Ohne Arbeit heißt nicht gleich arbeitslos

Wenn ich keinen Job habe, bin ich arbeitslos. So einfach ist es jedoch nicht. Die Abgrenzung des Begriffs „Arbeitslosigkeit“ ist schwierig. Die Definition in der Politik ist nicht fest, sondern wird den Gegebenheiten angepasst. Eine kleine Änderung kann unter Umständen Auswirkungen auf die Erwerbslosenzahlen haben.

2.275.787 Arbeitslose in Deutschland. Das sagen die aktuellen Zahlen der Agentur für Arbeit für Juli 2018 – ein Rückgang um 241.858 im Gegensatz zum Vorjahr. Doch es ist schwierig die Arbeitslosenzahlen aus verschiedenen Jahren zu vergleichen. Denn immer wieder kommt es zu Änderungen, wer unter den Begriff der Arbeitslosigkeit fällt.

Von 1986 bis 2007 gab es die sogenannten vorruhestandsähnlichen Regelungen. Arbeitslosengeldempfänger über 58 Jahre galten nicht als arbeitslos und fielen in die Kategorie des Restbestands. Dieses Gesetz wurde 2008 umgeschrieben. Von da an galten Arbeitslosengeld-II-Empfänger über 58 Jahre, die seit mindestens 12 Monaten kein Jobangebot mehr hatten, nicht mehr als arbeitslos. Allein 167.850 Personen fielen im Juli diesen Jahres unter diese Kategorie. Ab 2004 galten „Teilnehmer an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen” nicht mehr als arbeitslos. Dazu zählen Personen in kurzfristigen beruflichen Weiterbildungen, sogenannten Aktivierungs- und Trainingsmaßnahmen. Auch Erwerbslose, die durch private Organisationen vermittelt werden sollen, zählen darunter. 597.367 fallen in diese Sparte und aus der „offiziellen“ Zahl an Arbeitslosen. Es gibt noch zahllose weitere Kategorien.

Der Trend zeigt deutlich: Die offizielle Arbeitslosenzahl nimmt seit Oktober 2014 ab. Zwischen Juni 2015 und Juni 2018 ist sie um 338.430 gesunken. Ein Vergleich zwischen mehreren Jahren ist nur unter gleichen Monaten möglich, da Saisoneffekte auftreten. Im Januar und August sind die Erwerbslosenzahlen immer etwas höher als in den restlichen Monaten des Jahres.

In den Kategorien, die nicht zu den offiziellen Arbeitslosenzahlen gerechnet werden, ist ein kleiner Anstieg der Erwerbslosen zu erkennen. Dieser ist nicht so groß, dass er dem Sinken der offiziellen Arbeitslosenzahlen entgegenwirkt, aber er schwächt ihn ab. Bei genauerer Betrachtung einiger Kategorien werden die Definitionsänderungen sichtbar (Schwarze Markierungen).

Definitionsänderungen im Wahlkampf

Über einen längeren Zeitraum betrachtet ist auffällig, dass die Definition, wer unter den Begriff der Arbeitslosigkeit fällt, meist kurz vor einer Bundestagswahl angepasst wird. Nicht erstaunlich: Denn die Änderungen haben meist den Effekt, dass die Erwerbslosenzahlen rapide sinken. „Die Definition von Arbeitslosigkeit an sich ist schwammig. Die jeweilige Regierung ändert kurz vor der Wahl die Definition so, dass es ihnen in den Kram passt, dass die Arbeitslosenzahlen sinken“, so Walter Krämer, Statistikprofessor an der TU Dortmund. Diese Änderungen scheinen sich in den vergangenen Jahrzehnten zu häufen. Dies läge zum einen daran, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland seit den 1980er-Jahren ein sehr präsentes Thema in den Medien und im Wahlkampf sei, so Krämer. Zum anderen habe „früher die Regierung nicht so häufig gewechselt.“ Mehr Jobs in Deutschland zu schaffen hat einen positiven Effekt auf die Wahlstimmen.

Eine Änderung des Gesetzes kann aber auch den gegenteiligen Effekt haben und die Arbeitslosenzahlen in die Höhe springen lassen. In Folge der Reform „Agenda 2010“ aus dem Jahr 2003 stiegen die Zahlen innerhalb eines Jahres um 380.000 Erwerbslose auf 4.860.909. Der Grund dafür war die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfen. Viele sind sich sicher: Diese Entscheidung hat Gerhard Schröder 2005 die Wiederwahl zum Bundeskanzler gekostet. 

Klare Ausschlusskriterien

Es reicht also nicht aus nur arbeitslos zu sein, um als Arbeitsloser aufgeführt zu werden. „Bei uns fällt jemand aus der Statistik raus, wenn er dem Arbeitsmarkt nicht unmittelbar zur Verfügung steht. Studenten und Kranke fallen damit schon mal raus“, sagt Walter Krämer. Als nicht arbeitslos gelten auch Menschen, die jünger als 15 und älter als 66 Jahre sind. Außerdem muss man 19 Stunden arbeiten wollen. Wer weniger arbeiten möchte, bekommt auch Hilfe vom Arbeitsamt, wird aber nicht als arbeitslos geführt.

Neben der Bezeichnung „Arbeitsloser“ gibt es andere Kategorien. Diese anderen Kategorien werden separat aufgeführt. In den Medien wird meist nur über die „offiziellen“ Arbeitslosenzahlen berichtet, die die anderen Kategorien nicht berücksichtigt. Durch die dauernde Veränderung der Arbeitslosendefinition im Sozialgesetzbuch (SGB) können die Zahlen nicht mehr verglichen werden. 

„Wirkliche“ Erwerbslosenzahlen höher

Um Vergleichbarkeit zu schaffen, müssten die „offiziellen“ Arbeitslosenzahlen mit den anderen Kategorien zusammengerechnet werden. Es gibt mehrere Plattformen, auf denen die „wirklichen“ Zahlen veröffentlicht werden. In die Statistik fließt zudem eine Schätzung der Stillen Reserve ein. Diese wird durch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erhoben. Zur Stillen Reserve werden Bürger ohne Arbeit gezählt, die nicht beim Arbeitsamt oder einem Jobcenter als erwerbslos gemeldet sind. Darunter fallen zum Beispiel Menschen in Beziehungen, die vom Gehalt des Partners leben, oder solche, die sich aufgrund der ungünstigen Arbeitsmarktlage nicht für einen Job bewerben. Allerdings gehören auch Bürger, die Fortbildungen besuchen, unter bestimmten Bedingungen in die Stille Reserve. Sie ist kein klar definierter Begriff. Zudem ist die Größe konjunkturabhängig, was die Schätzung zusätzlich erschwert.

Es gibt mehrere Internetseiten, die das Zusammenrechnen der einzelnen Puzzleteile übernehmen und die „wirklichen“ Arbeitslosenzahlen veröffentlichen. O-Ton Arbeitsmarkt ist eines dieser Portale. Die Seite ist eine Kooperation von drei Instituten und Vereinen, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, eine Alternative zur offiziellen Arbeitsmarktberichterstattung zu liefern. Immer wenn die Agentur für Arbeit ihren monatlichen Bericht zur Erwerbslosigkeit in Deutschland veröffentlicht, zieht O-Ton Arbeitsmarkt mit und veröffentlicht die Arbeitslosenzahlen, in denen die verschiedenen Kategorien und die Stille Reserve eingebunden werden. Im Juli 2018 betrug die Differenz ungefähr eine Million Arbeitslose.

Beitragsbild: pixabay.com/andreas160578, lizenziert nach CC0

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