Österreich hat einen neuen Nationalrat gewählt. Die Tendenz ist klar: Das Land wird konservativer. Die großen Gewinner sind die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) und die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ). Die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) kann keine neuen Wähler hinzugewinnen. Schlimm sieht es für die Grünen aus: Ihre Partei verliert neun Prozentpunkte und fällt unter die österreichische vier-Prozent-Hürde, die den Einzug ins Parlament verwehrt. Trotzdem müssen nicht die Totenglocken für Österreichs Europapolitik geläutet werden. Ein Kommentar.
Diese Wahl ist bedeutend für die Alpenrepublik – aber von einem Rechtsruck im Land zu sprechen, wird den Österreichern nicht gerecht. Bei Diskussionen über Politik ist es nur noch schwer möglich, die Begriffe ‚rechts‘ und ‚links‘ zu vermeiden, da das politische Spektrum mittlerweile von Vielen als radikal, als Entweder-oder wahrgenommen wird. Der Wetzstein, an dem sich politische Meinungen am Ende des Tages immer reiben, um dort ihr vermeintlich ‚wahres Ich‘ freizulegen, bleibt die Thematik um Migration, Integration und Flüchtlinge. So war es in den frühjährlichen Wahlkämpfen um die französische Präsidentschaft, um das niederländische Parlament und vergangenen Monat um den deutschen Bundestag.
Österreich gesellt sich nun zu den anderen Ländern Westeuropas, die sich so sehr mit aufsteigendem Rechtspopulismus abgemüht haben. Und doch reihen sich die Österreicher nicht sauber ein, denn obwohl die Grünen aus dem Parlament fliegen und die Stimmen verstärkt auf die – hier kommt das Entweder-oder – rechte Seite des Parlaments gehen, ist keineswegs mit einem strikt nationalistischen Kurs des Landes zu rechnen. Denn die Wahlprogramme der ÖVP und FPÖ zeigen trotz ihrer Kritik an der EU keinen Wunsch, die Gemeinschaft zu verlassen – im Gegensatz etwa zur deutschen AfD, die es darauf ankommen lassen würde.
Bereits im Jahr 2000 gab es eine blau-schwarze Regierung mit FPÖ und ÖVP. Ob einiger fremdenfeindlicher Töne aus dem Lager der FPÖ verhängten die damals 14 anderen EU-Staaten Sanktionen gegenüber Österreich, die die Einstellung der bilateralen Beziehungen beinhalteten. In der Folge sollte eine dreiköpfige Kommission der EU die Entwicklungen in dem Land untersuchen. Als Ergebnis wurde festgestellt, dass die österreichische Regierung für die europäischen Werte eintritt und die Rechtslage der anderer EU-Staaten entspricht. Die Lage in dem Land hatte sich wider Erwarten nach der Wahl nicht verschlimmert.
Eines ist bei der diesjährigen Wahl bemerkenswert: Sebastian Kurz, Parteiobmann der ÖVP, hat es in nur fünf Monaten geschafft seine sich auf dem absteigenden Ast befindende Partei auf einen Höhenflug zu schicken. Geschafft hat er das, indem er Wilderei betreibt. Seine Kernthemen sind Migration, Integration und Flüchtlinge – also beliebtes Jagdgebiet der rechten Parteien, so auch der FPÖ. Indem Kurz einen strengen Kurs in diesen Bereichen ankündigt, macht er aus sich selbst denjenigen, der zur richtigen Zeit das Richtige sagt. Er ermöglicht damit dem Gros der Bevölkerung, seine Stimme einer – vermeintlich – weniger reaktionären Partei zu geben.
Die von den Rechtspopulisten gekaperten Themen werden der Österreichischen Volkspartei zugeführt – was sie für viele wohl erst wieder zu einer Partei des Volkes machen dürfte. Auch wenn das wiederum zu weiteren Verstrickungen in Begriffe wie etwa ‚völkisch‘ führt und den Diskurs um die Deutungshoheit bestimmter Begriffe in der öffentlichen Debatte anheizt. Jedenfalls ist Kurz durch die Übernahme der FPÖ-Themen für das bürgerliche Lager zu einer Rettungsfigur geworden. Die Bürgerlichen stellen die für sie als Missstände wahrgenommenen Zustände fest, und küren Kurz zu demjenigen, der sie beseitigen kann und soll.
Als deutsches Pendant zur Wähler(rück)gewinnung könnte man nun die Aussagen des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) und des CSU-Chefs Horst Seehofer anführen. Für Tillich ist der Wählerschwund durch eine nicht ausreichend konservative Position der CDU zu erklären: “Wir haben Platz gelassen rechts von der Mitte. Viele unserer Anhänger haben uns nicht mehr für wählbar gehalten”.
Sein bayerischer Kollege Seehofer bezeichnet diesen Platz rechts von der Mitte als „offene Flanke“, die, würde sie durch die Unionsparteien geschlossen werden, zum Verschwinden der AfD führen würde. Tillich und Seehofer mussten für diese Aussagen einiges an Kritik einstecken. So ist etwa erwiesen, dass die CDU/CSU den Großteil ihrer Wähler nicht an die AfD verloren hat, sondern an den ehemaligen Koalitionspartner FDP – also nicht an Rechtspopulisten, sondern an Liberale.
Doch zurück zu Österreich. Im Moment erscheint eine Koalition zwischen der ÖVP und der FPÖ nicht zwingend als Schreckensszenario. Österreichs Lage im europäischen mittleren Süden könnte mit der neuen, zwar nicht EU-affinen, ihr aber doch zugeneigten, Regierung sogar dazu beitragen, die Visegrád-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei stärker an die Union zu führen. Dementsprechend sollte man sich im Moment eher darauf konzentrieren, wie sich der absehbare und mit 31 Jahren dann jüngste europäische Staatschef auf internationalem Parkett schlagen wird.