„Wir wollen mit Oben-ohne-Protesten das weibliche Bild in der Gesellschaft wandeln“

Femen-Aktivistinnen Hellen Langhorst (l.) und Klara Martens (r.)

Vor sieben Jahren haben Klara Martens und Hellen Langhorst die Deutschland-Gruppe von Femen gegründet. Im ersten Teil des KURT-Interviews sprechen sie über ihre Beweggründe und ihre spannendsten Aktionen.

Hellen Langhorst ist 28 Jahre alt und macht eine Ausbildung zur Heilpraktikerin in Berlin. Gemeinsam mit Klara Martens und weiteren Frauen hat sie 2012 die Deutschland-Gruppe von Femen gegründet.
Klara Martens ist 28 Jahre alt und studiert und arbeitet in Berlin. Gemeinsam mit Hellen Langhorst und weiteren Frauen hat sie 2012 die Deutschland-Gruppe von Femen gegründet.

Was bedeutet Feminismus für euch?

Klara: Für mich bedeutet Feminismus die Befreiung der Frau vom Patriarchat.
Hellen: Für mich bedeutet Feminismus wirklich die komplette Gleichstellung in jeder Form: Gleichheit der Geschlechter, gleiche Rechte, gleiche Behandlung.
Klara: Ich möchte gar keine Gleichheit erreichen. Das würde für mich bedeuten, dass der Status Quo und unsere Gesellschaft so schon optimal sind. Ich finde, wir müssen gar nicht alle männlichen Sachen übernehmen.
Hellen: Es geht ja nicht darum, männliche Sachen zu übernehmen, sondern darum, vor dem Gesetz wirklich gleichgestellt zu sein. Alles andere ergibt sich dann.
Klara: Aber auch das Gesetz ist nicht perfekt.
Hellen: Nein, natürlich nicht. Wir sind ja die ganze Zeit in einem Wandel und in einer Entwicklung, aber die Grundvoraussetzung muss erst einmal sein, dass beides gleich ist. Darauf kann man dann aufbauen.
Klara: Wir sind da unterschiedlicher Meinung (lacht).

Was ist Sextremismus für euch und wie bringt ihr das mit Feminismus zusammen?

Klara: Das hat eine eigene Bedeutung und die hat es auch für uns. Sextremismus ist eine Protestform, die sich Femen überlegt hat. Mit den Oben-ohne-Protesten wandelt man das weibliche Bild in der Gesellschaft. Man stellt die nackte Frau nicht als unterwürfig und beherrscht dar, sondern – im Gegenteil – als stark und laut, mit eigener Meinung.
Hellen: Für mich bedeutet Sextremismus auch, genau die Menschen zu treffen, die die Gesetze machen und die dafür verantwortlich sind. Es bedeutet, dass man eine Face-To-Face-Konfrontation hat und endlich der Person direkt ins Gesicht sagen kann: „So läuft es nicht!“

Eine Art Greenpeace-Gruppe für Feminismus

Ihr habt beide die Deutschland-Gruppe von Femen mitgegründet. Wann und in welcher Situation habt ihr euch dazu entschieden? Gab es da einen bestimmten Auslöser?

Klara: Ehrlich gesagt nicht. Ich habe in der Emma von Femen in der Ukraine gelesen, fand das richtig cool und dachte: „Das brauchen wir auch in Deutschland!“ Mir war das hier alles zu verschult. Ich wollte lieber aktiv etwas machen. Wie eine Art Greenpeace-Gruppe für Feminismus.
Hellen: Bei mir war das so ähnlich. Wir haben uns ja parallel voneinander – vorher kannten wir uns ja noch nicht – für das gleiche Thema inspiriert. Ich habe die Femen-Frauen irgendwo online gesehen und dachte nur: „Wow, wie cool ist das denn und wie mutig!“ Ich war einfach so geflasht davon. Dann haben wir geguckt, ob es so etwas hier schon gibt. Das gab es nicht. Und dann haben wir das mit zwei weiteren Frauen gegründet.

