Interview: Wie die Neunte Kunst in Dortmund ihren Platz findet

Sophia Paplowski im schauraum: cartoon + comic

Seit dem vergangenen Jahr vergibt Dortmund einen Comicpreis und im schauraum: comic + cartoon dreht sich alles um die sogenannte Neunte Kunst. Was macht die Szene in der Stadt aus und warum wird ihr gerade hier so viel Aufmerksamkeit geschenkt?

Sophia Paplowski ist Bibliothekarin und betreut seit 2019 den schauraum: comic + cartoon in Dortmund. In dem Ausstellungsraum direkt gegenüber vom Hauptbahnhof geht es ausschließlich um Comics. Mit wechselnden Ausstellungen, Workshops und Lesungen möchte der schauraum mehr Bewusstsein und Anerkennung für die Kunstform schaffen. Zu einer Ausstellung zu den Simpsons kamen zuletzt knapp 30 000 Besucher*innen. Das Team des schauraum war auch am Auswahl-Prozess für den Comicpreis beteiligt.

Was macht für dich ein Comic aus?

Comics sind mehr als nur lustige Bildergeschichten, sie sind eine eigene Kunstform. Foto: pixabay.com/jirreaux

Der Comic ist eine Kunstform, die anderen Formen in nichts nachsteht, weil sie die gleichen Zwecke erfüllt. Comics dienen der Unterhaltung, sind ästhetisch ansprechend, aber auch immer ein Zeitzeugnis der jeweiligen Epoche, in der sie entstanden sind – und damit auch gesellschaftlich relevant. Wir haben im schauraum schon viele Themen gezeigt. Mit der aktuellen Black-Comics-Ausstellung beleuchten wir die Entwicklung der Schwarzen Comic-Geschichte von den Anfängen, die sehr rassistisch waren, hin zu einer gewissen Emanzipation und dem, wie es wünschenswert wäre. Wir hatten auch schon eine Ausstellung zum Zweiten Weltkrieg, in der es darum ging, wie Comics vor allem von amerikanischer Seite eingesetzt wurden. Deswegen würde ich sie als Zeitzeugnisse und Querschnitt der Gesellschaft beschreiben.

Welche Ursprünge hat der Comic?

Das ist gar nicht so unumstritten, dazu finden sich verschiedene Erzählweisen. Wir hatten eine Ausstellung, die Katzenjammer-Kids hieß. Darin ging es um die Auswanderergeschichte der deutschen Familie Dirks, die nach Amerika gegangen ist und dort die Katzenjammer-Kids, einen der erfolgreichsten Zeitungs-Comics, herausgebracht hat. Wir sind in unserer Erzählung mit der These eingestiegen, dass es sich dabei um den ältesten Comic der Welt handelt. Comics sind vor allem entstanden in Anlehnung an Max und Moritz, also als Bilderbögen, und haben sich dann schrittweise zu Comics mit Sprechblasen entwickelt. Die Ursprünge findet man definitiv in Zeitungen zur Unterhaltung.

Welchen Stellenwert hat der Comic für die Stadt Dortmund?

Mittlerweile hat er einen großen Stellenwert. Der schauraum war eigentlich ab 2019 auf drei Jahre ausgelegt, um zu sehen, wie er angenommen wird. Danach hat die Stadt Dortmund das Projekt entfristet. Danach hat die Stadt Dortmund das Projekt verlängert. Zusätzlich hat siedie Stadt einen Comicpreis eingerichtet, der mit 10.000 Euro dotiert ist. Dadurch werden die Szene und unsere Arbeit, mit der wir Dortmund als Comicstadt etablieren wollen, weiter gefördert. Außerdem ist unsere nächste Stadtschreiberin Ika Sperling erstmalig eine Comic-Zeichnerin. Sie wird ein halbes Jahr lang in der Stadt leben, arbeiten und ihre Eindrücke in Form einer Graphic Novel verarbeiten. Bisher waren die Stadtschreiber immer Autorinnen und Autoren, die aus der Roman- oder der Lyrikrichtung kamen.

Woher kommt Dortmunds Bestreben, eine Comic-Stadt zu werden?

