Hand auf’s Herz: Seit Social Distancing geboten ist, benutzt ihr wieder mehr Apps zum Zeitvertreib, oder? Und egal ob zum Spielen oder um Bilder zu bearbeiten, eins haben viele Apps gemeinsam, zumindest die kostenlosen: Sie zeigen Werbung. Viel Werbung. Videos sind dabei längst aus der Mode. Seit circa zwei Jahren sind spielbare Werbungen der neue Trend unter Werbemachern. KURT-Autorin Annika findet: Obwohl sie auf den ersten Blick genauso nervig wirken, wie jede andere Werbung – den sogenannten „Playable Ads“ sollte man eine Chance geben.
„Kommen Sie ins Ziel, ohne andere Fahrzeuge zu berühren. Tippen Sie, um zu beschleunigen. Lassen Sie los, um anzuhalten.“ Ich tippe und lasse meinen Finger auf dem Display meines Smartphones ruhen. Ich schaue von oben auf ein kleines, gelbes Auto, das eine gerade Straße entlangfährt. Kurz vor einer Kreuzung lasse ich los, um nicht in die Autos auf der anderen Spur zu fahren. Als sich eine genügend große Lücke anbahnt gebe ich wieder Gas, schlinge mich durch zwei Autos durch und fahre ohne weitere Hindernisse über die Ziellinie. „Glückwunsch!“ Ein neues Auto steht auf einer neuen Strecke. „Jetzt im Appstore herunterladen!“ Ich schaue in die obere rechte Ecke meines Displays. Der Countdown ist heruntergezählt, ein Kreuz ist erschienen. Ich kann die Werbung jetzt schließen.
So oder so ähnlich kann es aussehen, wenn in einer App plötzlich Playable Ads auftauchen. Zu Deutsch: Spielbare Werbung. Der Name ist Programm. Sie sind im Prinzip eine Mini-Demoversion einer Spiele-App. Man kann die (meist einfachen) Spielmechaniken in einem (meist noch einfacheren) ersten Level ausprobieren und wird danach dazu aufgefordert, sich das Spiel im Appstore herunterzuladen. Möchte man das nicht, wartet man, bis die Zeit abgelaufen ist und kann die Werbung schließen.
Playable Apps: Nervig und noch schlimmer
Warum ich die Playable Ads so gut kenne? Ich habe sie gespielt. Und wieder. Und wieder und wieder. Um mehr von einer In-Game-Währung oder Tipps zu bekommen, um Wartezeiten zu überspringen… Natürlich sind die neuen Gimmicks des digitalen Werbemarkts erst einmal nicht weniger nervig als ihre Vorgänger. Immerhin ploppen sie genauso häufig auf und stören den Spielfluss oder die Bildbearbeitung. Und man kann sie genauso wenig direkt wegdrücken wie eine andere Werbung. Und spätestens nach einer Stunde, wenn nicht sogar schon nach einer halben, kennt man jede Werbung, ob nun spielbar oder nicht, in und auswendig. (Man muss gar nicht stehenbleiben, um unbeschadet über die Kreuzung zu kommen. Man kann einfach mit Vollgas vom Anfang bis in die Ziellinie durchziehen.)
Ja, „nervig“ trifft es auf den ersten Blick ganz gut. Es wird sogar noch schlimmer: Manchmal wirkt es so, als könnte man direkt noch ein zweites Level ausprobieren. Super, oder? Wenn man dann aber irgendwo anders als auf das kleine, sehr versteckte, Kreuz in einer der Displayecken tippt, wird man automatisch zum Appstore weitergeleitet. Obwohl man das eigentlich gar nicht wollte. Der Appstore lädt, man geht auf „zurück“, tippt diesmal zielsicher auf das Kreuz und ist endlich wieder in seiner ursprünglichen App. Natürlich hat man diesen Trick irgendwann durchschaut. Man weiß, dass vermutlich genau das passieren wird. Und trotzdem passiert es einem häufiger als man gerne zugeben möchte.
Spielbare Werbung auf dem Smartphone: Das Konzept geht auf
Aber irgendetwas muss ja dran sein an der spielbaren Werbung. Denn wenn man Fyber, einem Technologieanbieter für mobile Werbung, glauben schenken darf, halten Experten aus den USA die Playables für das effektivste In-App Werbeformat. Die Erklärung ist ganz einfach: Wir Menschen mögen es, Sachen auszuprobieren und wir mögen es, zu spielen. Wir mögen es, zu wissen, auf was wir uns einlassen. Deswegen schauen wir uns Trailer an, bevor wir einen Film sehen oder hören uns Songs auf YouTube oder Spotify an, bevor wir eine CD kaufen. Und wenn wir uns aktiv mit etwas auseinandersetzen, statt es uns nur passiv anzuschauen und anzuhören, behalten wir es besser im Kopf. Deshalb schreibe ich bei Vorlesungen mit und deshalb weiß ich noch genau, was in der Werbung des Auto-Spiels passiert ist.
Natürlich: Die Playables haben alles Schlechte von ihren Vorgängern übernommen. Aber sie haben auch Gutes mitgebracht. Man ist beschäftigt, bis die Zeit abgelaufen ist (manchmal merkt man sogar gar nicht, dass man schon längst zum ursprünglichen Spiel hätte zurückkehren können), man schützt sich vor dem ein oder anderen Fehl-Download (jeder hat doch schonmal eine App heruntergeladen, die dann nach fünf Minuten wieder deinstalliert wurde, weil sie überhaupt nicht den Erwartungen entsprochen hat) und manchmal findet man sogar heraus, dass das ein oder andere Spiel doch mehr Spaß machen könnte, als man gedacht hätte.
Eine Chance – Auch für andere Branchen
Und das muss sich nicht nur auf Werbung von Spielen beschränken. Die Shopping-App Wish hat ein Drehrad konstruiert, bei dem man ein Geschenk gewinnen kann, das man erhält, wenn man die App runterlädt und öffnet. Den Möglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt. Für fast jede Branche kann man sich ein passendes Konzept ausdenken. Wie wäre es denn mit einer Werbung eines Bekleidungsunternehmens, bei dem man ein Modell mit Klamotten aus dem aktuellen Sortiment anziehen kann? Oder man stellt sich seinen Wunsch-Burger aus verschiedenen Zutaten zusammen, statt sich zufriedene Menschen beim Essen anzusehen und anzuhören, wie toll eine Fastfood-Kette ist. Selbst Journalismus könnte von diesen Überlegungen profitieren. Vorstellbar wäre zum Beispiel ein ähnliches Konzept wie Wish: Man könnte ein Drehrad in einen Text einbauen. Wenn man daran dreht, landet man auf einem Artikel, zu dem dann weitergeleitet wird.
Damit das aber funktionieren kann, müssen Playable Ads gut genug bei Nutzer*innen ankommen. Werbungen werden wir erstmal nicht los. Zumindest, solange wir erwarten, bestimmte Apps und Programme kostenlos nutzen zu können. Ist auch nur fair, oder? Aber Werbung könnte so viel interessanter sein! Deswegen: Drückt sie nicht einfach weg; gebt Playable Ads eine Chance!
Beitragsbild: Annika Könntgen