Nicht nur große Unternehmen und Verbände, sondern auch zehn deutsche Universitäten betreiben Lobbying in der EU. Die Unis geben laut offiziellen Angaben teilweise mehr Geld dafür aus als Konzerne wie EasyJet oder Axel Springer. Verschwendung von öffentlichen Mitteln? Nein, im Gegenteil: Laut Experten sollten mehr Unis Lobbyarbeit in der EU betreiben.
Die EU wird oft als „Lobbykratie“ bezeichnet. Damit meinen die Kritiker, dass Lobbyisten zu viel Einfluss in der Europäischen Union hätten und die Politik zu stark mitbestimmen würden. Die Begriffe Lobbyismus, Lobbyarbeit und Lobbying, die alle dasselbe bedeuten, haben für viele Menschen einen negativen Beigeschmack. Sie stellen sich unter den Lobbyisten Männer in Anzügen vor, die die EU-Politiker in schicke Brüsseler Restaurants zum Abendessen einladen, mit ihnen auf den Fluren der EU-Büros schnelle Deals schließen und ihnen Geschenke zustecken.
Für die EU-Politik gibt es ein Lobbyregister, das sogenannte EU-Transparenzregister. Die fast 12.000 Einträge (Stand Juli 2019) könnten die “Lobbykratie”-Vorwürfe erst einmal bestärken. Die EU-Kommission hält dagegen und argumentiert, dass durch das Register Transparenz geschaffen werde und verdeckte Einflussnahme erschwert werde. Das Transparenzregister kann jeder kostenlos im Internet einsehen und durchsuchen, auf der Seite Lobbyfacts kann man die Einträge auch ordnen.
Auf den ersten Plätzen stehen Verbände und Unternehmen, die viele im Lobbyregister erwarten würden: Nummer Eins ist das European Chemical Industry Council mit zwölf Millionen Euro Lobbyausgaben pro Jahr, unter den Top 10 sind auch noch das bekannte Beratungsunternehmen Fleishman-Hillard und Google.
Wer weiter klickt bis Platz 2406, findet dort die Humboldt-Universität Berlin. Insgesamt stehen 19 deutsche Universitäten im EU-Transparenzregister. KURT-Recherchen ergaben, dass zehn von ihnen Lobbyismus betreiben. Wenn zehn von 121 deutschen Universitäten Lobbyismus betreiben, wirft das viele Fragen auf: Warum machen sie das? Ist das gerecht gegenüber den Unis, die das nicht machen? Oder ist der Lobbyismus der Unis sogar gut? KURT ist diesen Fragen nachgegangen.
Ausgaben für Lobbying bis zu 200.000 Euro
Als die Recherche im April 2019 begann, lag die TU Dresden im Transparenzregister mit über einer Million Euro Lobbykosten an der Spitze der deutschen Unis. Auf Nachfrage von KURT gab die TU Dresden an, dass die Kosten für Lobbyismus in der EU eher bei gut 200.000 Euro pro Jahr liegen würden. Die Anfragen an die Universitäten ergaben, dass zehn deutsche Unis Lobbyarbeit in der EU betreiben:
Universität | Jährliche Lobbykosten in Euro | |
---|---|---|
1. | Technische Universität Dresden | gut 200.000 |
2. | Freie Universität Berlin | 200.000 |
3. | Humboldt-Universität Berlin | 200.000 |
4. | Universität Stuttgart | 100.000-199.999 |
5. | RWTH Aachen | 100.000-199.999 |
Neun weitere Unis stehen zwar im Transparenzregister, betreiben laut eigenen Angaben aber kein Lobbying in der EU. Diese Unis gaben gegenüber KURT an, dass sie einen Eintrag im Register haben, da Wissenschaftler der Uni an Expertenrunden oder Konsultationen teilnahmen. Damit machen sie gemäß der Definition keine Lobbyarbeit. Laut Timo Lange von der NGO LobbyControl, die über Lobbyismus in Deutschland und der EU aufklärt, sind diese Einträge wegen der Regeln für Expertengruppen notwendig.
