Creditpoints fürs Ehrenamt – Corona macht’s möglich

Nicht erst seit der Corona-Krise engagieren sich viele Studierende ehrenamtlich – ob im Krankenhaus, im Sportverein oder bei der Nachhilfe. Nur wenige Unis belohnen das mit Creditpoints. Warum?

Eva Hermeling gibt Nachhilfe über die Corona-School. Quelle: Privat

Eigentlich sollte sich Eva Hermelings Nachhilfeschülerin im Englischunterricht gerade mit dem Past Perfect beschäftigen. Doch ihre Schule schließt wegen Corona Mitte März – mit sämtlichen Schulen der Republik. Bis zu den Sommerferien findet kein richtiger Unterricht statt. Die Lernunterlagen der Schule für diese Zeit? Höchstens dürftig. Und kaum mit richtigem Unterricht zu vergleichen.

Damit die Schülerin trotzdem nicht den Anschluss verliert, gibt Studentin Eva ihr bis zu fünfmal die Woche ehrenamtlich Nachhilfe. Die beiden treffen sich virtuell über den Videokonferenz-Dienst Zoom. Die Nachhilfe ist Teil der Initiative „Corona-School“. Über die Online-Plattform können Studierende Schüler*innen Nachhilfe geben, deren Schulen aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen wurden.

Eine Stunde dauert die digitale Nachhilfe. Vorher überlegt sich Eva ein paar spannende Themen. Die zwei unterhalten sich darüber, wollen so das mündliche Englisch der Schülerin verbessern. „In der letzten Nachhilfestunde haben wir über ihre Pläne für die Sommerferien geredet und anschließend typische Vokabeln zum Thema Reisen wiederholt“, erzählt die 22-Jährige. „Wir hatten aber auch schon mal eine Diskussion über Germany‘s Next Topmodel und haben gewettet, wer in das Finale kommt – und wer nicht.“

Kaum Belohnung für engagierte Studierende

Aktuell engagieren sich viele Studierende sozial. Rund 50 Prozent der 14- bis 29-Jährigen sind ehrenamtlich tätig, heißt es etwa in einem Bericht des Bundesfamilienministeriums. Sie helfen in ihrer Freizeit in Gesundheitsämtern, Krankenhäusern oder eben bei der Nachhilfe. Die Hochschulen erkennen das soziale Engagement in den meisten Fällen nicht an. Bei Eva ist das anders: Sie studiert an der Georg-August-Universität in Göttingen und bekommt dort sechs Creditpoints für ihr Ehrenamt. Die Hochschule ist damit in Deutschland eine Ausnahme.

Ehrenamt während Corona

Eva engagiert sich seit April in der „Corona-School“. Evas Studium beinhaltet mehrere Schlüsselkompetenz-Module. Diese sollen die Persönlichkeit der Studierenden stärken und sie auf ihr Berufsleben vorbereiten. Sie hat sich das Modul mit dem kryptischen Titel „SQ.Sowi.4“ ausgesucht. Es umfasst 100 Stunden soziales Engagement im Tausch gegen die sechs CP. „Die Creditpoints sollen keine Belohnung für das soziale Engagement sein. Es geht um die fachliche Anbindung. Das Ehrenamt machen die Studierenden für sich selbst. Mit den Creditpoints honorieren wir nur die Reflexion des Engagements“, erklärt Susanne Martini von der Uni Göttingen.

Bei der Nachhilfe lernt Eva auch selbst. Ihr Englisch sei durch das regelmäßige Sprechen wesentlich sicherer geworden. „Es kommt auch vor, dass mir dann im Gespräch Begriffe nicht einfallen, mein Englisch-Unterricht ist halt auch schon ein bisschen her. Aber dann hilft mir die Nachhilfeschülerin auf die Sprünge. Wir bringen uns so gegenseitig Sachen bei.“

“Machbarschaft” macht Hilfe möglich

David Schmidt engagiert sich bei “Machbarschaft”. Quelle: Privat

David Schmidt kann sich nur wünschen, dass seine Uni sein Ehrenamt anerkennen würde. In der Coronakrise hat er mit anderen Studierenden, Schüler*innen, Designer*innen und Ärzt*innen das Projekt „Machbarschaft“ ins Leben gerufen. Zusammen wollen sie Menschen, die beispielsweise nicht einkaufen können, mit Freiwilligen verbinden, die das für sie erledigen.

„Braucht Frau Müller zum Beispiel ein Brot, ruft sie bei der Hotline an. Diese funktioniert mithilfe künstlicher Intelligenz. Die Anfrage wird dann automatisch in eine App eingespeist und an Freiwillige in der Umgebung weitergeleitet“, erklärt der 22-Jährige. „Junge Leute können sich schneller helfen, sie können zum Beispiel Sachen übers Internet bestellen. Ältere Menschen können das nicht unbedingt.“ Aber: „Sie wissen, wie ein Telefon funktioniert.“

David Schmidt will andere Initiativen unterstützen

David studiert Informatik an der TU Dortmund. Als die Bundesregierung mit Ausbruch der Coronakrise den #WirVsVirus-Hackathon ins Leben rief – ein Umsetzungsprogramm für gesellschaftliche Lösungen in der Coronakirse –, war er mit seinen Teammitgliedern von „Machbarschaft“ dabei. Vom 20. bis 22. März arbeiteten mehr als 28.000 Teilnehmer*innen an Lösungen, wie Menschen anderen Menschen in der Krise helfen können. Davids Projekt schaffte es bis unter die Gewinnerteams und wird seitdem von der Bundesregierung gefördert.

Das Projekt habe sich seit März noch einmal deutlich entwickelt, erzählt David. „Wir haben uns entschieden, bereits vorhandene, lokale Initiativen, wie zum Beispiel die Caritas, mit unserem Projekt zu unterstützen. Uns fehlt noch das Vertrauen der Leute, weil wir neu sind. Andere Nachbarschaftsinitiativen haben das vielleicht schon“, sagt David. Genau diesen wolle er jetzt mit seiner Idee bei der Digitalisierung helfen.

Die TU Dortmund hält sich raus

Wenn gerade viel bei „Machbarschaft“ ansteht, investiert er schnell mehrere Stunden pro Woche in das Projekt. Darum hat David sich an die TU gewandt – ohne Erfolg. „Ich habe versucht, mir das Projekt irgendwie anrechnen zu lassen, das war ohne Weiteres aber nicht möglich“, erzählt er. Bislang würden der Hochschule Initiator*innen fehlen, die soziales Engagement ins Studium integrieren wollen und entsprechende Module schaffen, sagt Martin Rothenberg, Pressesprecher der TU Dortmund. Wissentlich werde ein solches Vorhaben aber nicht blockiert, es sei bisher einfach nicht Thema gewesen. Aus Sicht der Hochschule ist es zudem die Privatangelegenheit der Studierenden, ob sie sich sozial engagieren. Ähnlich wie beispielsweise bei der Religionszugehörigkeit halte man sich aus diesen Angelegenheiten raus.

Dabei ist David natürlich längst nicht der einzige Studierende, der sich neben der Uni ehrenamtlich betätigt. Zwar gibt es keine konkreten Zahlen, allerdings sei das Ehrenamt nicht selten Voraussetzung für ein Stipendium, sagt Ulrike Magarin von der Studienberatung der TU Dortmund. Es gebe im Moment 256 Deutschlandstipendiat*innen an der TU. Zusätzlich seien auch die 13 großen Begabtenförderungswerke an der TU vertreten. Und auch unabhängig davon würden sich viele Studierende sozial engagieren, sagt Magarin.

Soziales Engagement fördert persönliche Kompetenzen

David ist auch Deutschlandstipendiat. Er bekommt pro Monat 300 Euro finanzielle Unterstützung – die eine Hälfte vom Bund, die andere von privaten Stiftern. Sein Stipendium sieht die Mischung aus zivilgesellschaftlichem Engagement und staatlicher Förderung vor. Das sei aber für ihn nicht der Hauptgrund, um sich an Projekten wie „Machbarschaft“ zu beteiligen. „Zum einen mache ich das, weil es mir – wie jetzt zum Beispiel beim Hackathon – fachlich einfach eher liegt als andere Sachen. Zum anderen habe ich einfach großen Spaß daran und es ist oft ein guter Ausgleich zum anspruchsvollen Studium“, erklärt er. Aber er könne sich gut vorstellen, dass es einige Studierende zusätzlich motivieren könnte, sich ehrenamtlich zu engagieren, wenn es dafür Creditpoints gäbe.

Die gibt es an der TU Dortmund zwar nicht für ehrenamtliche Tätigkeiten. Man freue sich aber über jedes soziale Engagement unter den Studierenden, heißt es von der TU. Nicht nur in Göttingen können Studierende Creditpoints durch soziales Engagement sammeln. Knapp zehn Prozent aller deutschen Hochschulen bieten eine solche Möglichkeit an. Das Hochschulnetzwerk „Bildung durch Verantwortung“ bietet dafür eine Plattform. Jede der beteiligten Unis verfolgt in unterschiedlicher Weise dasselbe Ziel: Studierende dieser Universitäten sollen sich sozial engagieren, um wichtige Kompetenzen für das spätere Berufsleben zu erlangen. 

Corona verleiht dem Ehrenamt neuen Aufschwung

 

An der katholischen Universität Neu-Ulm etwa können die Studierenden sogar selbst ehrenamtliche Projekte vorschlagen. „Die entsprechenden Module sind im Wahlpflichtbereich verankert, die Ideen der Studierenden müssen dann eben grob zum Modul passen“, erklärt Christopher Cordes von der Universität Neu-Ulm. „Aktuell läuft ein Projekt mit der Freiwilligen Feuerwehr in Neu-Ulm. Es geht darum, dass unsere Studierenden sich Konzepte zur Mitgliedergewinnung überlegen. Die Idee kam von einem Studierenden“, erzählt Cordes. 

Corona-Krise schafft neue Möglichkeiten

Soziale Projekte finden an den Unis Zuspruch. In Neu-Ulm engagieren sich im Schnitt 35 bis 40 Prozent der Studierenden ehrenamtlich, sagt Cordes. Das geht zumindest aus Befragungen der Hochschule hervor. Ob diese Zahlen in der Coronakrise weiter gestiegen sind, sei unklar. Belastbare Zahlen dazu gibt es auch an anderen Universitäten kaum. Von der Universität des Saarlandes zum Beispiel hätten sich aber in der Pandemie rund 450 Studierende zur Mithilfe im Universitätsklinikum gemeldet, heißt es auf Anfrage von Kurt.

Dementsprechend wurden auch die Möglichkeiten erweitert, sich das ehrenamtliche Engagement fürs Studium anrechnen zu lassen, heißt es in Saarbrücken. An der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg sieht es ähnlich aus: „Die Universität Freiburg hat das Modul Service Learning aufgrund der aktuellen Situation ausgeweitet, sodass sich auch Studierende, die sich ehrenamtlich in Initiativen gegen Corona engagieren, dies anrechnen lassen können“, teilt die Pressestelle mit.

“Die TU Dortmund müsste viel öfter Flagge zeigen”

Dass es diese Möglichkeiten in Dortmund nicht gibt, kritisiert auch der Asta. „Wir als Asta finden schon, dass es in dem Bereich Nachholbedarf gibt. Gerade in der jetzigen Zeit ist nochmal klar geworden, wie wichtig soziales Engagement für die Gesellschaft ist. Deswegen würden wir uns freuen, wenn es auch seitens der Hochschule mehr Input geben würde“, erklärt Mira Kassakowski, Öffentlichkeitsreferentin des Asta. Der Asta selbst habe eigene Projekte, um das Thema „soziales Engagement“ für Studierende ansprechender und präsenter zu machen. Man sei in diesem Punkt auch sehr selbstkritisch, schließlich könne man immer noch mehr machen, erzählt sie.

Ein Vorschlag des Asta ist, dass die Uni sich in Zukunft auch an größeren, bundesweiten Projekten zum Thema beteiligen könnte. „Die TU Dortmund müsste viel öfter Flagge zeigen“, sagt Mira Kassakowski. Auch wenn soziales Engagement zum privaten Bereich der Studierenden gehöre, habe es dennoch Auswirkungen auf die Gesellschaft – anders als zum Beispiel die Religionszugehörigkeit. 

Beitragsbild: Annie Spratt/Unsplash

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