Klimaangst – Wie gehe ich damit um?

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Seit Jahren steigt die Angst vor dem Klimawandel in der Bevölkerung. Wie können wir mit diesem Gefühl umgehen? Unsere Autorin hat sich in Dortmund auf den Weg gemacht und dabei ihre Sicht auf Klimaangst stark geändert.

Unter meinen Schuhsohlen knistern die Steine. Weiter hinten höre ich die sanfte Strömung der Schondelle, die vor sich hinplätschert, neben mir quaken ein paar Wildgänse. Sonst ist es still. Es ist ein ruhiger Abend im Rombergpark in Dortmund, die Pflanzen funkeln in allen Lichtspielen der Farbe Grün.

Ich warte auf den Beginn einer Führung für Pessimist*innen im Klimawandel. Also eine Veranstaltung für jene, die sich über die Folgen des Klimawandels informieren wollen – und dabei dem Thema mit wenig oder kaum Zuversicht entgegentreten. Das Warum hinter dieser Einstellung ist leicht zu erfassen, etwa angesichts der überschrittenen 1,5-Grad-Marke im vorigen Jahr oder der vielen Hitzetoten durch den Klimawandel in diesem Sommer.

Aber genau hier frage ich mich: Ist Angst nicht ein Hindernis? Ich weiß von mir selbst, dass ich am besten arbeite und funktioniere, wenn ich Hoffnung habe, Mutsinn. Angst hingegen kenne ich eher als einschüchterndes, gar lähmendes Gefühl. Da ist Klimaangst doch kontraproduktiv, denke ich. Nicht wahr?

Klimaangst – was ist das?

Stephan Heinzel ist Professor für Klinische und Biologische Psychologie an der TU Dortmund. Foto: Hesham Elsherif

Eine einheitliche Definition für Klimaangst gibt es noch nicht, erklärt Stephan Heinzel. Er ist Professor im Lehrbereich der Klinischen und Biologischen Psychologie an der TU Dortmund. Einer seiner Schwerpunkte umfasst die psychische Gesundheit im Kontext der Klimakrise. „Klimaangst ist ein recht neues Konstrukt. Wissenschaftliche Beschäftigung damit gibt es noch nicht lange“, sagt er. „Klimaangst ist eine Angst in Zusammenhang mit der bewussten Wahrnehmung der Klimakrise und ihrer Konsequenzen.“ Die Personen müssen dabei keine eigenen Erfahrungen mit ängstigenden Situationen machen, wie etwa Extremwetterereignissen. Es reiche schon, diesbezügliche Nachrichten zu konsumieren. Klimaangst sei die Angst, die aus dem Bewusstsein für die Konsequenzen entsteht. Wichtig zu bedenken: Es ist keine Diagnose. „Klimaangst ist erstmal eine normale Reaktion auf eine reale Bedrohung“, erklärt Heinzel.

Wie viele Menschen haben Klimaangst?

Klimaangst zeigt sich aktuell immer stärker, laut Medienberichten vor allem bei jungen Menschen. Die erste große thematische Studie erschien im September 2021 im Wissenschaftsmagazin „The Lancet“. In der Studie wurden junge Menschen zwischen 16 und 25 befragt. 59 Prozent gaben an, sehr oder extrem beunruhigt zu sein. 45 Prozent sagten, ihre Gefühle zum Klimawandel würden sich negativ auf ihr tägliches Leben und ihre Funktionstüchtigkeit auswirken.

Psychologie-Professor Stephan Heinzel gibt zu bedenken, dass die Klimaangst nicht bei jungen Menschen Halt macht. „Was wir in repräsentativen Studien gesehen haben, ist, dass sich auch viele andere Bevölkerungsgruppen starke Sorgen machen.“

Klimaangst – wie kann das aussehen?

„Sagen Sie Ihren Partnern Lebewohl“, ruft Hendrik Denkhaus, der Guide der Führung, schelmisch und wir trennen uns auf. Die Führung ist zweigeteilt – die andere Gruppe, die Optimist*innen, wendet sich dem entgegengesetzten Pfad im Park zu. Und tatsächlich spalten sich viele Grüppchen auf, die zusammen gekommen sind: Partner*innen, Freund*innen, Familien. Eine Optimistin, eine ältere Dame mit weißen Locken, wartet keine Sekunde, um ihrem Partner ein patziges „Auf Wiedersehen“ hinterherzuwerfen, während sie sich der Gruppe der Optimist*innen anschließt, die in der leichten Überzahl sind. Ich grinse.

