Interview: „Dortmund mausert sich zu einer Comic-Stadt“

In ihren Comics greift Hannah Brinkmann politische Themen auf. Ihr Buch „Zeit heilt keine Wunden“ erschien letzten Herbst und handelt von einem Shoah-Überlebenden. Warum Brinkmann diese Themen aufgreift und was grafisches Erzählen für sie ausmacht.

Wie bist du zum Comic gekommen?

Ich bin durch Zufall dazu gekommen. Ich habe als Kind Comics gelesen, wie Asterix und Obelix oder Tim und Struppi. Das war mir aber nicht bewusst, als ich angefangen habe, Illustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg zu studieren. Ich wollte Geschichten erzählen und habe deshalb den Kurs Grafisches Erzählen bei Anke Feuchtenberger belegt. Erst da hat sich für mich die Welt der Comics eröffnet.

Was macht Comics aus deiner Sicht so besonders?

Es ist die Form, das Bild als Erzählmedium zu benutzen. Das Bild erzählt eine Ebene und das Wort beschreibt eine andere Ebene. Das ist sehr bezeichnend für das Medium, weil damit Ambivalenzen dargestellt werden können, wenn das Bild etwas anderes als der Text sagen kann. Für mich ist in meiner Arbeit interessant, dass ich mich dadurch viel mit historischen Themen beschäftigen kann und Bilder für etwas finde, für das es noch keine Bilder gibt. Ich kann unsichtbare Strukturen durch die Zeichnungen für mich sichtbar machen.

Welche Erfahrungen während deiner Studienzeit haben dein künstlerisches Schaffen besonders geprägt?

Portrait-Foto von Hannah Brinkmann
Hannah Brinkmann. Foto: Heike Steinweg

Das Prägendste war sicherlich meine Professorin Anke Feuchtenberger, die mir gezeigt hat, dass Comic ganz viel und eben auch Kunst sein kann. Sie hat mir Erzählformen gezeigt, die ich so noch nicht kannte. Meinen Master habe ich auch dort gemacht, weil ich bei ihr bleiben wollte. Das Buch „Gegen mein Gewissen“ ist während meines Studiums entstanden, der erste Teil im Bachelor und im Master habe ich es beendet.

Danach hatte ich ein starkes Bedürfnis, nochmal woanders hinzukommen, um neue Eindrücke zu gewinnen. Deswegen habe ich danach einen „Master of Research“ in London gemacht, weil mich auch die theoretische Seite von Comics interessiert hat. Es war sehr spannend, aber ich habe festgestellt, dass ich in die Praxis möchte.

Welche Geschichten möchtest du mit deiner Kunst erzählen?

Für mich sind historische Themen interessant. Gerade in meinen beiden längeren Büchern habe ich die Kontinuitäten der NS-Zeit in unserem bundesrepublikanischen System thematisiert. Das finde ich spannend, weil es zeigt, wie sie uns bis heute in unserem alltäglichen Leben noch beeinflussen. In Zeit heilt keine Wunden geht es um den Richter Kurt Weber, der sich als Opportunist dem NS-System trotzdem immer wieder beugt, um selbst Karriere zu machen. Man kann nicht den direkten Vergleich ziehen, aber Parallelen zu Friedrich Merz und der AfD erkennen.

Wie erlebst du die Szene in Dortmund?

Ich habe das Gefühl, dass der Schauraum ganz exemplarisch zeigt, wie viel hier für Comics getan wird. Durch so wahnsinnig hohe Besucherzahlen entsteht auch eine gewisse Aufmerksamkeit. Dortmund mausert sich zu einer Comicstadt. Ich finde es super, dass durch die Sammlung, die da angelegt wird, vielleicht sogar ein Comicmuseum entsteht. Der Dortmunder Comicpreis ist außerdem etwas ganz Besonderes. In den Literaturpreisen werden wir, wenn wir Glück haben, mal mitgedacht, aber das passiert alle Jubeljahre. Von daher ist das eine tolle Botschaft für Comic-Zeichner*innen in ganz Deutschland.

Wie entwickelt sich die Szene in Deutschland weiter?

Als ich angefangen habe zu studieren, war noch nicht so klar, dass ich heute in dem Beruf wirklich arbeiten kann. Über die vergangenen zehn Jahre hat sich schon einiges entwickelt, die Szene wächst. Die Bücher werden im Feuilleton besprochen werden, was ein großer Meilenstein ist. Aber Teil der Wahrheit ist auch: Es ist in Deutschland immer noch sehr schwer, davon zu leben. In Frankreich und den USA ist es anders, weil die Leute höhere Vorschüsse bekommen und es viel mehr Bücher gibt, die verkauft werden. Da ist noch viel Luft nach oben. Bis es wirklich in der Literatur- und Kunstszene ankommt, muss sich noch einiges tun.

 

 

Beitragsbild: KI-generiert, keine echte Abbildung, erzeugt mit Canva Image-Generator

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