Von Missgeschicken, großen Entdeckungen und dem ewigen Leben

Kunst ist Erinnerung. Wenn wichtige Relikte vergangener Tage beschädigt werden, dann verlieren wir einen Teil unserer kulturellen Identität. Restaurator*innen sorgen dafür, dass auch noch nachfolgende Generationen die Kunstwerke bestaunen können – egal, ob auf Papier, Holz, Gestein oder Leinwand. Ein Besuch bei denjenigen, die zerstört geglaubte Schätze retten und erhalten können.

Celine Weyland; Foto: Andrea Kiesendahl 

Céline Weyland ist Papier-Restauratorin am Folkwang Museum in Essen. Das Folkwang ist eine der renommiertesten Adressen für moderne Kunst im Ruhrgebiet. Die Sonderausstellung zu den großen Impressionisten „Renoir Monet Gauguin“ zieht ein breites Publikum an. Hinter den Kulissen verbergen sich die Ateliers der Restaurator*innen. Hier arbeitet Céline Weyland. In den lichtdurchfluteten Räumen baumeln Absaugschläuche von den hohen Decken. Neben dicken Fachwälzern liegen vergilbte Vorzeichnungen. In der Ecke steht eine massive Papierschneidemaschine aus Eisen. Häufig behandeln Céline Weyland und ihre Kolleg*innen Werke mit Wasserschaden oder Schimmelbefall, sodass sie wieder vorzeigbar sind. Schon während ihres Studiums in Köln hat Céline sich ausschließlich mit Werken aus Papier beschäftigt: Tapeten, Büchern, Drucken oder Skizzen. An der Tätigkeit gefällt ihr besonders, dass ihre oft aufwendige Arbeit sichtbar ist. „Viele meiner Freunde beneiden mich um diesen Vorher-Nachher-Effekt. Ganz oft denke ich am Anfang: Das ist eine Katastrophe. Und dann kann ich es doch wieder zum Leben erwecken.“ 

 

In wenigen Wochen treten alle Exemplare der Sonderausstellung die weite Reise von Essen nach Tokio an. Céline wird den Konvoi begleiten. Die Vorbereitungen dafür beanspruchen die Restaurator*innen seit einigen Wochen, denn die Gemälde werden umrahmt und mit einem speziellen Schwingschutz für den Transport gewappnet. Diese konservatorischen Schritte entsprechen dem Grundgedanken der modernen Restaurierung, erläutert Céline: Vorsorgliche Schutzmaßnahmen sollen möglichen Schäden vorbeugen. Jeder überflüssige Eingriff am Werk soll dringlichst vermieden werden. 

Konservierung oder Reparatur? Eine Disziplin im Wandel 

Im 20. Jahrhundert war es noch weit verbreitet, Schäden mit großem Materialaufwand rücksichtslos zu reparieren, erzählt Céline. Früher habe man etwa zu intensiv die Bildoberfläche gereinigt und so die Malschichten angegriffen. „Dabei wurde viel Schönes abgenommen.“ Das Problem dabei: Mit jeder Reparatur entfernt sich das Werk weiter vom eigentlichen Urzustand und damit auch weiter von der Version der Künstler*innen. Es sei wichtig zwischen den Begriffen Reparatur und Restaurierung zu unterscheiden, findet Céline: „Wenn ich ein Buch habe – der Buchrücken ist abgefallen – dann würde ich bei einer Reparatur einen neuen Rücken dran machen. Heutzutage befestigen wir aber den alten Rücken so, dass es relativ unauffällig aussieht. Das ist Restaurierung.“ Mittlerweile laute das oberste Credo: Jeder Schritt muss reversibel sein. So schütze man das Werk vor zu tiefen Eingriffen, die die Handschrift der Urheber*innen maßgeblich verfälschen könnten. 

Die Berufsbezeichnung Restaurator*in ist nicht geschützt. Auf dem freien Markt bieten auch Quereinsteiger*innen ihre Dienste an. So sind immer wieder unrühmliche Geschichten zu hören, von jenen die mangels Wissens beim Versuch Kunst zu retten, große Schäden verursachen. Céline Weyland erinnert sich an eine Begebenheit aus ihrer kurzen Schaffenszeit an einem Museum in Kassel. „Der Direktor von dem damaligen Museum hat hobbymäßig nach der Arbeit historische Tapeten restauriert. Und hat wirklich alle Tapeten vollflächig mit Kunstharz kaschiert auf Multiplex-Platten und Holzplatten. Das ist schon echt frustrierend.“ Statt die Tapeten langfristig zu sichern, wurden hier weite Teile unwiederbringlich beschädigt, sagt Céline. Es sei unmöglich gewesen, das Harz von den Papierfasern zu trennen. Wegen vergleichbarer Unglücksfälle wurde das Berufsbild in den späten 1970er Jahren akademisiert. In Universitäten und Hochschulen sollte eine neue Generation Restaurator*innen ausgebildet werden. Céline ist studierte Papierrestauratorin. 

