Armlehnen und Metallstacheln: Wenn Architektur feindlich wird

Dieses Bild sollte keine Worte benötigen und doch tut es das: Stacheln und Stangen als Zeichen der absoluten Verdrängung vor einem Laden in der Innenstadt.

Ob Armlehnen an einer Sitzbank oder auffällige Metallstacheln um warme Luftschächte, defensive Architektur hat ein Ziel – Wohnungslose zu verdrängen. Wie diese Bauweise wahrgenommen wird und warum sie ein Problem ist, erzählen unterschiedliche Akteure.

„Defensive Architektur meißelt die fehlende Anerkennung ein, ein Teil der Gesellschaft zu sein. Sie hat eine gewisse Symbolkraft für das, was Menschen in der täglichen Interaktion mit Wohnungslosen machen.“
Interview Nr.1

Name: Tim Sonnenberg
Position: Sozialarbeiter und Doktorand an der FH Dortmund, promoviert zum Thema Diskriminierung von Wohnungslosen
Alter: 34 Jahre

Eine sichtlich normale Bank und doch viel zu eng und klein um darauf schlafen zu können.

Wie definieren Sie als Sozialwissenschaftler defensive Architektur und das Ziel dahinter?
Wohnungslose Personen halten sich zwangsläufig vermehrt im öffentlichen Raum auf, weil sie keinen eigenen Rückzugsort haben – und sind dort permanent mit Vertreibung konfrontiert. Zum einen haben wir Architektur, die explizit so gemacht ist, dass sie für die Nutzung durch wohnungslose Personen unbrauchbar ist. Bspw. gibt es Bänke mit Armlehnen in der Mitte, oder aber welche die nur 1,30 lang sind. In beiden Fällen taugen die als Schlafplätze nicht mehr. Es ist schwer da eine Intention „nachzuweisen“, aber es gibt schon den Begriff von „Wohnungslosen-Tourismus“, also im Grunde die Sorge davor, für wohnungslose Personen als Stadt zu „attraktiv“ zu sein und somit viele Personen aus anderen Städten anzuziehen. Man kann Orte aber nicht nur durch bauliche Maßnahmen unattraktiv machen, sondern auch durch das, was nicht da ist. So fehlt es in der Innenstadt bspw. an öffentlichen Toiletten, die, wenn man kein eigenes Zuhause hat, nicht ganz unerheblich wären. Und es gibt auch sehr aktive Vertreibung. Das heißt, wenn Personen sich in alten Gebäuden Unterschlupf suchen müssen, aber auch wenn sie sich etwa in öffentlichen Gebäuden aufhalten oder in der Innenstadt gegenüber von Geschäften betteln, und ebenso durch Ordnungskräfte oder Ladenbesitzer*innen vertrieben werden.

Welche gesellschaftlichen Probleme entstehen durch defensive Architektur?
Zuallererst ist allen Menschen klar, dass es Obdachlosigkeit gibt. Die meisten Menschen gehen aber davon aus, das Hauptproblem wäre der Verlust von Wohnraum – was ja nicht grundlegend falsch ist –, und betrachten wenig, wie wahnsinnig problematisch die Lebenslage dann auf einmal ist. Da ist Diskriminierung der zentrale Punkt, weil sie alles bestimmt. Wo darf ich mich aufhalten? Wo bin ich erwünscht? Und, wenn ich erwünscht bin, wie muss ich mich verhalten? Die Handlungsspielräume sind also vordefiniert. Da braucht man nicht viel Fantasie, um zu wissen, was das auf der emotionalen und psychischen Ebene mit der betroffenen Person macht. Neben dem Wunsch nach Wohnraum ist da also noch ein weiterer Wunsch, nämlich der nach Anerkennung. Als jemand, der Gefühle und Bedürfnisse hat, eine Biografie, jemand, der auch mal einen schlechten Tag haben kann. An dieser Stelle ist defensive Architektur wie eine Statue für die fehlende Anerkennung als Teil der Gesellschaft. Es hat also eine gewisse Symbolkraft für das, was Menschen in der täglichen Interaktion mit Wohnungslosen machen. Natürlich sind sie theoretisch ein Teil der Gesellschaft, aber bildhaft sind sie es nicht mehr und das wird ihnen auch vermittelt. Sie fühlen sich ausgeschlossen und nicht mehr als Menschen wahrgenommen.