Hendrik Denkhaus ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Botanischen Garten Rombergpark. Foto: Stadt Dortmund.

Im Rombergpark gibt es verschiedene, nachgebildete Lebensräume dieser Welt, von Mammutbäumen der Sierra Nevada bis zu Eukalyptus aus Australien. Hendrik Denkhaus, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Park, erzählt uns von Arten weltweit, die auf Klimaveränderungen reagieren können, und denen, die es nicht können. Von der verschwindenden Taiga, von verloren gehenden Baumarten.

Ich höre mich bei den Besuchenden um. Was bewegt sie, an dieser Führung für Pessimist*innen teilzunehmen?

Klimaangst: Was sagen die Teilnehmer*innen der Führung?

„Für mich ist es das größte Problem, das es gibt, trotz aller Kriege – der Klimawandel hat meiner Meinung nach die weitreichsten, gravierendsten Folgen für die Zukunft“, meint Werner Kuhle, 63. „Ich lebe vom Glück des Augenblicks, aber wenn ich an die Zukunft denke, verschlechtert sich die Stimmung sofort.“ Neben Angst empfindet er auch Wut: „Ich bin wütend auf die Politik. Wir wissen schon seit 30 Jahren davon, und es ist noch nichts passiert.“

Wut empfindet auch Helen Dieckhöfer, 38, besonders über die Gleichgültigkeit auf der politischen Ebene. „Es würde mir Hoffnung machen, wenn die globale Politik den Klimawandel sehr viel ernster nehmen würde, aber ich glaube, es wäre naiv, damit zu rechnen.“ Sie hat vor allem Angst vor den Konsequenzen für jüngere Menschen. „Das ist ein Grund, warum ich froh bin, dass ich keine Kinder habe.“

Auch Levin Pollkläsener, 26, beschäftigt die Frage der Folgen für die kommenden Generationen. „Wenn ich daran denke, dass ich in den nächsten Jahren Kinder bekommen möchte, weiß ich ja gar nicht, wie deren Zukunft mal aussehen wird.“

Auch von Schamgefühlen berichten Teilnehmende: Der Klimawandel sei schließlich menschengemacht.

Gibt es therapeutische Strategien bei Klimaangst?

Laut Prof. Dr. Stephan Heinzel gibt es bisher wenig therapeutische Konzepte zur Klimaangst. Er verweist auf das ACT-Konzept (Akzeptanz- und Commitment-Therapie), das auch bei anderen Ängsten verwendet wird. „Darin geht es erstmal darum, dass wir die Situation wahrnehmen und akzeptieren. Wenn wir therapeutisch darangehen, ist es wichtig, dass wir nicht einfach die Angst wegnehmen oder reduzieren, sondern das Problem weiterhin anerkennen und die Angst kanalisieren in klimabewusstes Verhalten.“ Dies sei ratsam, sobald Klimaangst zu einer stärkeren Belastung wird. „Solange Klimaangst noch in einem mittleren Ausmaß ist und den Alltag nicht wesentlich beeinträchtigt, sehe ich keinen Grund, diese reduzieren zu müssen.“

Hilfsangebot:
Telefonseelsorge: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222

Klimaangst und das Gefühl der Machtlosigkeit

In der Führung im Rombergpark kommen die Menschen zusammen in ihren Gefühlen zum Klimawandel. Als ich sie frage, wie sie außerhalb der Führung mit ihrer Klimaangst umgehen, erzählen mir die meisten, dass sie ihre Angst fast ausschließlich mit sich selbst ausmachen. Obgleich sie denken, es sei sinnvoll, sich mit anderen auszutauschen. Und auf die Frage hin, was sich ändern müsste, damit sie zu der optimistischen Führung wechseln würden, zeichnet sich bei nahezu allen Antworten ein klares Bild ab: Menschen in machtvollen Positionen müssten sich mehr für den Klimaschutz einsetzen, denn einzelne Personen können nicht viel erreichen.