Zwischen Naturwissenschaft und Maltechnik

Luisa Pronadl bei der Arbeit;  Foto: Anna Repper 

 

Luisa Pronadl ist 21 Jahre alt und studiert im vierten Semester Gemälderestaurierung an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Im Studium in Dresden widmet sie sich besonders der Maltechnik. Ihr Ziel ist es, die Arbeitsweisen der Künstler*innen möglichst historisch akkurat nachzuahmen. Das ist zeitaufwendig, denn die unmittelbare Arbeit an den Werken geht stets einher mit einer großen Verantwortung. „Wir arbeiten immer am Original, im Studium, im Praktikum. Der Respekt ist daher groß.“ Allerdings schwinde der Druck mit mehr Erfahrung. Im Studium konnte Luisa Pronadl sich schon an Objekten aus verschiedenen Epochen ausprobieren. Aktuell verklebt sie an einem Werk aus dem 19. Jahrhundert die gerissenen Leinwandfasern unter dem Mikroskop mit einem Lötstab.

 

Wer in Dresden einen Abschluss erreicht, darf sich mit dem Diplom für Restaurierung schmücken. Luisa Pronadl findet, dass das Diplom eher zu den ausgeprägten naturwissenschaftlichen Inhalten ihres Studiums passt. An anderen Universitäten erhalten angehende Restaurator*innen den Titel Master of Arts. Die Zeit bis zum Vordiplom nach drei Studienjahren ist in Dresden durch umfassende naturwissenschaftliche Vorlesungen geprägt. Dort erfahrende die Studierenden die theoretischen Hintergründe zu den physikalischen und chemischen Prozessen, die ihnen im späteren Berufsalltag begegnen werden. 

Der „Koryphäen-Studiengang“ und spannende Entdeckungen 

Eine Anfrage an den Verband der Restauratoren ergab, dass sich die Zahl der Bewerber*innen auf einen Studienplatz in den letzten Jahren deutlich verringert hat. Manche Standorte mussten wegen der sinkenden Nachfrage sogar schon ganze Fachrichtungen auslaufen lassen. Auch beide Frauen teilen den Eindruck, dass weniger junge Menschen diesen Werdegang einschlagen wollen. Céline Weyland hat eine Erklärung: „Restaurierung ist halt ein Koryphäen-Studiengang, der ewig dauert. Das muss man finanzieren können.“ Vor Studienbeginn stand für sie ein dreijähriges unbezahltes Pflichtpraktikum in verschiedenen Werkstätten auf dem Plan. Während dieser Zeit wurde sie von ihren Eltern unterstützt. Zudem musste sie ihr Können in einer Bewerbungsmappe unter Beweis stellen und die Eignungsprüfung bestehen. Luisa hat vor Studienantritt ein einjähriges Pflichtpraktikum absolviert. Sie könne gut nachempfinden, dass Interessierte dadurch abgeschreckt würden. Ihre Erfahrungen zeigen aber auch, dass vielen das genaue Bewusstsein für diesen Beruf fehle.

Mittlerweile versuchen die Hochschulen die eigene Attraktivität zu steigern. Der Studiengang ist dabei sich zu wandeln und die Disziplin öffnet sich zunehmend. An den meisten Universitäten wird nur noch ein einjähriges Praktikum vorausgesetzt – so wie bei Luisa. Erste Standorte verzichten sogar ganz auf das Vorpraktikum oder die Eignungsprüfung. Céline Weyland betrachtet diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Zwar begrüßt sie, dass mehr Menschen der Zutritt zum Studium ermöglicht wird. Zeitgleich mahnt sie aber auch an, dass Praxiserfahrungen für das Studium unverzichtbar seien. 

Luisa bedauert die fehlende Sichtbarkeit der Restaurator*innen. Der Umstand, dass man wenig Wertschätzung außerhalb der eigenen Berufssphären erfahre, mindere unter anderem die Popularität der Profession. Nur in Einzelfällen erreichen Meldung aus der Restaurierung die breite Öffentlichkeit. „Das, was Restaurator*innen tun, kann so spannend und aktuell sein. Das merkt man, wenn sich plötzlich viele Menschen für so bahnbrechende Ereignisse wie die Freilegung des Armors beim ‚brieflesenden Mädchen‘ interessieren.“ Dieses Gemälde fertigte Jan Vermeer zwischen 1657 und 1659 an, zuletzt polarisierte es. In dem Bildnis einer jungen Dame am Fenster verbarg sich hinter einer kahlen Wand im Hintergrund eine Amorgestalt. Herausgefunden wurde das bei einer Untersuchung mit Röntgenstrahlen. 

Sobald diese Erkenntnis publik wurde, schwankte die Stimmung zwischen begeistertem Aktionismus und großer Zurückhaltung bei denjenigen, die das Bild in dem gewohnten Zustand mochten. Alles kreiste um die Frage: Soll der Liebesgott frei gelegt werden oder begnügt man sich mit dem bloßen Wissen von seiner Existenz und akzeptiert die kahle Wand als historische Ergänzung? Naturwissenschaftliche Analysen und ein Studium der historischen Quellen ergaben, dass Vermeer selbst unmöglich den Amor übermalt haben konnte, denn das ihn bedeckende Pigment war kaum mehr als 200 Jahre alt. Das Hauptargument, um den Amor freizulegen war gefunden. Daraufhin förderten jahrelange, minuziös durchgeführte Restaurationsarbeiten in der Staatlichen Kunstsammlung in Dresden den verborgenen Liebesgott zutage. Und entrissen dem Bild dadurch sein Geheimnis. Das Medienecho dieses Sensationsfunds ist längst verhallt. Céline und Luisa ergründen dennoch weiterhin die Geschichten und Geheimnisse der Kulturschätze, denen sie in ihren Ateliers neues Leben einhauchen. 

Ein Beitrag von
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