Schlechte Nachrichten für faule Studenten: Bald könnte in NRW wieder eine Präsenzpflicht an Universitäten gelten. Isabel Pfeiffer-Poensgen, NRWs Wissenschaftsministerin, kündigte an, das Hochschulgesetz zu erneuern. Sie will das „starre Verbot von Anwesenheitspflichten in Seminaren“ abschaffen.
Seit der Änderung des Gesetzes 2014 darf die Anwesenheit von Studierenden nur bei Exkursionen, Sprachkursen und praktischen Übungen verlangt werden. Mit der Reform sollen Hochschulen wieder die Freiheit haben selbst zu entscheiden, ob sie regelmäßige Anwesenheit von Studierenden verbindlich verlangen, oder nicht.
Aber wie steht es eigentlich um die Anwesenheit der Studierenden? Ist eine Präsenzpflicht wirklich notwendig? Eine Umfrage von KURT an der TU Dortmund, bei der insgesamt 80 Studierende aus 9 verschiedenen Studiengängen befragt wurden, lässt das Gegenteil vermuten.
Insgesamt 70 Prozent der Befragten gaben an, mindestens drei von vier Vorlesungen im Monat zu besuchen. Nicht einmal 5 Prozent erscheinen grundsätzlich nicht zur Vorlesung. Dabei sind Vorlesungen erfahrungsgemäß wesentlich schlechter besucht als Übungen, Tutorien oder Seminare.
Zudem haben junge Menschen, die ein Studium aufnehmen, dieses aus persönlichem Interesse gewählt, und man sollte annehmen, dass sie reif genug sind, um selbst zu entscheiden, welche Lehrveranstaltungen sie besuchen, und welche nicht. Auch viele motivierte Studierende könnten beispielsweise aufgrund beruflicher oder familiärer Engagements gegebenenfalls den Ansprüchen einer Anwesenheitspflicht nicht nachkommen. Würde eine Präsenzpflicht also nur dazu führen, dass unmotivierte Studierende in Lehrveranstaltungen, die sie nicht interessieren, ihre Zeit absitzen?
Die Position “wenn die Lehre gut genug ist, braucht es keinen Zwang” ist gut gemeint, kollidiert aber aus meiner Perspektive auf studentisches Time-Management mit der Realität.
Prof. Dr. Holger Noltze, Institut für Musik und Musikwissenschaft
Fragt man die Professoren der TU Dortmund, wird schnell deutlich, dass der Sachverhalt doch nicht so einfach ist. Die 19 Lehrenden, die für Kurt ein Statement zur Präsenzpflicht abgaben, sind sich einig, dass man zwischen den Veranstaltungsarten unterscheiden muss. So sehen alle Befragten eine Anwesenheitspflicht bei Studienprojekten, Praktika und Seminaren als sinnvoll an. Hier gehe es darum, gemeinsam Ergebnisse zu erarbeiten, die die Beteiligung aller Teilnehmer erfordert. Zudem könne manches Wissen durch Selbststudium nicht ähnlich effektiv angeeignet werden.
Eine Präsenzpflicht ist unabdingbar in Veranstaltungen, in denen Studierende Vorträge halten, diskutieren und Experimente oder Erhebungen durchführen sollen. Kein Studierender will einen Vortrag nur vor dem Lehrenden halten, und Diskussionen gehen nur mit der Anwesenheit der Studierenden.
Prof. Dr. Christine Müller, Fakultät Statistik
Was eine Anwesenheitspflicht bei Vorlesungen angeht, teilt sich die Meinung der Professoren. Einige halten eine Präsenzpflicht für angebracht, da Professoren, die gute Skripte schreiben, dafür mit leeren Hörsälen bestraft würden. Andere wiederum befürchten durch Präsenzpflichten Störenfriede in ihren Vorlesungen. Ein Konsens der meisten Lehrenden besteht in der Erfahrung, dass Studierende, die regelmäßig zu Vorlesungen erscheinen, deutlich besser bei mündlichen Prüfungen abschneiden – und Drückeberger es mitunter schwieriger haben, Themen und Betreuer für Abschlussarbeiten zu finden. Prof. Dr. Sabine Hornberg vom Institut für allgemeine Didaktik und Schulpädagogik an der TU Dortmund hält die Möglichkeit für Hochschulen Anwesenheitspflichten für Studierende in “Abhängigkeit von jeweiligen Veranstaltung” festzulegen für sinnvoll, denn: “Die Universität eröffnet Lehrenden wie Studierenden vielfältige Möglichkeiten, miteinander und voneinander zu lernen und in diskursiven Austausch zu treten.” Dies könne nur gelingen, wenn grundlegende Dinge wie die Anwesenheit nicht jede Woche zur Disposition stünden.
Sollte die Anwesenheitspflicht wieder eingeführt werden, würde nicht die Bevormundung der Universitäten enden, sondern umgekehrt die Bevormundung der Studierenden beginnen
Julian Engelmann, AStA Sprecher Universität Münster
Die Studierendenvertretungen in NRW sehen in den Plänen der Wissenschaftsministerin eine Einschränkung der Studierfreiheit. Auch Markus Jüttermann, der AStA Sprecher der TU Dortmund, sieht eine Wiedereinführung der Anwesenheitspflicht kritisch.
Einen konkreten Termin für die Einführung der Präsenzpflicht gibt es bisher nicht. “Die Regelung der Anwesenheitspflicht wird im Rahmen der Novellierung des Hochschulgesetzes aufgegriffen” hieß es aus dem Wissenschaftsministerium. Dies werde aber noch einige Zeit in Anspruch nehmen, im Frühjahr 2018 könne man “erste Details erwarten”.
Faule Studierende können also aufatmen: von einer umfassenden Präsenzpflicht ist man noch weit entfernt. Außerdem ist eine Anwesenheitspflicht mit vielen studentischen Lebensentwürfen nicht vereinbar und daher keine Ideallösung. Dennoch sind Studierende, die häufig in Lehrveranstaltungen präsent sind, gegenüber den anderen im Vorteil, was sich laut Professoren auch in den Leistungen widerspiegle.
Teaserbild: Daniel Ullrich/flickr.com , lizenziert nach Creative Commons
Beitragsbild (via Juxtapose): Jan-Lukas Schmitt