Bianka Lammert ist Schauspielerin aus Leidenschaft – und Mutter. Wir haben sie im Theater begleitet und erfahren: Der Spagat ist zwischen Traumjob und Familie ist zwar anstrengend, aber möglich.
Zischend stößt das Bügeleisen weißen Dampf aus in der Garderobe des Kinder- und Jugendtheaters Dortmund. Es riecht nach frischer Wäsche, irgendwo poltert eine weitere Ladung im Schleudergang. Vor einem beleuchteten Spiegel steht Bianka Lammert – 39, Schauspielerin – und schminkt sich. „Es ist hart, dieses Stück alleine zu bewältigen. Aber hart sind Ein-Personen-Stücke eigentlich immer”, sagt sie und blickt prüfend auf ihr Make-Up.
Grundierung in ihrem Hautton, viel Puder, roter Lippenstift, schwarzer Kajal und Wimperntusche. Sie hat große Augen, die im Licht der Glühbirnen am Spiegel leuchten. Eine Spange hält die dunkelbraunen locken aus dem Gesicht. Familienfotos, Premierengeschenke und kleine Erinnerungen umrahmen den Spiegel. Bianka Lammert trägt einen Blaumann mit Handwerkergürtel, aus dem eine Möhre, eine Brille und ein Apfel ragen. „Das ist der eine Teil meines Alltags“, erklärt sie. Die Realität hat darin wenig Platz. „Im Theater darf ich spielen. Ich genieße es, mir die verschiedenen Rollen zu eigen zu machen.“ Den anderen Teil ihres Alltags dominieren seit einiger Zeit ihre Kinder.
Eine feste Stelle ist Gold wert
„Das funktioniert nur, weil Oli, mein Mann, auch am Theater arbeitet. Er ist Techniker und hat andere Dienste, sodass ich mit stolz sagen kann, dass wir uns die Kinder wirklich 50-50 teilen. Aber ohne Betreuung und meine Mutter wäre es trotzdem nicht möglich. Ich habe wirklich durch getimte Kinder.“ Viele Schauspielkollegen wollen hoch hinaus, ans Deutsche Theater in Berlin oder ans Burgtheater in Wien. 1953 gegründet ist das KJT Dortmund eines der ältesten Kinder- und Jugendtheater Deutschlands – und hat einen hohen Durchlauf bei den jungen Kollegen. Viele bleiben nur ein oder zwei Spielzeiten in Dortmund. Nur die „Alten“ sind seit Jahrzehnten dabei. Rainer Kleinespel, Andreas Ksienszyk, Bettina Zobel, Johanna Weißert, Bianka Lammert. Alles Namen, die die Dortmunder Theatergänger*innen in- und auswendig kennen – aber niemand sonst.
„Ich habe mich nun mal dafür entschieden, Kinder zu bekommen“, sagt Lammert. „Da ist eine feste Stelle Gold wert. Mir war das gar nicht bewusst, als ich mich auf der Schauspielschule beworben habe, wie schwierig dieser Beruf ist. Es ist einfach nicht immer alles sicher, ich krieg das bei anderen Schauspielerinnen mit, da ist dann meistens der Mann Lehrer oder so, damit die sich das Leben überhaupt leisten können. Hier am KJT mit Festanstellung ist das natürlich anders, da kann man über Jahre planen.“
Kurz die Welt retten, dann ab nach Hause
Das Haus ist in den Gebäuden eines ehemaligen Berufskollegs in einem Vorort untergebracht. Es lebt von Schulklassen und Stammzuschauern. „Nicht gerade das Burgtheater“, sagt Lammert. „Aber eben echtes Theater für echte Menschen.“ Sie zwinkert und lächelt mit so offenem und herzlichen Blick, dass man sie sofort zur besten Freundin haben möchte.
Die Requisiteurin, kommt herein. Sie blickt zu Lammert, fasst ihr mit einer Hand an den Oberarm. „Ich hab die Sahne vergessen“, sagt sie und rollt mit den Augen, „entschuldige, ich musste nochmal los, deshalb ist es so spät geworden. Hast du alles?“ Lammert fasst an ihren Gürtel, tastet mit den Fingern über die Taschen – „Ja ich glaub ich habe alles“, sagt sie. Sie verlässt die Garderobe und beeilt sich, in einen Nebenraum der Bühne zu kommen – im Foyer warten bereits die Zuschauer.
