Während einer 90-minütigen Vorlesung konzentriert zu bleiben, fällt vielen Studierenden schwer. Stattdessen greifen sie zum Handy und lenken sich ab. Woran das liegt und wie wir unsere Aufmerksamkeit zurückbekommen – ein Essay.
Wenn ich im Vorlesungssaal meinen Blick durch die Menge schweifen lasse, ist es nicht zu übersehen. Es gibt diese eine Sache, von der sich nahezu jede*r Studierende ablenken lässt: das Smartphone. Warum ist das so? Liegt es daran, dass unser Handy die Verbindung zu Freund*innen und Familie ist, die wir vermissen, weil sie vielleicht weit weg wohnen? Oder sind es die Situationen, in denen wir erreichbar sein müssen, weil wir einen wichtigen Anruf erwarten? Das möchte ich herausfinden. Denn für all die Vorteile des Handys zahlen wir als Studierende einen hohen Preis: unsere Aufmerksamkeit.
Selbst wenn Dozierende dazu aufrufen, das Handy während einer Veranstaltung nicht zu benutzen, bleibt es präsent. Es liegt auf dem Tisch, der Bildschirm blinkt auf, vielleicht klingelt es sogar. Die Versuchung, nur einmal kurz draufzuschauen, ist riesig. Nach einer solchen Vorlesung erzählt eine Studentin: „Ich habe richtig Druck, ständig auf mein Handy zu gucken. Wenn ich es nicht benutzen soll, werde ich nervös.“ Warum kann unser Handy so etwas in uns auslösen?
Selbst das ausgeschaltete Handy lenkt ab
Sogar, wenn das Smartphone ausgeschaltet auf dem Tisch liegt, können wir uns deutlich schlechter konzentrieren und arbeiten langsamer. Das ist das Ergebnis einer Studie mit dem Titel „The mere presence of a smartphone reduces basal attentional performance“, die 2023 im Nature-Journal „Scientific Reports“ veröffentlicht wurde. An der Untersuchung haben 42 Personen teilgenommen. Die eine Hälfte hat während eines Konzentrationstests ihr Handy in einen anderen Raum gelegt. Die andere Hälfte hat denselben Test in Anwesenheit ihres Smartphones gemacht und deutlich langsamer und unkonzentrierter gearbeitet. Das gilt auch, wenn das Handy ausgeschaltet ist, nicht angeschaut wird oder der Bildschirm verdeckt ist.

Wie kann es sein, dass die bloße Anwesenheit des Smartphones so einen negativen Einfluss auf unsere Aufmerksamkeit hat? Jeanette Skowronek ist Doktorandin in der Klinischen Entwicklungspsychologie an der Universität Paderborn. Sie hat mit Prof. Dr. Sven Lindberg die Studie durchgeführt. „Das Handy ist unsere Bibliothek, unser Zugang zu Informationen, zur Welt und zu all unseren sozialen Kontakten“, sagt Jeanette Skowronek. Daher komme der Drang, immer wieder auf das Smartphone schauen zu wollen.
Zusätzlich könnte der Impuls, zum Handy zu greifen, durch die Gewohnheit entstehen. „Durch seine vielfältigen Funktionen stellt das Handy für uns eine dauerhafte Reizquelle dar. Sowohl unterbewusst als auch bewusst müssen wir es schaffen, diesen Impuls zu kontrollieren.“ Dafür brauche das Gehirn kognitive Ressourcen, die aber begrenzt seien. Skowronek erklärt: „Im Gegensatz zu anderen Gegenständen müssen wir das Handy aktiv ausblenden und können uns dadurch schlechter konzentrieren.“ Anders sei das zum Beispiel bei einer Kaffeetasse, „die natürlich den Zweck der Kaffeetasse erfüllt, aber sonst keine weiteren Informationen bietet“.