Vielleicht eine Art Schutz für die St. Reinoldi in Dortmund. Und wozu?
Damit scheinbar diese Ecke nicht als Toilette genutzt wird, wenn Wohnungslose keine andere Möglichkeit haben.

Was sollte die Stadt stattdessen unternehmen?
Da gibt es die naheliegenden Sachen, wie den sozialen Wohnraum auszubauen. Das ist aber auch die teuerste Lösung. Die Liste geht weiter zum Beispiel zu mehr Sozialarbeit, zu mehr Geld für Wohnungslosenhilfe. Wir müssen uns als Gesellschaft mehr mit der Frage beschäftigen, wer eigentlich zu uns gehört. Da muss man zwangsläufig dahinkommen, dass auch die Leute auf der Straße dazugehören. Anschließend sollten wir uns auch fragen, wie wir mit diesen Leuten im öffentlichen Raum umgehen. Wir brauchen gesamtgesellschaftlich die Perspektive, dass wir diese Menschen besonders schützen müssen, statt sie zu vertreiben. Auch mit ganz pragmatischen Sachen wie sauberen Toiletten, die vor allem öffentlich zugänglich sind. Bis wir diese Menschen in einen Wohnraum bekommen, müssen wir sie erst einmal auf ein menschenwürdiges Level heben.

„Sowohl die Stadtverwaltung als auch die Politik müssen jedoch darauf achten, dass jeder Raum so geplant wird, dass es dem Allgemeinwohl dient und möglichst alle Personen einen Straßenraum nutzen können. “
Interview Nr. 2

Name: Martin Schlegel
Position: Stadtplaner bei der Stadt Essen und ehemalig in Bochum
Alter: 35

Viele Sitzmöglichkeiten im Stadtgarten sind tatsächlich nur zum Sitzen gedacht…

Was ist das architektonische Ziel defensiver Architektur?
Das Ziel ist immer, bestimmte Personengruppen davon abzuhalten, die Möbel anders zu nutzen, als es ursprünglich gedacht war. Defensive Architektur erfüllt aber auch andere Zwecke, die gar nicht beabsichtigt sind. Nämlich, dass ein Großteil der Gesellschaft diese Stadträume nicht nutzen kann. Eine besondere Form defensiver Architektur ist zum Beispiel, dass Stadtmöbel in den letzten Jahren und Jahrzehnten gänzlich abgebaut wurden, um gar keine Nutzung zu ermöglichen. Viele Personengruppen bekommen dann Schwierigkeiten: Älteren Menschen, die von A nach B müssen, fehlt die Sitzmöglichkeit, wenn sie sich zwischendrin ausruhen müssen.

…denn auf den quadratischen Brettern ist das Liegen scheinbar unmöglich oder vorstellbar ungemütlich.

Inwiefern geht die Raumplanung auf Wohnungslose ein?
Ich glaube, dass das in der Stadtplanung ein eher nachrangiges Thema ist. Obdachlose haben keine Lobby und werden selten berücksichtigt. Sowohl die Stadtverwaltung als auch die Politik müssen jedoch darauf achten, dass jeder Raum so geplant wird, dass es dem Allgemeinwohl dient und möglichst alle Personen einen Straßenraum nutzen können. Das umfasst auch Obdachlose, indem beispielsweise konsumfreie Aufenthaltsmöglichkeiten geschaffen werden.

Was als Bank dienen soll, steht verkrümmt auf einem Spielplatz an der Haltestelle “Reinoldikirche”.

Wenn Wohnungslose berücksichtigt würden: Wie könnte Raumplanung dann in Zukunft aussehen?
Mein Eindruck ist, dass sich die Stadtplanung mittlerweile wieder für alle Personengruppen öffnet. Themen wie soziale Teilhabe werden verstärkt diskutiert. In der Innenstadt hängt das auch damit zusammen, dass nicht mehr so viel konsumiert wird. Defensive Architektur gibt und gab es dort vor allem, weil die Innenstadt ein Einkaufsparadies sein sollte. Jetzt merkt man, dass der stationäre Einzelhandel starke Schwierigkeiten hat, es viele Leerstände gibt und auf Plätzen und in Fußgängerzonen die Anziehungskraft fehlt. Darum denkt man in der Praxis nun auch mehr über defensive Architektur im öffentlichen Raum nach. Ich glaube deshalb, dass die Gestaltung der Innenstadt in den nächsten Jahren anders aussehen wird.

