Vor wenigen Wochen wurden die Konversionstherapien in Deutschland weitgehend verboten. Diese Pesudotherapien sollen Homo- oder Bisexuelle von ihren sexuellen Neigungen “heilen”. Im Juni jährt sich die Abschaffung des § 175, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte. Das sind Fortschritte. Aber für gleiche Rechte und Akzeptanz muss noch viel passieren.
Als offen homosexueller Mann bekomme ich oft zu hören, das hier in Deutschland, dem Land in dem Milch und Honig fließt, sehr liberal und offen mit dem Thema Homosexualität umgegangen wird. Das stimmt zwar im Vergleich zu anderen Staaten der Erde, in welchen gleichgeschlechtliche Liebe noch immer mit dem Tode bestraft wird. Doch das bedeutet nicht, dass die deutsche Gesetzgebung sich jetzt entspannt zurücklehnen kann. Denn von liberaler Perfektion sind wir in dieser Hinsicht noch weit entfernt.
Klar, zwölf Jahre nach der Abschaffung des § 175, der sexuelle Handlung zwischen Männern unter Strafe stellte, wurde das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) beschlossen. Dieses soll Homosexuelle in zivilrechtlichen Bereichen und am Arbeitsplatz schützen. Einige Jahre später – im Sommer 2017 – kam dann die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare.
Außerdem wurden die umstrittenen Konversionstherapien vor wenigen Wochen weitgehend verboten. Doch das alles ist mehr Schein als Sein. Im Folgenden werde ich euch mal einen Blick hinter die Kulissen des Paradieses geben.
Die Homophobie, die dich begleitet
Trotz dieser ganzen Beschlüsse und Erlasse, kann ich nicht mit meinem Partner Händchen haltend durch die meisten Deutschen Innenstädte gehen, ohne das Wort „Schwuchtel“ zu hören. Auch wenn Dortmund, wo ich seit ein paar Jahren lebe, nichts im Vergleich zu meiner Heimatstadt im Sauerland ist. Zum Glück habe ich wegen meiner sexuellen Orientierung noch keine körperliche Gewalt erfahren, wobei mir die schon angedroht wurde.
In meiner Kindheit besuchte ich zwei freikirchliche Schulen. Ich erinnere mich noch gut, wie sich unser Biologielehrer vor uns aufbaute und meinte, dass Homosexualität unnatürlich sei. Das war für mich als Jugendlicher, der gerade versuchte, mit seiner sexuellen Orientierung umzugehen, natürlich ein großer Schock.
Zusätzlich besuchte ich eine kurze Zeit lang eine freikirchliche Gemeinde. Dort erklärte mir eine ehemalige Freundin, dass Dämonen der Auslöser für meine sexuelle Orientierung sind. Die Freundschaft war schnell beendet. Aber die verbale Gewalt hält leider an.
Mit den Angriffen steigt die Angst vieler Homosexueller
Die körperliche Gewalt dagegen, der ich oft gerade so eben entfliehen kann, trifft dafür Homosexuelle in meinem Umfeld. Viele trauen sich aus Angst vor Gewalt und Verstoßung durch ihre Familie und Freunde nicht, sich zu outen.
Es schmerzt mich, zu hören, wie die Fälle homophober Übergriffe in den letzten Jahren gestiegen sind. Maneo, das schwule Anti-Gewalt-Projekt in Berlin ermittelte 2019 einen Anstieg von Angriffen auf queere Menschen zum Vorjahr um 32 Prozent. Viele haben Angst, Angst sich gemeinsam in der Öffentlichkeit zu zeigen, sich zu outen oder „zu schwul“ auszusehen, um Übergriffen zu entgehen.
Die Lächerlichkeit des Adoptionsrechts
Seit 2017 dürfen gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland heiraten. Doch nicht nur das hat sich mit der Öffnung der Ehe geändert. Denn durch diesen Beschluss ist es homosexuellen Paaren möglich, durch die Adoption eines Kindes eine Familie zu gründen. Ein Glück.
Doch nicht alle haben etwas davon. Für lesbische Paare, die sich zum Beispiel für ein Kind durch eine künstliche Befruchtung entschieden haben, ist es schwierig. Denn das Kind muss dann von der nicht-biologischen Mutter über komplizierte und aufwendige Wege als Stiefkind adoptiert werden. Selbst wenn das lesbische Pärchen verheiratet sein sollte. Das Unfaire: Tritt derselbe Fall bei einem heterosexuellen Paar ein, wird der Partner der Vater, egal ob leiblich oder nicht.