Du hast gesagt, du warst geflasht von der Art des Protests. Warum habt ihr euch gerade für diese Art des Protestes entschieden? Warum glaubt ihr, so am meisten erreichen zu können?

Klara: Femen hat sich ja damals nach Jahre langer Überlegung dazu entschieden, so zu protestieren, weil sie eben Jahre lang in der Ukraine Flyer gegen Sextourismus verteilt und nie Gehör gefunden haben. Dann haben sie einmal diesen Oben-ohne-Protest ausprobiert und es war gleich international in der Presse. Sie haben dann einfach gesehen, dass man so wirklich viele Menschen erreichen kann und nicht nur die, denen man in der Fußgängerzone einen Flyer in die Hand drückt.
Hellen: Ich finde diese Kombination aus einem nackten weiblichen Oberkörper und einer politischen Message, einer gewissen Stärke und auch in einigen Fällen Aggression einfach eine so tolle Kombination, die ich so vorher noch nicht gesehen habe. Höchstens in irgendwelchen Kunstgemälden, aber nicht einmal da so richtig. Das hat mich in dem Moment einfach berührt und ich habe gedacht: „Wow, cool!“

Man wird zum Ansprechpartner für feministische Themen

Du hast gerade schon einmal das große Medienecho angesprochen. Wie geht denn euer persönliches Umfeld mit eurem Engagement bei Femen um?

Hellen: Man wird dadurch schon zum Ansprechpartner für feministische Themen. Das finde ich auch superschön. Das ist ein allumgreifendes Thema, das die Freundschaften stärkt. Das sind Themen, die uns alle etwas angehen – weiblich und männlich – und dadurch finden wir eine Option, darüber zu reden.
Klara: Allgemein sind die Reaktionen positiv. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der gesagt hat: „Ich habe das gesehen, das finde ich aber scheiße!“
Hellen: Aber selbst wenn! Ich habe das schon erlebt, dass gesagt wurde: „Warum habt ihr das denn gemacht? Damit stimme ich nicht überein.“ Aber das hat wieder eine Diskussion ausgelöst.
Klara: Aber ich habe nie jemanden erlebt, der dem komplett ablehnend gegenüberstand, sondern es war eher so, dass jemand eine bestimmte Aktion nicht verstanden hat und gefragt hat, warum wir das gemacht haben. Aber einen Diskurs zu haben, ist für mich nichts Negatives.

Gibt es sonst noch Aktionen, an denen ihr beteiligt wart, die euch besonders im Gedächtnis geblieben sind?

Hellen: Auf jeden Fall die Germany’s Next Topmodel-Aktion! Da waren wir zu zweit und es war extrem schwierig, überhaupt erst einmal da rein zu kommen. Da hatten wir echt viel Glück, dass alles so geklappt hat. Es war eine Live-Übertragung, aber Live ist ja trotzdem immer erst fünf bis zehn Sekunden später im TV. Man musste also auf jeden Fall dort auf der Bühne bleiben, damit das übertragen wird. Es hat dann für einen kurzen Moment geklappt, dass das gezeigt wurde. Das Schöne war, dass Heidi Klum nochmal selbst darauf hingewiesen hat, indem sie gesagt hat: „Brüste? Habe ich da gerade Brüste gesehen?“ Das war so ein Win. Dieser Part wurde dann nach ein paar Tagen rausgeschnitten. Aber das war einfach eine Aktion, wo alles gepasst hat.