Hendrik Denkhaus kann den Pessimismus nachvollziehen, obgleich er sich selbst eher als Optimist sieht. „Das Ziel der Pessimisten- als auch der Optimistenführung ist es, die Leute zum Handeln zu bewegen. Es ist schon klar, dass wir nicht individuell den Klimawandel stoppen, sondern dass es dafür politische und wirtschaftliche Entscheidungen braucht. Aber das klappt eben nur, wenn wir das von unten auch wollen und fordern – und vor allem überhaupt erstmal informiert sind“, meint er.

Denkhaus schließt die Führung mit den Worten: „Es muss sich einiges ändern. Das passiert nicht, das ist bekannt. Wie kann man bei diesen Aussichten noch Optimist sein?“ Er legt eine nachdenkliche Pause ein und zuckt schließlich mit den Schultern: „Tja, da müssen wir die andere Gruppe fragen.“ Die Besuchenden lachen.

Klimaangst – Hindernis oder Motivation?

Mir fällt auf, wie vielschichtig Klimaangst ist. Die Besuchenden haben mir zeitgleich zur Angst von verschiedenen Emotionen erzählt. Stephan Heinzel erklärt: „Es ist ein falsches Verständnis, dass nur eine Emotion vorhanden ist. Es ist eine ganze Palette an Emotionen.“ In Studien habe sich gezeigt: „Neben Klimaangst haben Befragte auch eine gewisse Hoffnung, Trauer, Wut.“ Sein Fazit: „Aus dieser Gemengelage müssen wir eine Konstellation hinbekommen, die uns befähigt, aktiv zu sein und zu bleiben.“

Menschen gehen mit Bedrohungen wie der Klimakrise unterschiedlich um. Für die Einordnung ist es an dieser Stelle hilfreich, sich die klassischen Reaktionen von Lebewesen bei Bedrohungen anzusehen. Diese sind fight (kämpfen), flight (flüchten) und freeze (erstarren). Sie haben sich evolutionär durchgesetzt, weil sie funktional sind, also die Lebenschancen erhöhen, wie Stephan Heinzel erklärt. Wichtig zu bedenken, wenn wir dieses Konzept auf die Klimakrise übertragen: „Wir können vor dem Klimawandel, im Vergleich etwa zu einem Säbelzahntiger, nicht weglaufen. Wir können uns verstecken, aber er ist trotzdem da.“

In Bezug auf die Verhaltensoptionen bei Angst vor dem Klimawandel bedeutet dies:

Freeze: Vermeiden von thematischen Nachrichten/ Informationen, nichts mehr wissen wollen.

Flight: Gedankliches Fliehen, sich etwas anderes erzählen beziehungsweise an alternative, etwa den Klimawandel verharmlosende Erzählungen glauben.

Fight: Aktiv werden, sich für den Klimaschutz engagieren.

Klimaangst: Der Umgang damit ist entscheidend

Wenn Menschen in die Verdrängung gehen, sinke die Angst, wie Stephan Heinzel erklärt: „Für die Person selbst ist das kurzfristig eine gute Strategie, aber langfristig und für die Gesellschaft ist es natürlich eine Katastrophe.“ Die letzte Reaktion, fight, stellt die hilfreichste dar. Hier wandeln Menschen die Angst in etwas Konstruktives um. Mich fasziniert die Fight-Reaktion. Sie war mir auch zuvor bekannt in Form von Protesten, „No-Planet-B“-Schildern, aber ich konnte sie noch nicht so einordnen wie jetzt. Wie solch eine starke Motivation aus Angst entstehen kann.

„Vor einiger Zeit gab es die Hypothese: Ein bisschen Klimaangst sei gut, weil wir ins Handeln kommen, zu viel Klimaangst sei schlecht, weil wir dann blockiert sind und uns die Decke über den Kopf ziehen. Das hat sich nicht bestätigt“, erklärt Stephan Heinzel. Stattdessen gebe es eher einen positiven Zusammenhang. „Eine starke Klimaangst bringt die Leute mehr ins Handeln.“