Der Raum ist eingerichtet, wie ein Klassenzimmer, grüne Kreidetafel, alter Fernseher, altes Waschbecken Tische und Stühle. Der Boden ist mit rauem grünen Teppich ausgelegt, der an vielen Stellen abgelaufen und bräunlich ist. „Zuckeralarm ist ein Klassenzimmerstück, mit dem wir touren“, erklärt Lammert. „Aber es gibt auch einige Vorstellungen für externe Interessierte, die wir hier am Haus spielen.“ Einzige Requisite ist ein großer Koffer, der ausgezogen als Herd- und Arbeitsplatte dient. Sie öffnet ihn, nimmt einzelne Gegenstände in die Hand, runzelt die Stirn. „Der Zitronenschaber fehlt“, sagt sie zu sich selbst. Dramaturgin und Regisseurin Isabel Stahl steckt den Kopf herein. Sie hat heute eigentlich keinen Vorstellungsdienst, springt aber für eine erkrankte Kollegin ein. „Noch zehn Minuten, Bianka“, sagt sie. „Du Isa, der Zitronenschaber fehlt“, sagt Lammert und verzieht den Mund. „Na toll. Da fühlt sich mal wieder keiner für verantwortlich. Hast du die Nummer der Technik?“, fragt Stahl und ohne eine Antwort abzuwarten, sagt sie: „Warte ich renne.“ Es ist 17.50 Uhr, ihre Kinder gucken gerade „Peter Pan“ im Fernsehen und Bianka Lammert wartet in grünem Blaumann auf einen Zitronenschaber, der eigentlich von der Requisiteurin hätte eingerichtet sein sollen.
„So ist das immer“, sagt Lammert. „Gerade die Klassenzimmerstücke werden am Haus ein bisschen stiefmütterlich behandelt. Dabei steckt da ja genauso viel künstlerische Arbeit drin.“ Sie streckt sich. Schaut aus dem Fenster, dann auf die Tür.
Isabel Stahl kommt zurück, bringt den Zitronenschaber und eine kleine Musikbox. Lammert probiert die Box aus, verloren ertönt eine James-Bond-Musik durch den Raum. Sie zieht einen beigen Mantel über. „Ich mach dann gleich Einlass“, sagt Stahl. Lammert nickt, geht von einer Ecke in die andere und spricht Text vor sich hin. Zweimal hin und zurück. „Mist, ich glaube heute entgeht mir was“, murmelt sie, schließt die Augen, fasst sich mit der Hand an die Stirn und macht ein Geräusch, als würde sie einen Reißverschluss schließen: „sssipp“. Dann verlässt sie den Raum. Beim Rausgehen rückt sie noch zwei Tische Kante an Kante.
Die Zuckermafia auf den Fersen
Isabel Stahl kommt erneut herein, sieht sich im Raum um und bittet schließlich die Zuschauer hinein. Kinder im Grundschulalter kommen mit ihren Eltern, es herrscht Stimmengewirr, sie rücken Stühle hin und her. Ein blondes Mädchen mit zwei geflochtenen Zöpfen und runder Brille baumelt mit den Beinen, die nicht bis zum Boden reichen. „Ich seh aber gar nichts“, sagt sie zu einer ebenfalls blonden Frau gewandt, die kurz die Augen schließt, tief ein- und ausatmet und schweigt. Stahl wartet, bis alle sitzen, dann heißt sie das Publikum herzlich willkommen und bittet darum „die Handys lautlos zu stellen.“ Kurzes Geraschel unter den Erwachsenen, viele fassen sich mit den Handflächen an Hosen- oder Jackentaschen, dann ist es wieder ruhig. Einige Kinder recken die Köpfe.
Es kann losgehen. Bianka Lammert alias Emma Stern stürmt herein. „Kein Ton“, raunt sie dem Mädchen mit den Zöpfen in der dritten Reihe zu und guckt sich um. In der Hand hält sie eine Möhre, wie einen Dolch. „Sie sind mir auf den Fersen.“ Die nächste Stunde wirbelt Lammert als Weltverbesserin Emma Stern im Klassenzimmer herum, klettert auf Stühle und Tische und erklärt, warum sie gegen die Zuckermafia kämpft. „Ich beschloss, die Welt zu retten“, sagt sie und holt eine Wasserflasche, ein Glas, eine Dose Cola und ein Paket Würfelzucker aus dem Koffer.
