Spitzensportler*in und dann? Der weite Weg zum doppelten Erfolg

Studium und Leistungssport zusammenzubringen, ist für deutsche Nachwuchsathlet*innen kaum möglich. Manche zieht es daher raus aus Deutschland an amerikanische Unis. Was dort besser läuft.

„Es ist schon irgendwie ein richtig geiles Gefühl, wenn du den Uni-Flur entlanggehst und jeder sofort weiß, wer du bist. Das ist ein Ansehen, das du in Deutschland an Hochschulen nie bekommen würdest. Hier repräsentierst du eine ganze Universität, einen ganzen Bundesstaat.“ Wenn Kira Kutzinski über ihren Aufenthalt in den USA spricht, gerät sie ins Schwärmen. Seit zwei Jahren lebt die Ostwestfälin in den Staaten und verwirklicht ihren Traum, Profifußball-Torhüterin zu werden.

In den USA hat sie die Möglichkeit, ihrem Traum nachzugehen und dennoch ein Studium abzuschließen. Per Stipendium bezahlen die amerikanischen Universitäten ihren Sportler*innen das Studium und eine Unterkunft, wenn sie für die Hochschule sportlich aktiv werden. Dass sie diesen Umweg über Nordamerika nehmen muss, hat für Kira zwei entscheidende Gründe: Zeit und Geld. In Deutschland hat sie für den Zweitligisten Herforder SV gespielt. Drei Trainingseinheiten plus ein Spiel pro Woche – das ließ sich zeitlich nur schwer mit einer Ausbildung oder einem Studium vereinbaren. Dazu sind die Gehälter in der zweiten Frauen-Bundesliga überschaubar.

In Maine, einem nordöstlichen Bundesstaat an der Grenze zu Kanada, wo Kira nun studiert, ist das anders. Hier kann die 20-Jährige ihr sportliches Talent sogar nutzen, um an der Universität „Marketing and international Business“ zu studieren. Sport und Studium sind dort viel leichter miteinander vereinbar als in Deutschland. Kira bekommt beispielsweise spezielle Nachhilfe im Studium, wenn sie es braucht, oder darf auch hier und da mal zu spät zum Unterricht kommen, wenn das Training länger dauert.

Das ermöglicht ihr, trotz Studium für die Uni-Mannschaft, den „Black Bears“, im Tor zu stehen. „Es ist schon wie ein kleiner Traum. Meine Welt dreht sich hier Tag für Tag um Fußball und trotzdem habe ich in ein paar Jahren einen vernünftigen Abschluss und bin dazu noch in der großen, weiten Welt unterwegs“, sagt die 21-Jährige.

Der beständige Wettbewerb als Teil des Systems

Warum ist dieser Weg, der Spitzensport und Studium verbindet, in den USA für Sportler*innen wie Kira so viel einfacher möglich? Der Hauptgrund ist das US-amerikanische Bildungssystem. Die Universitäten in Nordamerika sind nicht staatlich, sondern privat finanziert. Sie stehen in ständiger Konkurrenz zueinander, akademisch wie sportlich. Deshalb buhlen die Unis mit allen Mitteln um die Studierenden. Hochmoderne Sportanlagen sollen zum Beispiel ausländische Athlet*innen locken. Eine sportlich erfolgreiche Universität ist wiederum attraktiv für Studierende ohne Stipendium, die sich für eine gute sportliche  Ausbildung und ein passendes Studium interessieren. Diese müssen hohe Studiengebühren bezahlen, an denen die Uni schließlich verdient.

Damit dieses System funktioniert, müsse Hochschulsport in der Gesellschaft einen herausragenden Stellenwert haben, erklärt Benjamin Bendrich, Sportwissenschaftler und Berater an der Universität Göttingen. In den USA repräsentieren die Sportler*innen die Hochschulen. Pay-TV-Sender übertragen beispielsweise die Spiele von Kiras „Black Bears“ live. „Die Colleges dort fördern extrem viele Sportler und bilden sie gleichzeitig aus. “Die besten werden später von Profivereinen in den USA oder Europa übernommen und repräsentieren die Colleges als Aushängeschild nach außen”, so Bendrich. Die Athlet*innen, die nach ihrer universitären Zeit keien Platz bei einem Profi-Club bekommen, haben dan trotzdem einen Studienabschluss, wenn in einem anerkannten Studiengang erhalten, vorzuweisen und können so Geld verdienen. Denn ein Gehalt gibt es für Hochschulsportler*innen in den USA trotz sportlicher Höchstleistung nicht. Sie gelten per Gesetz als Amateur*innen. Die Universität stellt ihnen die Verpflegung, eine Unterkunft und manchmal noch eine „Cost of Attendance“, also eine Teilnahmevergütung.