Räumliche Distanz schaffen
Aber wohin mit dem Handy? Damit die Aufmerksamkeit nicht durch das Smartphone gestört wird, sollten wir räumliche Distanz zum Handy schaffen. „Ausschalten reicht nicht, das Handy in die Schublade legen reicht nicht, das Handy in die Tasche legen reicht nicht“, betont Skowronek. „Das Einzige, was gegen diesen Effekt hilft, ist, es aus dem Raum zu legen.“ Allerdings brauche es dafür passende Strukturen in den Universitäten. Beispielsweise Schließfächer, in denen Studierende ihre Handys sicher in der Nähe des Hörsaals verstauen können. Solange es diese Strukturen nicht gibt, können wir das Handy zumindest in der tiefsten Ecke des Rucksacks verstauen. Mir kommt es so vor, dass mich mein Smartphone in der Tasche zumindest weniger ablenkt als auf dem Tisch.
Das Handy während einer Vorlesung nicht griffbereit zu haben – der Gedanke löst bei vielen FOMO aus. Ein Begriff, der aus dem Internet bekannt ist, den aber auch die Forschung verwendet. FOMO steht für „fear of missing out“ und beschreibt die Angst, etwas zu verpassen. Ständig sind unsere Gedanken bei einem Gruppenchat oder Handyspiel, in dem wir alles mitbekommen möchten. So kann FOMO dazu führen, dass wir uns schlechter konzentrieren. Ein Dilemma? Wenn wir das Handy bei uns haben, lenkt es uns ab und wenn es in einem anderen Raum liegt, lenkt uns FOMO ab? Die Forschung hat darauf eine Antwort: „Wenn uns das Handy plötzlich weggenommen wird, dann bekommen wir FOMO. Aber wenn wir wissen und selber entscheiden, dass wir das Handy rauslegen, dann entsteht keine FOMO“, erklärt Jeanette Skowronek.
Seminar- und Vorlesungsformate sollten sich ändern
Wenn unsere Aufmerksamkeit während einer Vorlesung abflacht oder uns langweilig wird, ist der nächste Dopaminkick durch unser Smartphone ganz nah. Deshalb sollte sich auch in der Lehre etwas verändern, damit Studierende weniger zum Handy greifen. „Der klassische Monolog und Vortrag funktioniert nicht“, meint Kim Hebben. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Hochschuldidaktik der TU Dortmund und beschäftigt sich vor allem mit digitalen Medien in der Lehre. „Wenn alle Studierenden am Handy oder Laptop sind, dann ist das nicht das Richtige, was Dozierende vorne machen“, sagt Hebben. Dozierende müssten die Vorlesungen spannender gestalten und die Aufmerksamkeit wecken, indem sie die Studierenden mehr miteinbeziehen.
Ein Appell der Hochschuldidaktik sei, dass Lehrende Vorlesungsinhalte in kleinere Einheiten aufteilen. Hebben erklärt: „Man sagt, dass nach circa 15 Minuten die Aufmerksamkeitsspanne drastisch nach unten geht. Das ist der Moment, in dem Dozierende einen Methodenwechsel machen .“ Ansonsten ließen sich Studierende leichter ablenken. Früher hätten sie in solchen Momenten mit dem Sitznachbarn geredet oder Zettelchen geschrieben. Heutzutage würden viele zum Handy greifen.

Dass Studierende gerne ihr Handy benutzen, können sich Lehrende auch zunutze machen. Indem sie Smartphones einbeziehen, entstehe eine größere Vielfalt an Methoden. Hebben betont, dass eine Umfrage oder ein Quiz die Lehre abwechslungsreicher gestalten. Das erinnert mich an eine Vorlesung, in der uns der Professor mit Umfragen den Zugang zu theoretischen Inhalten erleichtert hat. Dafür bewusst das Handy zu benutzen, war erfrischend. Auf diese Weise haben wir uns aktiv mit den Lerninhalten auseinandergesetzt und sie länger in Erinnerung behalten.
