Zwischen Blutpfützen und Leichensäften: Ein Tatortreiniger erzählt aus seinem Alltag

Eingetrocknetes Blut in den Holzdielen und Verwesungsgeruch an den Tapeten: Wenn ein Unfall, ein Gewaltverbrechen oder sogar ein Mord passiert, bleiben Spuren zurück. Die macht allerdings nicht die Polizei nach den Ermittlungen sauber – sondern Rüdiger Mertens. Der 40-Jährige ist Tatortreiniger in Dortmund und Umgebung. Im Interview berichtet er von seinen heftigsten Fällen und was ihm an seinem Job gefällt.

Herr Mertens, wie ist das, beruflich davon abhängig zu sein, dass andere Menschen sterben?

Mir hat ein Bekannter mal gesagt: „Du bist der erste, den ich kenne, der in seinem Job über Leichen geht.“ Im Endeffekt hat er recht. Das hört sich vielleicht makaber an, aber je länger eine Leiche liegt, desto mehr verdiene ich daran.

Und wie viel ist das genau?

Es gibt Wohnungen, die habe ich für 250 Euro gereinigt. Manchmal gibt’s aber auch zwei bis drei tausend Euro. Das kommt darauf an: Muss ich Wände herausreißen, muss ich sogar bauliche Veränderungen vornehmen? Gehört alles zum Job. Die Feuchtigkeit einer Leiche zieht ja auch die Wand hoch. Eine Tatortreinigung mache ich aber nicht jeden Tag. Ich mache auch Entrümplungen.

Sehen Sie die Leichen?

Die Leichen werden vom Beerdigungsinstitut abgeholt oder vom Gerichtsmediziner. Ich mache eigentlich nur das, was am Ende übrig bleibt.

Und was bleibt übrig?

In Unna hatte ich den Fall, da hat sich ein 18-Jähriger unter der Kellertreppe umgebracht. Er lag dort knapp zehn Wochen tot. Der Junge war bis unter die Zähne mit Waffen ausgestattet. Was ich da noch gefunden habe, war echt haarsträubend. Messer, Dolche und alles Mögliche. Ich bin natürlich auch in der Beweissicherung und muss dann die Mordkomission anrufen, wenn ich sowas finde. Im Endeffekt putze ich ja Spuren weg.

Was empfinden Sie, wenn Sie einen Tatort betreten?

Die ersten Gefühle sind immer Respekt. Respekt vor den Angehörigen, Respekt vor dem Tod. Teilweise beschäftigt mich dann auch die Geschichte. Wenn die Antidepressiva noch auf dem Nachttisch liegen. Man steigt ja in die Intimsphäre der Menschen ein, die dort gelebt haben. Und man sieht viel Einsamkeit. Ich habe mir mit der Zeit Marotten angewöhnt: Wenn Fotos an der Wand hängen, von den Leuten, die dort gewohnt haben, drehe ich sie um. Ich will mir nicht bei der Arbeit zugucken lassen. Was einen eher beschäftigt, sind die Umstände. Dass es den Nachbarn nicht auffällt, dass da jemand sechs, sieben Wochen tot in der Wohnung liegt und die Maden schon unter der Tür durchkriechen. Das ist schon manchmal der Egoismus der Menschheit.

Und denken Sie beim Arbeiten dann auch an den Mord oder Unfall?

Einmal kannte ich die getötete Person sogar. Da habe ich schon dran gedacht. Sonst schüttele ich das ab und bin wirklich voll in meinem Job. Das ist auch wichtig, weil ich Richtlinien einhalten muss. Jeder Fehler könnte gefährliche Folgen haben. Es gibt Bakterien, die haben eine Ansteckungszeit von mehreren Monaten, Jahren. Und wenn dann Nachmieter einziehen und sich infizieren, dann bin ich voll und ganz haftbar dafür. Das ist auch viel Verantwortung.

Wovon hängt das ab, ob Sie etwas sehr mitnimmt oder nicht?

Es sind Tiere beispielsweise. Ich hatte einen Fall, da hat eine Frau ihre Hunde wirklich elendig verrecken lassen. Den einen hat sie mit einem Spaten erschlagen, den anderen hat sie im Zwinger eingesperrt.

