Glauben kann man viel. Zum Beispiel an einen Gott oder viele Götter, an Wiedergeburt, manche Leute glauben an Geld oder an die Liebe, andere glauben an das Schicksal. Oft ist es harmlos, an Dinge zu glauben und Menschen empfinden das als Beruhigung. Aber je nachdem, wie sehr man an etwas glaubt, kann das gefährlich werden. Vor allem in Krisenzeiten.
In der Coronakrise scheint sich fast jede Woche ein deutscher “Promi” als Verschwörungstheoretiker zu outen. Über den Messenger Telegram verbreiten zum Beispiel Xavier Naidoo oder Attila Hildmann Ideen, wer hinter der Pandemie stecken könnte. Laut einer Verschwörungstheorie soll Bill Gates Schuld an der Pandemie sein, er soll als letztes Ziel unter anderem die Zwangsimpfung und damit das Chippen aller Menschen im Sinn haben. Und deswegen demonstrieren Impfgegner. WhatsApp schränkt schon seit Wochen das Weiterleiten von Kettenbriefen und damit die Verbreitung von Verschwörungstheorien und Fake News ein.
Jeff Bezos hat Corona gezüchtet, um den Versandhandel zu stärken, Bill Gates hat mitgeholfen, weil er gemeinsam mit den Regierungschefs dieser Welt Zwangsimpfungen mit Gedankenkontrollmitteln durchführen will, um das Bargeld abzuschaffen und eine Diktatur auf Bitcoin aufzubauen.
— Bastian Bielendorfer (@BBielendorfer) May 2, 2020
Wie kommt es dazu, dass Verschwörungstheorien während Krisenzeiten so viel Zuspruch finden? Warum suchen Menschen unbedingt einen Schuldigen?
Aus Komplexem wird Schlüssiges
Der Mensch mag keine Unsicherheit. Eine stimmige Erklärung für ein Ereignis zu finden, ist laut einer Studie der University of Kent wichtig, um sich selbst ein stabiles Weltbild zu formen. Verschwörungstheorien bieten oft eine Erklärung, die in sich schlüssig ist. Dabei erkennen Wissenschaftler einen Anstieg von Verschwörungstheorien und eine große Zahl von Menschen, die an sie glauben, wenn große, bedeutende Ereignisse geschehen, die sehr komplexe Hintergründe und Folgen haben, wie zum Beispiel die Finanzkrise 2008 oder eben auch Covid-19.
Laut dieser Studie glauben vor allem Menschen mit geringerer Bildung und weniger kritischen Denkvermögen an Verschwörungstheorien. Auch soziale Motive spielen eine Rolle: Menschen fühlen sich innerhalb der Gruppe, die die Theorie vertritt, bestätigt und denken, dass nur sie selbst und ihre Gruppe kompetent wären und moralisch handeln würden. Menschen, die die Theorie anzweifeln oder widerlegen, sind prinzipiell Teil der Verschwörung.
Dabei müssen Verschwörungstheorien nicht unbedingt direkt gegen Menschen gerichtet sein. Schon länger hält sich die Theorie, dass das neue 5G-Mobilfunknetz in Verbindung mit dem Coronavirus stünde und Funkmasten die Viren aussenden würden. Wegen dieser Theorie sind in vielen Ländern Funkmasten angezündet worden. Die WHO erstellt zur Aufklärung von falschen Behauptungen über den Coronavirus Grafiken, in der auch diese Theorie aufgegriffen und widerlegt wurde.
Forscher der Kent University erklären, dass Verschwörungstheorien vor allem als Schutz- und Verteidigungsmechanismus für Menschen funktionieren, die sich auf der “Verliererseite” sehen – egal ob das nun wirtschaftlich, gesellschaftlich oder politisch ist. Offenkundig befinden sich die Gruppen aber nicht mehr nur in der Defensive, sondern gehen auch aktiv vor. Ein Merkmal von Verschwörungstheorien ist aber auch, dass sie ein extrem negatives und misstrauisches Bild anderer Personen und Gruppen vermitteln und damit nicht nur Leute anziehen, die sich bereits von der Gesellschaft ausgegrenzt fühlen, sondern dieses Gefühl oft auch erst in Personen auslösen.
Gesucht wird ein Feindbild
Vielen Menschen dienen Verschwörungstheorien außerdem als Religionsersatz. Sie möchten gerne an etwas glauben, das größer ist als sie selbst. Verschwörungstheorien sind aber nicht wissenschaftlich nachprüfbar und basieren meist auf Halbwahrheiten. Nach ihrer Vorstellung laufen alle Vorgänge in der Wirtschaft oder Gesellschaft nach dem Plan mächtiger Gruppen oder Individuen. Es gibt also eine Elite, eine Art höhere Macht, die frei alles bestimmen kann und die Welt nach ihren Vorstellungen gestaltet. Komplexe Systeme, durch die bestimmte Geschehen hervorgerufen werden, gibt es nicht.
Schon immer wurde bei schlimmen Ereignissen nach einem Bösen gesucht, dem man alle Schuld zuschieben kann, vor allem auch wenn es um Epidemien und Seuchen ging. Zu Pestzeiten herrschte ein verstärkter Antisemitismus und viele Menschen gaben Juden die Schuld an der Ausbreitung der Krankheit. Auch beim Coronavirus wird nach Schuldigen gesucht. “Eine erste Reaktion ist Stigmatisierung. Man hat ja am Anfang der Corona-Pandemie asiatisch aussehende Menschen stigmatisiert, weil man gedacht hat, die sind schuld, die haben die Infektion nach Europa gebracht. Das hat sich inzwischen mehr ausdifferenziert, aber diesen Mechanismus gibt es nach wie vor.”, sagte dazu Karen Nolte, Historikerin vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin an der Uni Heidelberg zur Heilbronner Stimme. Neu ist daran nichts, aber durch die Möglichkeiten, die das Internet zur Verbreitung dieser Ideen bietet, kommt es zu neuen Dimensionen. Die Ideologien von Impfgegnern und “Corona-Skeptikern” vermischen sich mit denen anderer Gruppierungen, oft auch denen von Rechtsradikalen.