Ausgeglichenheit als Schlüssel zum Erfolg

Und noch etwas verbessert die Stellung des Hochschulsports in den USA deutlich. Das „Title IX“-Gesetz garantiert, dass beide Geschlechter an amerikanischen Bildungseinrichtungen gleich behandelt werden und die gleiche Anzahl an Stipendien an den Universitäten erhalten. Somit erhalten auch “kleinere” Sportarten Stipendien, die eigentlich durch die Einnahmen des Footballs und Basketballs generiert wurden. Das überschüssige Geld der Footballer wird dann etwa an die Kanut*innen weitergegeben. Das Gesetz stellt so die sportliche Breite sicher. „Somit soll gleich vielen Spitzensportler*innen ein Stipendium in den unterschiedlichsten Sportarten ermöglicht werden. Es ist eine Stärke des amerikanischen Systems, Spitzensportler*innen in einer Vielzahl von Sportarten auszubilden.“, sagt Bendrich. 2018 machte die amerikanische Organisation für universitäre Sportprogramme (NCAA) 1,07 Milliarden US-Dollar Umsatz, die ausgeglichen in die verschiedenen Sportarten investiert wurden. Das Resultat des Systems, in dem Breite und dadurch die Spitze gleichermaßen gefördert werden sollen, zeigt sich an den Medaillenspiegeln bei Olympischen Spielen. Dort mischt die USA stets vorne mit.

Der „amerikanische Weg“ wäre in Deutschland gar nicht zu realisieren. Denn zum einen sind die Hochschulen hier staatlich finanziert. Überall im Land bekommen Studierende eine im Vergleich zu den USA günstige Ausbildung. Zum anderen funktioniert der Sport in Deutschland auf einer anderen Ebene, sagt Oliver Kraus. Er ist Öffentlichkeitsreferent des Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverbands. „Leistungssport findet in der Regel in traditionellen Vereinen statt, die jährlich um Auf- oder Abstiege kämpfen. Ein solcher Vereinssport existiert in den USA überhaupt nicht.“ Während sich in den Vereinigten Staaten die Hochschulen regelmäßig in Wettbewerben duellieren, stehen in Deutschland die jeweiligen Vereine in gegenseitiger Konkurrenz zueinander. Der Großteil der Klubs ist neben dem Leistungssport vermehrt auf den Freizeitsport ausgelegt. Auch der Hochschulsport an deutschen Universitäten richtet sich danach aus. Es gibt zwar auch Meisterschaften zwischen Athlet*innen der Hochschulen, die finden aber in der Öffentlichkeit nahezu keine Beachtung und sind sportlich nicht auf Profi-Niveau.

Ohne Studium keine langfristige Zukunft

Nico Rensmann kennt die Nachteile des deutschen Systems. Der Leverkusener ist zwar Deutscher Hochschulmeister im Speerwerfen, doch dieser Titel hat im Vergleich zu den USA einen geringeren Stellenwert. Von der absoluten, nationalen Spitze ist er nämlich noch weit entfernt, der Rückstand fast nicht mehr aufzuholen. Um im Zirkus der ganz Großen mitzuwerfen, müsste Rensmann seine Bestweite von knapp 75 Metern auf über 90 Meter verbessern. „Es ist natürlich schwer. Einerseits willst du möglichst jede Sekunde in deinen Sport investieren. Auf der anderen Seite weißt du, dass es auch ein Leben nach deiner Karriere geben muss“, sagt er. Deswegen studiert der 23-Jährige an der Sporthochschule in Köln. Für einen Nebenjob hat Nico keine Zeit, da sein Sport und sein Studium „den Tag schon gut ausfüllen“. Eine andere Geldquelle als den Sport bräuchte er aber spätestens dann, wenn er durch eine Verletzung oder fehlenden Leistungen nicht mehr ausreichend von seinem Verein bezahlt wird.