Unter anderem in Frankreich sind Comics viel populärer als in Deutschland. Foto: pixabay.com/jackmac34

Ich glaube, das ist eine Symbiose aus ganz vielen Dingen. Wir haben mit dem Comic-Land und dem Comic-Haus zwei Läden, die sich schon sehr lange mit dem Thema auseinandersetzen. Die German Film & Comic Con findet in Dortmund statt und im Museum für Kunst und Kulturgeschichte gab es vor ein paar Jahren die Ausstellung Going West zu der Kunstform. Das Thema Comic ist deswegen hier gut aufgehoben. Mit der Etablierung des schauraum verstetigt es sich immer weiter. Wir haben ein Netzwerk aufgebaut, sind mit dem internationalen Comic-Salon in Erlangen gut verbunden und wurden auch schon eingeladen, uns das Comic-Festival in unserer Partnerstadt Amiens in Frankreich anzuschauen.

Außerdem ist die lokale Cartoon-Szene hier sehr vielfältig. Zu ihr gehört zum Beispiel Holga Rosen. Er zeichnet als Cartoonist unter anderem für die Ruhr Nachrichten. Lotte Wagner ist ebenfalls eine tolle Künstlerin, die auch Masterclasses und eigene Workshops organisiert. Das Dortmunder U bietet viele Workshops zu dem Thema an. Unter anderem gibt es dort einen Manga-Club. Durch sowas wird der Comic in Dortmund zu einem immer wichtigeren Thema.

Was möchte der schauraum leisten und vermitteln?

Das Thema Comic und Cartoon umfasst auch die Bereiche Graphic Novel, Anime, Manga – also das Gesamtthema. Wir möchten dem Comic – oder, wie man auch so schön sagt, der Neunten Kunst – die Bedeutung zukommen lassen, die er verdient. Das heißt, wir hängen hier hauptsächlich Comic-Originale an die Wand, in der Form, wie wir es auch in einem Kunstmuseum erwarten würden. Denn wenn wir uns die Zeichnungen anschauen, dann ist da nicht besonders viel Unterschied zwischen Gemälden in herkömmlichen Museen. Nur dass Comic-Künstler*innen für ihre Arbeiten ungefähr 100, 150 Seiten und mehr machen müssen.

Die Originale sind auch nicht so klein, wie wir das aus Comic-Hefte kennen, sondern teilweise sehr groß. Dahinter steckt eine wahnsinnige Arbeit. Comics kommen immer mehr im Mainstream an, besonders durch Marvel und DC. Aber ich denke, in der breiten Masse haben Comics oft einen schlechten Ruf. Mit unseren Ausstellungen und dem dazugehörigen Rahmenprogramm aus Comic-Lesungen, wissenschaftlichen Vorträgen, Kinoprogrammen und Workshops zeigen wir, dass Comic viel mehr ist als reine Verbrauchs- oder Kinderliteratur.

Welches Ziel hat die Preisvergabe des Dortmunder Comicpreises?

Er war ein wichtiges Signal, weil wir uns momentan in einer prekären Lage befinden, was Finanzierungen und Stipendien angeht. Es wird eher gekürzt als weiter ausgebaut. Für Comic-Künstler*innen ist es besonders wichtig, dass es diese Förderung gibt. Sie können mit ihrer Arbeit meist nicht auf herkömmliche Fonds oder Stipendien zurückgreifen, weil Comics nicht als Literatur oder Kunst gesehen werden. Daher fallen sie oft aus diesen standardisierten Bewerbungsverfahren heraus. Eine gezielte Förderung der Kulturszene im Bereich Comic anzubieten, ist deswegen besonders wichtig. Mit dem Preis ermöglichen wir, zumindest ein wenig länger an einem Projekt arbeiten zu können. Die Beschäftigungslage und die Besoldungslage bei Comic-Künstlern sind relativ prekär. Viele können davon nicht leben, machen Illustrationstätigkeiten oder zeichnen Comics als Nebentätigkeit zu ihrem Hauptjob. Die Szene nachhaltig zu fördern ist daher wichtig.

Wer hat diese Kriterien festgelegt und danach bewertet?