In Seminaren gibt es laut Hebben auch die Möglichkeit, Podcasts aufzunehmen oder KI zu benutzen. „Dozierende holen die Studierenden aus ihrem normalen Medienalltag ab.“ Gleichzeitig könnten Studierende damit ihre Medienkompetenz stärken und neue Skills erlernen. Denn „nur weil man privat den ganzen Tag auf Instagram oder auf TikTok ist, heißt das noch nicht, dass man unbedingt kompetent damit umgeht“, meint Hebben.
Smartphone statt Realität
Es ist kein Wunder, dass wir viel Zeit am Handy verbringen. Social Media und Handyspiele sind so konzipiert, dass wir möglichst lange in der App bleiben. Manchmal gibt es auch wichtige Nachrichten oder Anrufe, für die wir erreichbar sein müssen. Doch wenn es uns Studierenden während Vorlesungen schwerfällt, das Handy weg zu legen, entsteht auch die Frage: Bin ich süchtig?
Eine Handy- oder Mediensucht wird in Deutschland bislang nicht als Krankheit anerkannt. Anders als zum Beispiel bei der Computerspielabhängigkeit gibt es keine klassischen Kriterien. „Ob man die gleichen Kriterien auf ein Smartphone übertragen kann, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen. Wir verwenden sie aber schon, um festzustellen, ob tatsächlich Probleme vorhanden sind“, sagt Magnus Hofmann. Er ist Therapeut im Auxilium Reloaded, einer Einrichtung der Malteser in Dortmund für junge Menschen mit riskantem Medienkonsum. Hofmann unterstützt dort Jugendliche und junge Erwachsene, einen gesunden Umgang mit Medien zu finden.

Ein Kriterium für eine Abhängigkeit könne sein, dass jemand versucht, mit dem Handy negative Gefühle zu kompensieren. „Wenn wir Misserfolge erleben oder manche Dinge nicht so gut funktionieren, dann ist es nicht selten, dass wir auch zur Kompensation zu den Medien greifen“, erklärt Hofmann. Das sei aber nicht unbedingt problematisch. „Gesundheitsgefährdend wird es dann, wenn das Smartphone die einzige Möglichkeit wird, um unsere Gefühle zu regulieren.“ Anstatt mit Freunden oder Familie über Probleme zu sprechen, würden Betroffene online gehen und sich mit dem Handy beschäftigen. Hofmann sagt: „Die Voraussetzung für diese Abhängigkeit ist immer, dass es gar nichts anderes mehr gibt, dass es so dominant in meinem Lebensalltag wird, dass ich zum Beispiel eine Vorlesung oder Lerntreffen mit meiner Gruppe verpasse und letzten Endes sage, ich ziehe das Virtuelle dem Realen vor.“
Was können wir tun, wenn unsere Zeit am Handy zu viel wird? Hofmann empfiehlt, das eigene Medienverhalten zu reflektieren und sich zu fragen: „Über welches Thema möchte ich gerade sehr viel mehr wissen als über das Studium? Warum ist dieses Thema für mich gerade so wichtig? Gibt es vielleicht einen besseren Moment, um mich damit zu beschäftigen als jetzt in der Vorlesung?“ Es könne auch helfen, sich miteinander darüber zu unterhalten. Hofmann betont: „Ich finde es wichtig, dass wir einerseits sehr kritisch auf das Medienverhalten schauen. Andererseits sollten wir es nicht dämonisieren und die Möglichkeiten, die dahinterstecken und wie wir Medien gut und praktisch benutzen können, niemals vergessen.“
Der Umgang im Hörsaal
Wie sieht nach all den Erkenntnissen ein gesunder Umgang mit dem Handy aus? Nützt ein Verbot? Kim Hebben meint, dass Handys nicht verboten werden sollten. „Da sehe ich die Verantwortung der Studierenden, die alle erwachsen sind, die alle freiwillig studieren.“ Dementsprechend sollte man davon ausgehen können, dass Studierende in den Vorlesungen aufpassen, um etwas daraus mitzunehmen. Zusätzlich meint Hebben: „Wenn die Lehre attraktiv gestaltet ist, warum sollte ich dann zu meinem Handy greifen?“ Trotzdem sei das Handy in manchen Situationen unerlässlich. „Das Smartphone ist gleichzeitig die Verbindung zur Welt. Gerade, wenn man Familie, Kinder hat, muss man erreichbar sein.“