Noch kann er sein Leben davon gut finanzieren. Von seinem Verein TSV Bayer Leverkusen bekommt er Gehalt – vom Staat nicht. Nur ein Eintritt in den Bundeskader, der meistens nur den drei besten einer Disziplin vorenthalten ist, bringt eine Förderung und finanzielle Sicherheit. Da es in Deutschland mit Thomas Röhler, Andreas Hoffmann und Johannes Vetter gleich drei Weltklasse-Speerwerfer gibt, war dieser Weg für den Leverkusener schnell verbaut.

Der Leichtathlet bekommt von seinem Verein in Leverkusen neben dem Gehalt auch Vergünstigungen bei Kleidung oder Trainingsmaterial, doch selbst das hängt von seinen Leistungen ab. „Wenn du dich mal ein Jahr verletzt, bekommst du eben weniger Geld. So einfach ist das. Ich denke zwar, dass es eine faire, aber auch harte Lösung ist.“ US-Stipendiat*innen verlieren dagegen nur in absoluten Ausnahmefällen ihr Stipendium wegen einer Verletzung.

Bundeswehr als beliebte Alternative bei Athlet*innen

Aufgrund der schwierigen Vereinbarkeit zwischen Sport und Studium und dem dennoch enormen Leistungsdruck fallen in Deutschland viele talentierte Athlet*innen durch das System. „In Deutschland ist die Drop-Out-Quote, also der Anteil der Sportaussteiger, sehr hoch. Ein Studium oder eine Ausbildung als zweites Standbein ist unabdingbar“, sagt der Sportwissenschaftler, Benjamin Bendrich. Einer Studie des Bundesinstituts für Sportwissenschaften aus 2010 zufolge geben 51,9 Prozent der Athlet*innen zu, über ein vorzeitiges Karriereende nachzudenken – trotz noch vorhandener sportlicher Perspektiven. Was lässt sich dagegen unternehmen?

Zum einen gibt es die Möglichkeit, wie Kira, die Torhüterin, per Sportstipendium in die Staaten zu gehen. Dort sei die Drop-Out-Quote geringer als in Deutschland, erklärt Bendrich. Zum anderen bieten Bundeswehr, Polizei und Zoll hierzulande einen dualen Ausbildungsweg für Spitzensportler*innen an. Dort finanziert der deutsche Staat die Athlet*innen. Und der deutsche Spitzensport nimmt dieses Angebot gerne an. Das zeigen unter anderem die Winterspiele 2018 in Südkorea, bei denen 109 von 154 deutschen Athlet*innen beim Staat angestellt waren. Während der olympischen Spiele in Brasilien gehörten immerhin 125 der 450 deutschen Teilnehmer*innen der Bundeswehr an. Der Nachteil dieses dualen Wegs: Nach dem Karriereende sind die beruflichen Alternativen begrenzt. Ein Studium würde mehr Möglichkeiten bieten.

Der Weg zurück in die deutschen Ligen

Der Allgemeine Deutsche Hochschulsportverband (ADH) versucht deshalb, den Spagat zwischen Spitzensport und einem Studium zu erleichtern. 1999 startete der ADH das Projekt „Partnerhochschule des Spitzensports“. Es soll gewährleisten, dass auch Spitzensportler*innen die Chance eines Studienabschlusses bekommen. Durch den „Nachteilsausgleich“ werden Leistungsbeeinträchtigungen angepasst. Sportler*innen aus dem Bundeskader können damit beispielsweise trotz schwacher Abitur-Note ein Studium beginnen. Teil des Projekts sind aktuell etwa 1200 Spitzensportler*innen an mehr als 100 Hochschulen.

Natürlich bleibt dennoch der Reiz des Studiums in den Vereinigten Staaten und einer mehrjährigen Auslandserfahrung. Anschließend wäre der Eintritt in den deutschen Spitzensport immer noch möglich. Den hat auch Kira im Kopf. „Ich weiß nicht, ob meine fußballerische Zukunft wirklich hier in den USA ist.“ Denn auch wenn die „Black Bears“ in der „America East Conference“, einer der größeren Ligen vor Ort, spielen, gehört die Universität in Maine nicht zu den stärksten Fußball-Ausbildern in den USA. Sie bekommt deshalb von den dortigen Profi-Mannschaften kaum Beachtung. Nach dem Studium kann sich Kira vorstellen, zurück nach Deutschland zu gehen. „Die Zweite Liga traue ich mir dort mindestens zu“, sagt die Torhüterin. Einen Abschluss in „Marketing and International Business“ hätte sie zur Sicherheit in der Tasche.

Beitragsbild: Pixabay/RemazteredStudio

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