Die TU Dresden, die Humboldt-Universität Berlin und die Freie Universität Berlin geben jeweils ungefähr 200.000 Euro pro Jahr für Lobbying in der EU aus. Im Vergleich zu den eingeworbenen EU-Drittmitteln in Höhe von einigen Millionen Euro erscheinen diese Kosten gering, aber nicht, wenn man sie mit den Lobby-Ausgaben von Firmen und Organisationen vergleicht. Laut dem Transparenzregister gibt jede einzelne der drei Unis demnach mehr Geld für EU-Lobbyismus aus als die großen Medienkonzerne Axel Springer SE und ProSiebenSat.1 oder die Fluggesellschaft easyJet.
„Mit 200.000 Euro schafft man absolut was.“
Die Angaben der Firmen müssen zwar ebenso wie die der Universitäten mit Vorsicht genossen werden. „Viele Unternehmen untertreiben deutlich bei ihren Lobby-Ausgaben“, erklärt Theresa Crysmann von der Brüsseler NGO Corporate Europe Observatory, die sich gegen den privilegierten Einfluss von Unternehmen auf die EU-Politik einsetzt. Aber für Timo Lange von LobbyControl ist allein die Selbstauskunft der Unis von 200.000 Euro pro Jahr „schon auffällig viel“. Er meint: „Mit 200.000 Euro schafft man absolut was.“ Für die Unis scheine sich das zu lohnen, sonst würden sie es nicht schon ein paar Jahre lang so machen.
Laut Lange ist eine wichtige Aufgabe im Lobbyismus, die Diskussionen und Verhandlungen in der EU-Politik zu verfolgen, damit Unternehmen frühzeitig darauf reagieren könnten. Das gaben auch die Unis gegenüber KURT an.
Die Universität Siegen betreibt nicht dauerhaft Lobbyarbeit in der EU, sondern hat lediglich für das Jahr 2017 einen Eintrag. „Anlass dieses Eintrags war ein einmaliger Gesprächstermin zwischen VertreterInnen der Universität Siegen und der Europäischen Kommission im September 2018“, so die Uni Siegen auf KURT-Anfrage. Thema sei der geplante Aufbau von medizinnahen Studiengängen mit internationalem/ europäischem Bezug an der Universität Siegen gewesen.
Uni-Büros in Brüssel
Vier der zehn Universitäten haben sogar ein Büro in Brüssel – das von der Uni Münster und der FU Berlin ist dauerhaft besetzt. Zur Eröffnung des Brüsseler Büros im Jahr 2016 gab die Uni Münster (WWU) eine Pressemitteilung heraus, in der es heißt: „Geschäftsführer Dr. Roman Walega soll zum einen ein Netzwerk aufbauen, um der Universität im Wettbewerb um EU-Förderprogramme eine gute Ausgangsposition zu verschaffen. Zum anderen möchte er den Bekanntheitsgrad der WWU in Brüssel steigern.“
Auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), der Zusammenschluss staatlich anerkannter Hochschulen in Deutschland, hat ein Büro in Brüssel und gibt laut dem Transparenzregister 50.000 bis 100.000 Euro pro Jahr für EU-Lobbyarbeit aus.
Die HRK befürwortet es, dass zehn deutsche Unis zusätzlich zur HRK Lobbyismus in der EU betreiben. „Einige Überlappungen und auch ein wenig Konkurrenz schaden dabei nicht unbedingt dem Anliegen der Hochschulen“, so die HRK auf KURT-Anfrage. „Alle sollten sich bemühen, auch auf europäischer Ebene so gut wie möglich ihre Interessen voranzubringen. Ob dies den Betrieb eines eigenen Büros in Brüssel voraussetzt, sei dahingestellt.“ Hier müssten laut Ansicht der HRK Aufwand und Ertrag an jeder einzelnen Hochschule abgewogen werden.
Universitäten gegen Konzerne
Auch Theresa Crysmann vom Corporate Europe Observatory findet die Lobbyarbeit der zehn Hochschulen wichtig, weil zunehmend Konzerne den Unis die Forschungsgelder streitig machen wollen. „Mehr und mehr sind in den letzten zehn bis 15 Jahren Konzerne darauf gekommen, dass sie gerne mehr vom EU-Forschungsbudget hätten, und sie versuchen vor allem auch mit ihren professionellen Lobbybüros, sich ein großes Stück dieses Kuchens zu sichern“, so Crysmann. Die Unis müssten also dagegenhalten und nach der Meinung von Crysmann mit möglichst vielen Stimmen ihre Interessen vertreten – also sowohl als Zusammenschluss als auch als einzelne Unis.