Anstatt eines Verbots braucht es eine größere Aufmerksamkeit, dass uns zum Beispiel bereits das ausgeschaltete Handy ablenkt. Dann können wir bewusst entscheiden, in welchen Situationen wir das Handy bei uns haben möchten – und in welchen nicht. Doktorandin Jeanette Skowronek meint: „Das könnten auch Dozierende machen, dass sie dieses Wissen verbreiten und sagen: Überlegen Sie sich, ob sie aus der heutigen Vorlesung das Handy rauslegen wollen, ob sie es abschließen wollen, zum Beispiel in Schließfächern.“
Magnus Hofmann findet den Austausch mit den Studierenden wichtig. Zum Beispiel könnten Dozierende fragen: „Aus welchen Gründen benutzt ihr das Handy oder warum glaubt ihr, dass ihr das benötigt? Ich glaube, eine gute, profitable und auch gesundheitsberücksichtigende Lösung kann nur im Dialog gefunden werden.“
Was es zu tun gibt
Wie sollten wir nun mit Handys im Hörsaal umgehen? Meiner Meinung nach ist ein Privileg des Studiums, für sich selbst verantwortlich zu sein. Dazu gehört auch, im Unialltag einen gesunden Umgang mit dem Smartphone zu finden. Zum Beispiel, indem wir unser Handy während Lernphasen in einen anderen Raum legen. Es ist definitiv einen Versuch wert, das zuhause auszuprobieren.
Für mich persönlich funktioniert das sehr gut. Seitdem ich es zum ersten Mal ausprobiert habe, lege ich mein Handy regelmäßig in einen anderen Raum. Ich bin fokussierter und bleibe länger aufmerksam. Außerdem gefällt mir die klare Abgrenzung zwischen der Zeit am Handy und der Zeit zum Lernen. In der Universität fällt die räumliche Distanz schwer, weil bisher die passenden Strukturen fehlen. Deshalb verstaue ich mein Handy so tief in meiner Tasche, dass ich während einer Vorlesung nicht danach kramen möchte. So greife ich zumindest nicht unbedacht zum Handy oder lasse mich durch den aufblinkenden Bildschirm ablenken. Aber natürlich gibt es Ausnahmen, Momente, in denen ich mich doch ablenken lasse.
Deshalb sollte sich auch die Lehre den Studierenden anpassen. Wenn unsere Aufmerksamkeit abnimmt, könnten Dozierende Handys aktiv einbeziehen. Auf diese Weise können wir neue Skills lernen und haben bei der Aufgabe mehr Freude. Allerdings gehört das Smartphone danach wieder in die Tasche. Trotzdem gibt es Situationen, in denen wir unser Handy benutzen, weil wir eine wichtige Nachricht oder einen Anruf erwarten. Es liegt in unserer Verantwortung als Studierende, in welchen Situationen wir unser Handy benutzen wollen oder nicht. Denn beim Blick auf unser Handy verlieren wir vieles um uns herum aus den Augen. Vieles, das gerade bedeutsamer ist – nicht nur während der Vorlesungen.
Wir sind eine Generation, die viel am Handy hängt. Wir alle vergessen dabei mal die Zeit oder hoffen, wir könnten durch witzige Videos Probleme vergessen. Das ist nicht unbedingt problematisch. Allerdings sollten wir immer mit kritischem Blick auf unser Medienverhalten achten und überlegen, wie wir uns damit fühlen. Es kann helfen, handyfreie Zeiten festzulegen, in denen wir beispielsweise spazieren gehen oder in der Vorlesung sitzen. Denn eins ist klar: Der beste Zeitraum, um sich auf sein Studium zu konzentrieren, ist im Hörsaal. Also entscheidet bewusst, wann ihr euer Handy in der Vorlesung wirklich braucht.
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