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Klara: Ich mag es, wenn eine Aktion hinterher doch weltweit Wellen schlägt, auch wenn wir denken, dass das eigentlich nur ein Thema ist, das uns in Deutschland betrifft, zum Beispiel bei der Herbertstraße. Das ist ein sehr Deutschland-spezifisches Thema, unser Prostitutionsschutzgesetz und dass es überhaupt Straßen in Deutschland gibt, die für Frauen gesperrt sind. Das haben andere Länder nicht. Die französische Gruppe meinte: „Wie, es gibt Straßen in Deutschland wo Frauen nicht durch dürfen?“ Wir meinten dann: „Ja, das ist normal hier. Wenn da Prostitution ist, dürfen wir da nicht durch.“ Dass das dann trotzdem weltweit so weit verbreitet wurde und dass sie das weltweit sehen, was hier los ist, finde ich super.
Hellen: Bis in die ghanesische Presse ging das.
Klara: Ich mag generell unsere Prostitutionsaktionen. Immer, wenn wir etwas gegen Prostitution machen, werden die kurz danach hopsgenommen wegen Menschenhandel. Wir haben da einen guten Riecher. Zum Beispiel beim Paradise, wo jetzt Rudloff und Beretin im Knast sitzen wegen Menschenhandels – wir waren bei der Eröffnung vom Paradise, weil wir schon irgendwie eine gute Vorahnung hatten. Beim Artemis hatten wir auch eine Aktion. Kurze Zeit später wurden die dann auch durchsucht und verhaftet. Mal gucken, was in der Herbertstraße demnächst passiert, das wäre ja auch schön.

Protest-Aktion vor dem Großbordell „Paradise“ in Saarbrücken

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Wir haben 2019, wir sind alle Frauen, wir sind alle Hure und Heilige in Einem!

Könnt ihr noch mehr zu der Aktion auf der Herbertstraße sagen? Wie seid ihr darauf gekommen, was stand dahinter?

Klara: Wir hatten immer ein paar Aktivistinnen in Hamburg. Hamburg war uns also schon immer bekannt. Ich finde, der ganze Kiez in Hamburg ist schon unangenehm. Wenn man da abends als Frau durchgeht, sieht man einfach, dass das nicht geil ist. Man spürt es einfach. Man fühlt sich nicht wohl da. Allein, dass dieses Tor da seit 1933 steht, aus einer Zeit, in der Prostitution verboten und verpönt war… Da wurde das aufgestellt, damit niemand diese Frauen sieht und jetzt wird das so ausgelegt, als diene das Tor zum Schutz der Frauen. Aber vor wem sollen sie denn geschützt werden? Vor anderen Frauen ja wohl nicht. Die Gewalt in der Prostitution geht nicht von anderen Frauen aus, sondern von Freiern und Zuhältern, ganz klar! Die sind hinter so einem Tor natürlich besser geschützt. Das hat auch einen krassen Symbolcharakter. Ein Tor, das Frauen unterteilt in „gute und schlechte Frauen“. Wir haben 2019, wir sind alle Frauen, wir sind alle Hure und Heilige in einem! Ich brauche da kein Tor mehr hinzustellen. Nur damit die Freier da machen können, was sie wollen? Sehe ich überhaupt nicht ein.

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Hellen: Wir haben im Vorfeld recherchiert. Ich bin davor auch zu der Polizeiwache gegangen und habe nachgefragt, auf welchen rechtlichen Grundlagen man eine öffentliche Straße – finanziert von Steuergeldern – für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe – nämlich Frauen – unzugänglich macht und darauf hinweist, dass sie dort keinen Zutritt haben. Da wurde ich erst einmal ausgelacht, dass ich mich dafür überhaupt interessiere. Dann wurde mir gesagt, dass das gut sei, dass das so ist und dass das auf einem Sonderrecht aus den 70ern basiert. Und dass ich jetzt bitte nicht weiter danach fragen soll und mich an den Denkmalschutz wenden soll, weil dieses Tor aus der Nazi-Zeit vielleicht ja sogar denkmalgeschützt ist. Ist es aber nicht!
Klara: Es ist wahrscheinlich sogar in Privatbesitz, weil die Stadt sagt, ihr gehört es nicht. Aber direkt nach der Aktion wurde es von der Stadt bezahlt wieder aufgebaut.
Hellen: Das ist auch ein richtiger Skandal!
Klara: Wenn dir jemand in deinen privaten Zaun reinfährt, stellt die Stadt dir den ja auch nicht wieder auf, direkt noch am selben Tag.

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