eintreten. Allerdings sollten diese sich auf ein umfassendes Unterstützungsangebot verlassen können, dass ihnen hilft, sich präventiv zu schützen und mit etwaigen Anfeindungen umzugehen.
Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung? Wird die Gewalt gegen Politiker*innen weiter zunehmen?
Das ist schwer vorherzusagen. Es ist jedoch klar, dass die gesellschaftlichen Spannungen und die Verbreitung extremistischer Narrative in den sozialen Medien die Gewaltbereitschaft weiter anheizen könnten. Es ist daher umso wichtiger, dass sowohl die Politik als auch die Zivilgesellschaft aktiv gegen diese Entwicklung vorgehen und sich für den Schutz der demokratischen Werte einsetzen.
Beitragsbild: Peace Research Institute Frankfurt