Feste Kriterien wurden erstmal nicht gesetzt. Wir haben lange darüber gesprochen, weil eine Vergabe, die erstmalig stattfindet, auch eine Art Signalwirkung hat. Der Begriff Comicpreis lässt eigentlich alles offen. Wir schließen beispielsweise Cartoons, Graphic Novels oder Mangas nicht aus. Comic steht stellvertretend für diesen gesamten Bereich. Wir haben uns auch nicht festgelegt auf nationale oder internationale Werke. Jedes Jury-Mitglied hat Vorschläge mitgebacht und dadurch wurde in der Runde der Selektionsprozess angestoßen. Dann haben wir viel diskutiert, um zu ermitteln, worauf sich alle einigen können. Am Ende konnten sich alle auf Hannah festelegen und waren sehr glücklich mit der Entscheidung.

Darum geht es in Gegen mein Gewissen
Das Cover von Hannah Brinkmanns Comic “Gegen mein Gewissen”. Foto: Hannah Brinkmann/avant-verlag

In Hannah Brinkmanns Comic „Gegen mein Gewissen“ geht es um die Wehrpflicht, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit der neu gegründeten Bundeswehr eingeführt wurde. Der Comic thematisiert auch die sogenannte Gewissensprüfung, der sich Kriegsdienstverweigerer unterziehen mussten. Im Grundrecht heißt es dazu: „Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden.“ Hannah Brinkmann erzählt die Geschichte ihres Onkels, der als überzeugter Pazifist versuchte, von seinem Recht Gebrauch zu machen und darzulegen, warum der Dienst an den Waffen gegen sein Gewissen wäre. Seine Bemühungen blieben vergeblich und er wurde eingezogen. Während seiner Zeit bei der Bundeswehr nahm er sich das Leben.

Warum ist es Hannahs Brinkmanns Werk “Gegen mein Gewissen” geworden, für das sie den Preis erhalten hat?

Zeichnung aus Hannah Brinkmanns “Gegen mein Gewissen”. Foto: Hannah Brinkmann/avant-verlag

Auch wenn es so transportiert wird, sehen wir es gar nicht unbedingt so, dass sie den Preis speziell für Gegen mein Gewissen bekommen hat. Es ist eher eine Würdigung ihres Gesamtwerkes und dessen, was sie für die Comicszene leistet. Das Werk haben wir exemplarisch dafür ausgewählt, weil es ein unfassbar wichtiges Buch ist. Leider gerade zu dieser Zeit wieder, wo über die Einführung der Wehrpflicht gesprochen wird, über Wettrüsten und mit der Kriegssituation in der Ukraine. Das heißt, dieser Comic leistet einen wichtigen Beitrag dazu, nicht zu vergessen, was schon passiert ist.

Ihr Werk ist außerdem unfassbar persönlich und ich finde, es erfordert sehr viel Mut, seine Familiengeschichte mit der Welt zu teilen. Hannahs Comic leistet einen wertvollen Beitrag, sowohl zur Comicgeschichte als auch zu unserer eigenen Vergangenheit.

Wie bewertest du die Entwicklung in den vergangenen Jahren, was die Sichtbarkeit der Kunstform in Deutschland angeht?

Wir sind noch lange nicht da, wo wir gerne wären. Wir wünschen uns, dass Comics gleichberechtigt neben anderen Veröffentlichungsform stehen. Gerade im Kinder- und Jugendbereich kommen immer mehr Comics auf die Shortlists von Literaturpreisen. Und es gibt die Berthold-Leibinger-Stiftung, die explizit einen Comicpreis vergibt. Seitdem wir den schauraum betreiben, habe ich aus meiner persönlichen Perspektive beobachtet, dass bereits sehr viel passiert ist. Wir bekommen immer mehr Anfragen von der Presse für Fernseh- oder Radioformate, die sich für das Thema interessieren. Wenn wir aber nach Belgien oder Frankreich schauen, erleben wir dort eine andere Art der Würdigung und des Stellenwerts von Künstler*innen. Dort ist die Sozialisation mit Comics eine andere als in Deutschland. Wenn wir uns ein bisschen abschneiden können vom Umgang mit Künstler*innen in anderen Ländern, sind wir auf einem guten Weg.

 

 

Beitragsbild: Tiziana Schönneis

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