Swipe me baby one more time! – Der Online-Dating-Dschungel

Handy in der Hand eines Menschen. Darauf ist ein Dating-Profil geöffnet. Drum herum schwirren noch etliche andere Fotos von Profilen.

Zwischen Märchen-Match und Match-Marathon. In der Online-Dating-Welt können wir uns gut und gerne zwischen Tausenden Profilen verlieren. Wie prägt das digitale Kennenlernen unser Liebesleben?

Nein. Nein! Ja. Ja?  Vielleicht? Nein. NEIN! So oder ähnlich geht es Nutzer*innen von Dating-Apps tagtäglich. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Anzahl der Matches auf Tinder laut dem Unternehmen fast verzehnfacht – von 10 Milliarden auf 97 Milliarden. Eine ernsthafte Auswahl in Sachen Partner*innen-Suche zu treffen, scheint heutzutage nahezu unmöglich.

Und dann ist da die verflixte Erschöpfung. Das oft nicht enden wollende Profil-Gewirr im großen Netz der Dating-Apps hat schon den einen oder anderen in den Swipe-Wahnsinn getrieben. Trotzdem gibt es wohl Menschen die sich nichts Besseres vorstellen können, als einen Sonntagabend auf der Couch zu verbringen. Nur um durch die etlichen Profile zu gehen, sich alles genau anzuschauen, am Ende tatsächlich die große Liebe zu finden oder doch lieber wieder zu allen Nein zu sagen.

Auf dem deutschen Markt gibt es aktuell rund 2500 verschiedene Anbieter für die Partner*innenvermittlung und insgesamt 11,5 Millionen Dating-Profile. Allen voran Spitzenreiter Tinder, dicht gefolgt von Bumble und Hinge. Das berichtet das Unternehmen AppMagic.

Ranking der beliebtesten Dating-Apps nach Anzahl der Downloads in Deutschland im Januar 2025 von KURT digital

Allein von den 18- bis 24-Jährigen haben 33 Prozent darin schon einmal ihr Glück gesucht. Bei den 25- bis 34-Jährigen sind es sogar 50 Prozent. Das vermeldet das Markt- und Meinungsforschungsinstitut „YouGov“.

Ob diese Entwicklung Fluch oder Segen ist, ist eine subjektive Wahrnehmung. Drei junge Menschen erzählen von ihren Erfahrungen mit der Partner*innen-Suche auf Dating-Apps.

Carla (19), Erzieherin in Ausbildung aus Dortmund

Carla hat in ihrem Leben schon einige Dating-Apps benutzt. Trotzdem ist sie wieder auf die herkömmliche Methode des Datings umgestiegen, das Kennenlernen im echten Leben. Dating-Apps nutzt sie nicht mehr.

Carla steht in einer Menge pinker Luftballons die von rechts oben nach links unten drapiert sind.
Carla inmitten pinker Ballons beim Besuch einer Ausstellung. Foto: Carla

Dating-Apps bedeuten für mich im Endeffekt einfach nur eine Menge Stress. Heute würde ich sogar sagen, dass ich eine Sucht entwickelt habe. Ich habe sie ständig benutzt, geswiped und geschaut, wer mir einen Like gegeben hat. Während meiner aktivsten Zeiten hatte ich dadurch drei bis vier Dates in einer Woche. Das ist komplett verrückt und ein großer innerlicher Stress.

So vielen Leuten auf einmal antworten zu müssen, war extrem. Gerade auch, weil ich eigentlich kein Freund des bloßen Schreibens bin. Es ist anstrengend, ständig die gleichen Fragen zu stellen und sich nie richtig öffnen zu können – auch, weil alle Dates irgendwie gleich sind.

 Lose Begegnungen

Irgendwann kommt man an den Punkt, an dem man unbedingt eine Beziehung über Dating-Apps finden möchte. Das ist etwas ganz anderes, als nur nach Bestätigung zu suchen. Zusätzlich ist das die totale Reizüberflutung. Durch die begrenzte Anzahl an Likes auf Tinder & Co. war ich schnell enttäuscht, wenn ich dann doch noch jemanden entdeckt hatte, der mir eigentlich gefiel.

Bei meinem ersten Treffen über eine Dating-App war ich 16 und der Typ 22. Im Nachhinein finde ich das schlimm. Damals habe ich es aber als positive Erfahrung empfunden und Gefallen an Dating-Apps entwickelt. Nachdem mit meinem Ex-Freund Schluss war, habe ich sofort sämtliche Apps runtergeladen. Das spricht irgendwie für sich.

Liebe auf Abruf (oder auch nicht)

Genutzt habe ich sie nur mit dem Ziel, mit Leuten Sex zu haben – nicht, um eine Beziehung aufzubauen. Ich bin die Dating-Profile akribisch durchgegangen, habe die Bios durchgeschaut, ausgewertet, und den „Vibe“ der Person erstmal „abgecheckt“. Die Auswahl zwischen den vielen Menschen ist mir dabei nie schwergefallen. Wenn es blöd gelaufen ist, habe ich jemanden geghosted.

Auf etwas Längerfristiges sind Treffen bei fast nie hinausgelaufen. Die kurzfristigen Abenteuer waren aber ganz nett. Mich mit Wildfremden zu treffen, fiel mir trotzdem schwer. Ich hatte Angst vor potenziellen Gefahren, habe mich gefragt, was ich tun würde, wenn der Mann komisch oder unangenehm ist. Etwas Schlimmes ist aber nie passiert, vor allem nicht auf Dates. Man bekommt eher komische Nachrichten. Speziell waren die Männer, die ich getroffen habe, alle. Einer hatte einen Großvorrat sämtlicher synthetischer Drogen zuhause.

Gekünsteltes Kennenlernen

Ob es realistisch ist, online eine ernsthafte Beziehung zu finden, weiß ich nicht.  Persönlich finde ich es schöner, jemanden im echten Leben kennenzulernen, wo das Ziel nicht von Anfang an klar ist. Das macht es in meinen Augen einfacher. Online lernt man sich in einem gekünstelten Rahmen kennen. Gerade, wenn man nur auf Sex aus ist, ist das Konzept des Ganzen komisch. Man trifft sich schon mit dem festen Gedanken, miteinander Sex zu haben. Obwohl man einander eigentlich gar nicht kennt.

Eine Person zu finden, mit der man online und genauso im echten Leben „matched“, finde ich schwierig. Mit Dating-Apps kann man sich viel einfacher inszenieren, Eigenwerbung machen, sozusagen. Man hat ganz andere Erwartungen. Im Endeffekt malt man sich schneller ein Bild von der Person, mit der man sich trifft, und wird dadurch schneller enttäuscht. Ohne dieses vorgefertigte Bild ist das etwas ganz anderes.

Alexander (26), Elektriker aus Dortmund

Alexander hat zwar seine große Liebe auf einer Dating-App kennengelernt, erneut online auf Liebessuche gehen würde er wahrscheinlich trotzdem nicht. Das große Glück findet man schließlich nur einmal, meint er.

Alexander mit seiner Frau Mandy bei ihrer Hochzeit
Alexander mit seiner Frau Mandy bei ihrer Hochzeit im Juli 2024. Foto: Alexander

Dating-Apps sind wie ein Katalog. Auf einen Schlag hat man dutzende Profile mit eigenen Beschreibungen, Bildern und Fakten vor sich, sodass man sich aussuchen kann, was einem gefällt. Im echten Leben könnte das so niemals stattfinden. Natürlich werden Menschen dadurch wählerischer.

An sich ist das Überangebot erstmal nicht verkehrt, sondern sogar gut. Alle haben die Chance, sich zu präsentieren, jeglicher Charakter. So findet jeder Topf den passenden Deckel. Die breite Masse kann aber schnell zur Schwäche werden. Die, die wirklich wahre Liebe suchen, werden übergangen oder finden das passende Match wegen irgendwelcher Algorithmen oder Suchparametern nicht. Wenn die besser funktionieren würden, würden sich viele Nutzer*innen viel wohler fühlen.

Schon bei den ersten Nachrichten kann man merken, ob das Match grundlegend passt. Sobald der erste Eindruck stimmt, kann man sich auf mehr einlassen. So habe ich das immer gemacht, wodurch mich die Menge nie überfordert hat. Über das Schreiben ging es bei mir aber selten hinaus. Nach ein paarmal hin- und herschreiben war schnell die Luft raus oder meine Anmachsprüche sind ins Leere gelaufen.

Die Nadel im Heuhaufen

Druck, auf Zwang für den bloßen Erfolg irgendwelche Frauen „abzuschleppen“, habe ich mir nie gemacht. Auf Teufel komm raus eine Partnerin finden wollte ich auch nicht. Es ist alles so gekommen, wie es kommen sollte. Darüber bin ich sehr froh. Das Profil meiner Frau hat mir damals direkt gut gefallen. Natürlich habe ich da sofort nach rechts gewischt. Als dann die Pop-Up Nachricht von Tinder, „Du hast ein Match“, kam, musste ich sie sofort anschreiben.

Nachdem wir fast pausenlos hin- und hergeschrieben hatten, haben wir uns nach zwei Wochen getroffen. Dadurch ist aus der Onlinewelt schnell die reale Welt geworden. Vier Monate später waren wir in einer Beziehung. Nach weiteren drei Jahren sind wir mittlerweile verheiratet. Das Gefühl, etwas Besseres finden zu können, hatte ich nie. Von Anfang an war mir klar, dass es niemand Besseren für mich gibt oder geben wird. Das hat mir meine Frau schnell gezeigt.

Mehr Glück als Verstand

Nach wie vor bin ich gegenüber Dating-Apps trotzdem eher negativ gestimmt. Die Idee an sich ist erstmal nicht verkehrt. Über die Umsetzung, also das Ergebnis, würde ich aber nicht das Gleiche sagen. Ich tue mich schwer dabei, es als gut zu bewerten.

Dass meine Frau und ich uns gefunden haben, war unfassbares Glück. Das ist aber die Ausnahme. Der Großteil der Nutzer*innen solcher Apps sucht eher andere Sachen als eine feste Beziehung – und die, die wirklich danach suchen, müssen aufpassen, nicht verletzt zu werden. Für den Neustart in die Dating-Welt gibt es trotzdem nichts Einfacheres und man kann langsam wieder eintauchen.

Rosalie (22), Studentin, Soziale Arbeit aus Jena

Rosalie sagt, sie konnte sich mit Dating-Apps weiter entdecken. Sie hat neue Beziehungsformen und neue Menschen kennen- und lieben gelernt. Warum sie trotzdem nicht erneut auf feste Partnersuche gehen würde.

Rosalie im Portrait, sie schaut in die Ferne
Rosalie bei einem Fotoshooting. Foto: Rosalie

Dating-Apps verringern für mich die Komplexität und Tiefe menschlicher Beziehungen. Dadurch kann es passieren, dass man in einer oberflächlichen, fast „verbrauchbaren“ Welt potenzieller Partner*innen stecken bleibt. Meine eigene Wahrnehmung von anderen Personen haben die Apps sehr verändert. Allein durch Profilbilder und kurze Beschreibungen habe ich dazu geneigt, Personen zu bewerten.

Gleichzeitig ist es praktisch, schnell herausfinden zu können, ob jemand ähnliche Interessen, Träume und Werte hat. Profile geben einen ersten Eindruck, wodurch schnell entschieden werden kann, ob potenzielles Interesse besteht.

Gemalte Bilder

Eine Absicherung dafür, dass die Menschen genau so interessant sind, wie sie wirken, ist das noch lange nicht. Trotz der Anziehung über die App ist es bei mir manchmal bei ein oder zwei Treffen geblieben, da es einfach nicht gepasst hat.

Manchmal hatte ich schon vor dem ersten Treffen das Gefühl, verknallt zu sein –nur wegen der Bilder, Beschreibung und der paar gewechselten Worte. In den meisten Fällen habe ich mich in ein absolut falsches Bild hereingesteigert, das ich in meinem Kopf kreiert hatte. Dadurch war ich oft enttäuscht von mir selbst, dass ich zu hohe Erwartungen hatte und die Personen total romantisiert habe.

Partner*innen vom Fließband

Die Menge an potenziellen Partnern hat mich oft überfordert. Dadurch habe ich das Gefühl bekommen, sie miteinander vergleichen zu müssen und mich gar nicht richtig festlegen zu können. Mit einer festen Beziehung als Ziel ist der Gedankengang schwierig. Wenn ich mit jemandem glücklich bin, möchte ich solche Gedanken nicht haben.

Teilweise habe ich mich mit mehreren Personen parallel getroffen und konnte mich oft nicht entscheiden, ob ich jetzt eine priorisieren sollte, oder beide Beziehungen weiterführen möchte. Mit den Dates war das immer kommuniziert.

Wisch und Weg

Durch die vielen Optionen wurde ich wählerischer und habe nach den perfekten Partnern gesucht. Gleichzeitig stand ich unter Entscheidungsdruck. Ich hatte oft das Gefühl, viel zu schnell entscheiden zu müssen, ob ich jemanden weiterhin treffen möchte. Dadurch verliert alles noch mehr an Tiefe.

Aufhören konnte ich auch nicht. Ich war quasi süchtig danach, immer wieder potenzielle Partner auszuchecken. Ich wollte auf die App gehen und swipen, swipen, swipen. Dadurch war ich oft viel zu gestresst. Teilweise war ich von den ganzen Chats so überfordert, dass ich einmal allen geschrieben habe, dass ich keinen Kopf mehr dafür habe, und die App gelöscht habe.

Die richtige Einstellung macht’s

Um Menschen kennenzulernen, die ich sonst vielleicht nie getroffen hätte, sind Dating-Apps eine tolle Möglichkeit – besonders für schüchterne Leute. Ich selbst bin aber sowieso eher eine „Outgoing-person“ und habe kein Problem damit Menschen anzusprechen. Trotzdem würde ich sie nur noch verwenden, um neue Leute kennenzulernen, oder für körperliche Nähe  – nicht, um mich zu verlieben.

Wenn man genau das sucht, ist Online-Dating ideal. Die Erwartungshaltung einer langfristigen Beziehung gibt es hier nicht. Dadurch kann man Leute viel ungezwungener kennenlernen.

Swipe-n-Social

Nach meinem Umzug habe ich Romantik und körperliche Nähe vermisst, wodurch ich auf Bumble gestoßen bin. Bei meinem ersten Date hat es zwar nicht sofort gefunkt, mit einer zweiten Chance haben wir uns aber wieder getroffen und ein halbes Jahr regelmäßig gesehen. Gemeinsam sind wir auf sexueller und körperlicher Ebene gewachsen, aber nicht emotional. Am „Dismatch“ vom ersten Treffen hatte sich nie viel verändert.

Anschließend habe ich jemanden kennenglernt, mit dem es sofort gepasst hat. Schokverliebt. Mit ihm habe ich zum ersten Mal eine polygame Partnerschaft ausprobiert. Wir haben uns viel darüber ausgetauscht und sind gewachsen. Ohne Dating-Apps hätte wir uns nicht getroffen. Auch jetzt sind wir noch befreundet.

 

 

Beitragsbild: Shutterstock/Tero Vesalainen

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