Blutspende nur nach sexueller Abstinenz
Eigentlich ist das Blutspendeverbot ein Thema, das mittlerweile nur noch nervt. Zwar dürfen schwule Männer Knochenmark spenden, von der Blutspende werden sie allerdings systematisch ausgeschlossen. Seit 2017 dürfen Männer, die Sex mit Männern haben, zwar Blutspenden, aber nur wenn sie eine sexuelle Abstinenz von zwölf Monaten aufweisen. Die Begründung dahinter ist, dass bei solchen Männern das Übertragungsrisiko von Infektionskrankheiten deutlich erhöht sei. Dabei wird das Blut bei jeder Blutspende sowieso mehrfach kontrolliert.
Schwulen Männern haftet immer noch das Vorurteil auf der Stirn, besonders anfällig für Infektionskrankheiten zu sein. Das ist Unsinn. Syphilis oder dem HI-Virus ist es völlig egal, ob derjenige beim Verkehr männlich, weiblich oder vom selben Geschlecht ist. Bekommen können es alle, auch heterosexuelle, vor allem beim sexuellen Kontakt ohne Kondom.
Der Punkt ist, dass schwulen Menschen so verklickert wird, dass ihr Blut minderwertiger sei und sie von ihrem Beitrag anderen Menschen mit ihrem Blut zu unterstützen, ausgeschlossen werden. Und da weltweit zu wenige Menschen Blut spenden, ist das Ganze noch viel unverständlicher.
Die überfällige Änderung im Grundgesetz
Doch was kann getan werden, neben der Aufhebung des Blutspendeverbots oder der gerechten Anpassung des Adoptionsrechts? Wie kann die Gewalt verhindert oder möglichst zurückgeschraubt werden? Wie kann dafür gesorgt werden, dass die Errungenschaften für gleichgeschlechtlich Liebende nicht rückgängig gemacht werden? Klare Antwort: eine Überarbeitung des 3. Artikels des Grundgesetzes.
Denn um andere Gesetze und Beschlüsse zum Wandel oder zum Erhalt zu bewegen, braucht es eine Änderung des Werkes, auf dem alle unsere Gesetze beruhen. Es wäre nur ein kleiner zusätzlicher Satz nötig, um die sexuelle Identität dauerhaft zu schützen. Nur ein paar kleine Worte mit einer großen Wirkung.
Es macht mich daher traurig zu hören, wie Politiker allen Ernstes darüber grübeln, ob es sinnvoll wäre oder überhaupt nötig, die sexuelle Identität in das Grundgesetz aufzunehmen. Was mich aber am meisten an dieser Debatte ärgert, ist, dass niemand durch diesen Zusatz benachteiligt werden würde. Im Gegenteil: Es wäre ein wichtiger Schritt in Richtung gesellschaftlicher Akzeptanz.
Wir brauchen einen Wandel im Bildungssystem
Doch wo könnte beim Thema Akzeptanz angefangen werden, wenn nicht schon in der Schule. Es kann nicht sein, dass im Unterricht das Thema sexuelle Vielfalt meistens unter den Teppich gekehrt wird. Das Thema muss in den Lehrplan integriert werden, damit schon Kinder lernen, dass sexuelle Vielfalt etwas völlig Normales ist.
“Ich möchte nicht, dass mein Kind durch so etwas beeinflusst wird.” Kommen Eltern mit solchen Sätzen um die Ecke, dann dramatisieren sie die Thematik nur weiter, als wäre es etwas Schlimmes. Das ist natürlich Schwachsinn. Doch nehmen wir mal diese Argumentation, dann müsste rein theoretisch auch Religion aus dem Lehrplan gestrichen werden. Denn dort werden die Kinder ebenfalls beeinflusst.
Der Witz ist aber, dass Religion meist eine bewusste Entscheidung ist. Homo- oder bisexuell zu sein dagegen nicht, auch wenn das gerne mal behauptet wird. Ich habe mich damals jedenfalls nicht vor den Spiegel gestellt nach dem Motto: „Ach, heute bin ich mal schwul.“
Jeder kann etwas tun
Doch was jeder tun kann, egal ob Lehrer*in, Politiker*in, Polizist*in oder Kassierer*in: Zeig Zivilcourage, wenn du siehst oder hörst, wie sich jemand abfällig über das Thema äußert, geh hin und konfrontiere die Person damit. Solltest du mal sehen, wie jemand bedroht wird, geh dazwischen, gerne auch mit der Hilfe anderer.
Du musst jetzt natürlich nicht mit einer Regenbogenfahne auf der Brust herumlaufen, um der Welt zu zeigen, dass du hinter dem Thema stehst. Es reicht, wenn du den Betroffenen einfach zeigst, dass du da bist und dass sie nicht allein sind. Du musst ja nicht einmal selbst ein Mensch sein, der sich zum selben Geschlecht hingezogen fühlt, um dich dafür einzusetzen. Es reicht, wenn du einfach ein Mensch bist.
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