Klimaangst und Klimaaktivismus

Malik Pätzold ist Mitglied bei Fridays for Future. Foto: Christopher Ising

„Ich glaube, die meisten Leuten betreiben Aktivismus, weil sie zu einem gewissen Grad Angst vor dem Klimawandel haben“, meint Malik Pätzold. Er ist Teil von Fridays For Future in Dortmund. Wir sitzen an einem ruhigen Dienstagmorgen auf dem Campus. Auch Malik Pätzold beschäftigt die Angst vor dem Klimawandel, aber er sieht sein Engagement bei Fridays for Future zeitgleich als Möglichkeit, Selbstwirksamkeit zu erfahren. „Wir haben ein Problem, und wir machen etwas dagegen – das hilft“, so beschreibt Malik die positive Wirkung. Manche Teammitglieder machen aber andere Erfahrungen: „Teilweise haben die sich mehrere Wochen Auszeit genommen, weil sie sagen: Das macht ja eh keinen Sinn mehr.“

Klimaresilienz – Burnout-Gefühlen vorbeugen

Sich einsetzen und dabei keine Ergebnisse wahrnehmen – daraus könne ein Burnout-Gefühl entstehen, wie Stephan Heinzel erzählt. „Es zu schaffen, aktiv zu bleiben und dabei nicht auszubrennen, bezeichnen wir als Klimaresilienz.“ Das bedeutet, die Bewältigungsfähigkeit langfristig zu erhalten und an neue Bedingungen anpassen zu können.

Lea Dohm und Malte Klar sind psychologische Psychotherapeut*innen und Mitglieder von Psychologists for Future. Laut ihnen ist individuelle Klimaresilienz „die psychische Fähigkeit und Ressource, Belastungen durch die Klimakrise gesund kognitiv, emotional, zwischenmenschlich und handlungsorientiert zu verarbeiten und so als Anlass für Entwicklung zu nutzen“.

Ein solches Verlieren der Hoffnung sei aber glücklicherweise eher selten und wenn, meist nur für eine gewisse Zeit. Vielmehr sieht Pätzold die positiven Wirkungen. Diese fänden vor allem auf den Demos statt. „Bei Demos ist ein Gemeinschaftsgefühl dabei. Wenn du mit vielen zusammen für etwas protestierst. Wenn du siehst, da sind andere Menschen, die das auch interessiert, ist das ein gutes Gefühl. Meistens geht es allen nach großen Demos ziemlich gut.“ Und: „Auch abseits der Demos ist es sehr hilfreich, wenn wir uns untereinander austauschen können mit Leuten, die ähnliche Ansichten haben und Gefühle damit verbinden.“

Besonders in Demos sieht Pätzold eine Möglichkeit, Gefühlen wie Ärger und Angst Ausdruck zu verleihen. Das würde er Betroffenen raten. „In der näheren Umgebung gucken: Wo kann ich aktiv werden? Das Handlungsfenster ist noch nicht zu. Man kann durchaus noch etwas bewegen.“

Fazit

Mit den Eindrücken der Recherche und Gesprächen der letzten Wochen schließe ich das Kapitel der Klimaangst mit einer neuen Sicht auf das Thema. Mir ist bewusst geworden, wie sinnig Klimaangst ist und wie wertvoll sie sein kann, eben gerade als Quelle der Motivation. Klimaangst zu haben, ist im Regelfall kein Problem, das es zu lösen gilt. Es ist eine sinnvolle Reaktion auf das Problem, das es zu lösen gilt. Klimaangst kann zwar kontraproduktiv und lähmend sein, aber sie kann auch motivierend und stärkend sein, je nachdem, wie wir mit der Situation umgehen. Und am besten sind wir hier ein Kollektiv, das zusammen ins Handeln kommt – zum Beispiel in Organisationen oder auf Demos, die nicht nur ein politisches Zeichen setzen, sondern auch Raum für diese starken Gefühle geben. Das hilft sowohl den Einzelnen als auch den Vielen am meisten.

 

Lust auf mehr?
Meine Kommilitonin Charlotte Huster hat eine Reportage zur Klimahoffnung geschrieben. Wir haben uns wie so viele Pärchen im Park aufgeteilt und Charlotte hat die Führung „Klimawandel für Optimisten“ im Rombergpark besucht. Was ist ein stärkerer Motor im Kampf gegen die Klimakrise? Hoffnung oder Angst? Hier kommt ihr zu Charlottes Text.

 

Beitragsbild: pixabay.com/sasint

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