Aus der Sicht von Crysmann ist es nicht problematisch, dass nur zehn von 121 deutschen Unis Lobbyismus in der EU betreiben, weil die Unis für sich selbst kaum Vorteile schaffen könnten. „Letzten Endes, wenn hier eine einzelne Uni auftritt, ist das ein Tropfen auf dem heißen Stein. Da zu meinen, man könnte wirklich Auswirkungen haben auf die Ausgestaltung von EU-Forschungsförderbudgets, das ist eine Illusion“, sagt Crysmann.
Die Unis selbst jedoch gaben gegenüber KURT an, dass ihr Lobbying durchaus ihren eigenen Interessen nütze. Die TU Berlin will nach eigener Aussage durch die Lobbyarbeit speziell die wissenschaftlichen Stärken der Uni in der EU bekannt machen. Außerdem könne sie als einzelne Uni besser Informationen zu Einzelthemen beschaffen oder Impulse zu Sachthemen setzen als im Zusammenschluss der Hochschulrektorenkonferenz.
Die Uni Münster sieht sich klar im Wettbewerb mit anderen Unis. „Selbstverständlich geht es auch darum, dass man miteinander in Konkurrenz steht und dass man schaut, dass man möglichst frühzeitig über Dinge informiert ist”, sagte Pressesprecher Norbert Robers im Interview. Die Uni Münster versuche somit, möglichst schnell geeignete Wissenschaftler für die jeweiligen Ausschreibungen zu finden und die Anträge früh abzuschicken. “Und damit erhoffen wir uns tatsächlich den einen oder anderen zumindest kleinen Vorteil”, so der Pressesprecher.
90 Prozent der Unis ohne Lobbying
Auf der anderen Seite betreiben über 90 Prozent der deutschen Unis kein Lobbying in der EU. So gaben zum Beispiel die drei Ruhrgebiets-Unis Technische Universität Dortmund, Ruhr-Universität Bochum und die Universität Duisburg-Essen an, keine Interessenvertretung in der EU zu betreiben, genauso wenig wie etwa die Unis in Düsseldorf, Köln, Bonn, Mainz, Hannover und Hamburg.
Für sie lohnt es sich laut eigener Aussage nicht oder sie sehen Lobbyarbeit nicht als Aufgabe einer einzelnen Uni an. Einige Unis gaben auf KURT-Anfrage an, dass sie es für sinnvoller halten, in Zusammenschlüssen und Verbänden vertreten zu werden. Neben der Hochschulrektorenkonferenz sind die meisten Unis auch noch in kleineren Verbänden Mitglied, die zum Beispiel CESAER, The Guild, LERU, BayFOR und EuroTech heißen und auch Einträge im Transparenzregister haben. Somit haben auch Unis, die nicht im Register stehen, eine oder sogar mehrere Interessenvertretungen in der EU.
Ob sich der Aufwand für die zehn Unis, die Lobbying betreiben, wirklich lohnt, lässt sich nicht überprüfen. Bei der Höhe der Forschungsgelder zeigte sich kein Zusammenhang, aber diese Summe hängt auch stark mit den Forschungsfeldern einer Uni zusammen. Der Bereich Medizin wirbt grundsätzlich weit mehr Fördermittel ein als beispielsweise die Sozialwissenschaften.
Besser zu beurteilen wäre die Lobbyarbeit auch, wenn die Unis Auskunft darüber geben würden, mit welchen Politikern sie sich treffen und mit welchen Mitteln sie Einfluss nehmen. Timo Lange von LobbyControl fordert: „Als öffentliche Einrichtungen sollten Unis umfassender offenlegen, wie ihre Lobbyarbeit in Brüssel genau aussieht, damit sich die Öffentlichkeit ein Bild machen kann.“ Im Transparenzregister müssen die Universitäten genauso wie die Unternehmen lediglich angeben, wie viel Geld sie für Lobbyismus ausgeben und wie viele Mitarbeiter damit beschäftigt sind. Doch es wären mehr Informationen notwendig, damit das Transparenzregister seinen Namen auch wirklich verdient.
Noch nicht genug von diesem Thema? KURT hat zu der Recherche auch einen Film produziert: