In den USA gibt es Abtreibungspillen jetzt per Post. Bei uns in Deutschland ist Abtreibung immer noch strafbar. Die Ampelkoalition könnte den umstrittenen Artikel 219a bald streichen. Aber es gibt noch mehr zu tun. Ein Kommentar.
Ungewollt Schwangere in den USA können erleichtert sein. Sie dürfen seit dem 16.12.2021 Abtreibungspillen per Post bekommen. Zuvor galt die Regelung wegen der Corona-Pandemie temporär, jetzt gilt sie permanent. Sie müssen lediglich vorher per Videoanruf mit einem/einer Ärzt*in sprechen, der/die die Pillen verschreibt. Weniger erleichtert sein können Schwangere in einigen Staaten der USA wie zum Beispiel Texas. Hier zeigen die Governeur*innen, was sie können, und verhindern den einfachen Zugang per Gesetz. In den USA treffen die Fronten der „Pro-Choice“ und „Pro-Life“ Anhänger*innen immer wieder aufeinander. Schwangere, die abtreiben möchten, werden von einem Eskortteam in die Klinik geführt und vor den Gegner*innen abgeschirmt.
#protectchoice #AbortionIsHealthcare
This is not acceptable to have these men screaming outside #plannedparenthood . Patients and staff cannot hear themselves. @ProChoice_NC @NARAL @NC_Governor pic.twitter.com/qM739ZiuhA— Laura Reich (@Energymom) December 17, 2021
Auch in Deutschland hat die Diskussion um Schwangerschaftsabbrüche in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen. Die Kritik bezieht sich vor allem auf die Artikel 219a und 218 des Strafgesetzbuches. Denn auch in Deutschland ist es recht umständlich, einen Fötus abzutreiben. Allerdings sieht der neue Koalitionsvertrag vor, den umstrittenen Artikel 219a zu streichen. Somit könnte auch Schwangeren in Deutschland ein Schwangerschaftsabbruch zugänglicher und freiheitlicher gemacht werden.
Niemand hat die Absicht, eine Abtreibung zu bewerben
Der womöglich bald gestrichene Artikel 219a verbietet Werbung rund um Abtreibungen. Aber wieso sollten Abtreibungen überhaupt beworben werden? Sie sollen kein die Wirtschaft vorantreibendes Mittel darstellen. Schließlich werden andere medizinische Prozeduren auch nicht beworben. Auf dem Werbebanner am Straßenrand ist bis jetzt keine vorsorgliche Bandscheibenoperation zu sehen gewesen. Trotzdem ist es gang und gäbe unter Senior*innen so etwas für die Mobilität zu tun. Sollte Artikel 219a fallen, wird es wohl kaum eine riesige Werbekampagne für Schwangerschaftsabbrüche geben. Niemand braucht blutige Föten auf schillernden Werbepostern befürchten. Den Ärzt*innen sollte lediglich die Möglichkeit gegeben werden, über die Behandlung zu informieren, aufzuklären und Abläufe zu erklären.
Bis jetzt können Schwangere sich nur bei speziellen Beratungsstellen informieren. Statt der Ärzt*innen nehmen oft Medien wie Die Zeit die Verantwortung auf sich, zu informieren:
“Wir informieren über Schwangerschaftsabbrüche:
§219a verbietet es Ärzten, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren, wenn sie sie selbst anbieten. ZEIT ONLINE darf berichten und erklärt deshalb erneut den Eingriff.”
Wenn Helfen strafbar macht
Auch Artikel 218, der jeden/jede Behandelnde*r zum/zur Verbrecher*in macht, sollte gestrichen werden. Dadurch, dass sich Ärzt*innen strafbar machen, wenn sie den vollen Service anbieten, wird der gesamte Prozess für die Schwangeren komplizierter. Zuerst müssen sie zu einer Beratungsstelle gehen, um sich über den Abbruch zu informieren. Danach folgen drei Tage Bedenkzeit. Erst danach kontaktieren sie eine*n Ärzt*in um die Abtreibung durchzuführen. Das nimmt viel Zeit in Anspruch. Besonders wenn der Schwangerschaftstest erst kurz vor Ende der zwölf Wochen Frist positiv ausfällt, ist Tempo angesagt.
Diese Bürokratie macht es für Schwangere, die gar kein oder nur wenig Deutsch sprechen, umso schwerer. Nicht jede*r kommt mit den einzelnen Schritten zurecht und weiß, wann er oder sie wo zu sein hat. Die Website der pro familia-Beratungsstellen ist bisweilen nur in Deutsch oder Englisch abrufbar. Das kriegt selbst die Website der Stadt Dortmund besser hin, auch wenn es nur eine einfache Übersetzung von Google ist.
Es wird Zeit, dass auch in Deutschland die nötigen Medikamente wie in den USA per Post zugestellt werden können. Auch das Gespräch mit dem oder der Ärzt*in per Videoanruf kann den Zugang erleichtern. Allerdings hinkt Deutschland in Sachen Telemedizin so oder so hinterher.
Die Schwangeren müssen mit den Folgen leben
Die Schwangeren sind diejenigen, die das Ungeborene in sich tragen und später gebären. Ihr Körper ist es, der die nötigen Vitamine und Nahrung zur Verfügung stellen muss. Nach der Geburt kümmern sie sich in der Regel um das Kind. Schwangere, die sich dazu nicht im Stande fühlen, sollten die Möglichkeit haben, die Schwangerschaft abzubrechen.
Wenn die werdende Mutter die ungewollte Schwangerschaft nicht abbrechen kann und das Kind trotzdem zur Welt kommt, muss es mit den Folgen leben. Die Mutter wird unter Umständen keine gute Mutter sein. Sie fühlt sich nicht reif genug, hat Geldprobleme oder keine Kraft Mutter zu sein. Wird das Kind zur Adoption freigegeben, erfährt es womöglich, dass es eigentlich abgetrieben worden wäre. Kein schöner Gedanke, so etwas über sich selbst zu wissen.
Stellt euch vor, ihr seid ungewollt schwanger. Vielleicht habt ihr nebenbei mit einer leichten Essstörung zu kämpfen und somit nicht genug Vitamine für das Ungeborene im Körper. Leider erfahrt ihr davon erst, als ihr schon elf Wochen einen Fötus in euch tragt. Ihr habt eine Woche Zeit für viel zu viel Papierkram, Termine und Anrufe in verschiedenen Institutionen. Im Endeffekt scheitert es an irgendwas. Das Kind wird einige Monate später geboren. Was jetzt? Zur Adoption freigeben? Es irgendwie selber versuchen? Eine schwierige, durchaus folgenschwere Entscheidung.
Es besteht weiterhin Handlungsbedarf
Das Vorhaben der neuen Regierung ist der erste Schritt in die richtige Richtung. Justizminister Marco Buschmann möchte wohl so schnell wie möglich an einer Streichung des Gesetzes arbeiten.
Die Streichung von §219a ist bereits in Auftrag. Justizminister @MarcoBuschmann im #NachberichtausBerlin über sein erstes Gesetzes-Vorhaben als Justizminister. pic.twitter.com/pbj409WlT6
— Bericht aus Berlin (@ARD_BaB) December 19, 2021
Für einen wirklich freiheitlichen Umgang müssen jedoch weitere Gesetze fallen. Genauso wie Stigmata und Vorurteile. Jetzt bleibt abzuwarten, wann das Versprechen in die Tat umgesetzt wird. Was bleibt ist weiterer Handlungsbedarf – sowohl in Deutschland, als auch in den USA.
Bildquelle: unsplash (Jon Tyson)