„Aber weil das so lange dauert, dachte ich, ich fang erst mal in meiner Siedlung an. Hier zum Beispiel diese Cola. Da sind dreizehn Stücke Würfelzucker drin! Glaubt ihr denn das schmeckt?“ Die Kinder nicken und lachen. „Dann probiert das mal“, sagt Lammert und schüttet einem Mädchen in der ersten Reihe ein Glas Wasser ein. „Tu da mal dreizehn Stücke Würfelzucker rein“, sagt sie. Das Mädchen präpariert das Glas sorgfältig und guckt dann zu Lammert hoch. „Na probier mal“, sagt sie. Das Mädchen trinkt einen Schluck, verzieht dann das Gesicht, die Mundwinkel gehen nach unten, sie streckt die Zunge raus. „Und schmeckt das?“, fragt Lammert. Heftiges Kopfschütteln, Gelächter im Publikum. Weiter geht es: Gegen die Zuckermafia, die Kinder fett und ungesund macht, für heimisches Obst und Gemüse.
Während sie spielt, bereitet Lammert auf ihrer kleinen Koffer-Arbeitsplatte einen Nachtisch zu. Aus Qaurk, Sahne, Apfel, Banane und geriebener Zitronenschale entsteht eine gesunde Alternative zu industriellen Süßigkeiten.
Beim Schlussapplaus lächelt Bianka Lammert. Ihre braunen Locken sind zerzaust, ihre Augen strahlen, sie sieht ihren Zuschauer*innen in die lachenden Gesichter. Jeder erhält beim rausgehen eine kleine Portion des im Stück zubereiteten Nachtisch – in essbaren Schälchen. Einige Zuschauer*innen gehen nicht raus, sondern umringen Lammert und stellen Fragen. „Für mich ist das überhaupt kein Problem“, sagt sie später beim Abbauen. Die Zuschauer*innen sind gegangen, sie sammelt ihre Requisiten ein. „Aber ich weiß, dass viele Kollegen da überhaupt keine Lust drauf haben. Die pflegen eine viel größere Distanz zu ihrer Rolle. Ich hab das Gefühl, ich spiele immer das, was ich auch bin. Bis zu einem gewissen Grat natürlich nur, aber trotzdem. Ich merke nur, dass ich mit dem Älterwerden immer mehr versuche, aus den Stücken etwas für mich mitzunehmen.“
Bananen, Möhren und Zitronenschaber sind im Koffer verstaut. Lammert nimmt ihn hoch und verlässt den Raum. In der Garderobe ziehen sich bereits die Schauspieler*innen für die Abendvorstellung um. Es wird „Tschick“ gespielt. Eine Maskenbildnerin kümmert sich um das Make-Up. Die Schauspieler*innen schminken sich nicht selbst, sondern lachen und plaudern, während sie warten bis sie dran sind. Eine junge kleine Schauspielerin ist noch nicht umgezogen, ihr Kollege mahnt zur sie zur Eile.
Nicht so super ehrgeizig
„Ich kriege das bei Kolleginnen mit, wenn sie sich aufregen, eine Rolle nicht bekommen zu haben“, sagt Lammert und wirft der jungen Kollegin einen schnellen Blick zu. „Aber ich bin nicht so super ehrgeizig. Ich bin froh, wenn ich abends mal zuhause bin.“ Sie holt ihr Portemonnaie aus der Tasche. Darin sind zwei Fotos: Ein Mädchen im Kindergartenalter und ein Junge im Strampler blicken aus großen Augen in die Kamera. „Ich bin gespannt, wie meine Kinder das später mal finden, was ich so mache“, sagt sie und betrachtet die Fotos. „Die sind ja noch so klein. Meine älteste spricht häufig meinen Text nach, wenn ich zuhause übe, aber ansonsten wirkt sie so neutral.“ Ein Lächeln geht über Lammerts Gesicht. „Nicht, dass sie das irgendwann peinlich finden.“
Sie verlässt den Raum. Während Zuschauer*innen in den großen Theatersaal strömen, geht sie mit schnellen Schritten zum Parkplatz. Wenn sie gut durch kommt, kann sie ihre Kinder noch ins Bett bringen. In der Garderobe vor dem beleuchteten Spiegel liegt eine vergessene Möhre.