Ein anderes Mal war ich in der Wohnung eines Pädophilen, der in Untersuchungshaft saß. Die musste ich räumen, nachdem die Kripo alles mitgenommen hatte. Eigentlich. Ich habe dort trotzdem noch einen Mädchen-Slip gefunden. In solchen Situationen denke selbst ich noch: Kranke Welt. Man muss für den Job schon recht abgedroschen und ein Freak sein.

Verändert einen die Arbeit im Laufe der Jahre auch?

Man stumpft ab, auf jeden Fall. Man kann da nicht so oft drüber nachdenken sonst geht man kaputt. Ich kenne viele Leute, die nach der Schulung den Job nicht ausgeführt haben, weil es denen zu heftig war. Das ist wie Auto fahren. Man macht seinen Führerschein, aber der richtig gute Autofahrer wird man erst hinterher.

Wie geht denn ein richtig guter Tatort-Reiniger vor?

Arbeitsschutz ist ganz wichtig. Gummistiefel, Overall anziehen, Gasmaske, Handschuhe. Und aufpassen, wo man hintritt. Allein das Ungeziefer, das in den Wohnungen kriecht, war ja mit dem Leichnam in Verbindung. Fotodokumentation ist auch ganz wichtig, beispielsweise bei einem Erbschaftsstreit. Als Tatortreiniger sitzt man auch immer selbst mit einem Bein im Knast. Kann ja jeder behaupten, man hätte irgendwas mitgenommen.

“Ich gehe rein, wo andere rausgehen” –  in einen Tatort geht Rüdiger Mertens aufgrund der Infektionsgefahr nur in spezieller Arbeitskleidung. Foto: Rüdiger Mertens

Was empfinden Sie am Ende, wenn der Tatort sauber ist?

Ob ich jetzt in einem Fast-Food-Laden ein Klo saubermache oder einen Tatort – das ist mir ziemlich egal. Es ist halt ein Job. Mein Slogan ist: „Ich gehe rein, wo andere rausgehen.” Und dieser Vorher-Nachher-Effekt gibt mir schon das Gefühl: Haste gut hingekriegt.

Gibt es noch etwas am Beruf, das Ihnen ein gutes Gefühl gibt?

Man weiß das eigene Leben und seine Gesundheit zu schätzen. Ich war selbst mal drogenabhängig und tief unten, jetzt bin seit 14 Jahren clean, habe mir etwas aufgebaut. Ich habe Wohnungen von Junkies geräumt, die sich den Goldenen Schuss (Tod durch intravenösen Heroinkonsum, d. Red.) gegeben haben. Da dachte ich: „Guck mal, da hättest du liegen können.” Mein Job zeigt mir immer wieder diese Gegensätze: Das krasse Aufgeben, das Leben selbst beenden und das Weiterleben-Wollen.

Gewöhnt man sich eigentlich an den Verwesungsgeruch?

Irgendwann schon. Meine Frau ist auch in der Tatortreinigung tätig. Kürzlich haben wir unseren Hunden zu Hause neues Futter gegeben. Dann sitzen wir auf der Couch und denken: Was riecht denn hier so nach Leiche? Wir hatten doch alles desinfiziert. Also sind wir dem nachgegangen: Das Hundefutter hat genau wie so eine Tatort-Leichenwohnung gerochen – aber original! Die erste Zeit ist der Geruch ziemlich heftig, aber je öfter man sauber macht, umso mehr verschwindet das.

Und das Hundefutter kaufen Sie nicht mehr?

Doch, unsere Hunde essen das gerne (lacht).

Und jetzt geht es gleich zum nächsten Tatort. Wie ist die Stimmung?

Alles normal. Ich fahre gleich dahin, mache das sauber und räume alles, ist eine Messi-Wohnung. Die ganze Bude ist voll mit Pornos. Kistenweise. Aber naja, das ist nicht meine Sache. Ich entsorge das. Fertig. Und heute Abend gehe ich an meine Modeleisenbahn und alles ist cool.

Beitragsbild unter CC-Lizenz von jannoon028 / Freepik

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2 Kommentare

  1. says: Pierre Durand

    Vielen Dank für den Beitrag zum Berufsbild des Tatortreinigers. Mein Onkel möchte als Quereinsteiger in ein neues Berufsfeld wechseln und überlegt, Tatortreiniger zu werden. Gut zu wissen, dass man als Tatortreiniger häufig in die intimen Sphären der Opfer oder Angehörigen eintritt.

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