 

„Es ist problematisch, wenn ich nicht sehe, was Gesellschaft eigentlich ist, sondern wenn ich mich nur in meinen mehr oder weniger privilegierten Blasen bewege.“
Interview Nr. 3

Name: Bastian Pütter
Position: Redaktionsleiter des Straßenmagazins von bodo
Alter: 47

Hier wird das Fußballmuseum neben dem Hauptbahnhof mit viel zu kleinen Bänken und einer Steigung platziert. Die Steigung verhindert das gemütliche Liegen auf dem Boden und Security wacht tagsüber über den Vorplatz des Museums.

Defensive Architektur wird unter anderem genutzt, um wohnungslose Personen von bestimmten Orten fernzuhalten. Wie stehen Sie dazu?
Defensive Architektur zeigt sich dort, wo ein eigentlich frei zugänglicher Raum so gestaltet wird, dass er nur noch in einer bestimmten Weise genutzt werden kann. Das ist auch meist kein Problem. Problematisch ist es, wenn das unsichtbar passiert wie bei der defensiven Architektur. Den meisten Menschen fällt es nämlich nicht auf, dass man so Wohnungslose fernhalten möchte. Dieser Verdrängungswettlauf hat ein Ziel: Nämlich, dass die Menschen nur mit Ihresgleichen zu tun haben wollen, weil Andersartigkeit ihnen Angst macht.

Wie können wir diesem Verhalten begegnen?
Ich glaube, dass es für die Gesellschaft wichtig ist, die Mischung nicht zu verdrängen oder zu verbiegen. Es ist problematisch, wenn ich nicht sehe, was Gesellschaft eigentlich ist, sondern wenn ich mich nur in meinen mehr oder weniger privilegierten Blasen bewege. Dann entwickele ich eine Haltung und treffe Entscheidungen auf eine Art, die einen großen Teil der Gesellschaft nicht berücksichtigt. Die Innenstadt bietet eine Mischung aller Personengruppen und man hat die Möglichkeit, es aufzunehmen. Der richtige Weg wäre also, die Akteure in den Austausch zu bringen, damit sie die jeweiligen Ansprüche besprechen.

Auch direkt an verschiedenen Bahngleisen des Hauptbahnhofs gibt es zwar Sitzmöglichkeiten, aber keinesfalls eine zum Liegen.

Was erzählen Wohnungslose Ihnen, wie sie defensive Architektur wahrnehmen?
Die Betroffenen nehmen defensive Architektur als ihre Wirklichkeit wahr, mit der sie zu tun haben, und die ist da draußen für die Betroffenen sowieso feindlich. Sie empfinden defensive Architektur weniger als Kränkung oder als Angriff als das menschliche Handeln. Menschen, deren Lebensmittelpunkt der öffentliche Raum ist, halten die Vorgehensweise von Ordnungsamt und Polizei also eher für das Problem. Der Platzverweis oder die Geldstrafe betrifft Obdachlose stärker. Der Aspekt, wie öffentlicher Raum und somit auch Gesellschaft organisiert wird, sollte zwar sichtbar werden, aber entscheidend sind die Regeln der Polizei und des Ordnungsamtes.

„Die Gesellschaft behandelt dich größtenteils schon scheiße und wenn du dann sowas siehst, fühlst du dich auch von der Stadt nicht mehr erwünscht.“
Interview Nr. 4

Name: Dennis (möchte ohne Nachnamen genannt werden)
Position: war vier Jahre wohnungslos, seit Dezember bei bodo e.V.
Alter: 29 Jahre

Wie stehst du zu defensiver Architektur?
Ich finde es unfair, wenn es auf einmal aus dem Nichts kommt. Wenn Bänke schon immer Armlehnen gehabt hätten, würde niemand davon sprechen. Jeden normalen anderen Menschen stört es nicht. Die Gesellschaft behandelt dich größtenteils aber schon scheiße und wenn du dann siehst, dass dir nochmal Steine in den Weg gelegt werden, fühlst du dich auch von der Stadt nicht mehr erwünscht. Jeder sollte da sein, wo er hinmöchte, und solange man niemandem etwas damit tut, sollte man auch an den warmen Lüftungsschächten schlafen können.

Auch Bänke mit ungemütlichen Bolzen oder Erhebungen gehören zum Alltag der Wohnungslosen dazu.

Welche Erfahrungen hast du damals mit defensiver Architektur gemacht?
Ich hatte damals zum Beispiel keine Isomatte und keinen Schlafsack und da kann man sich nicht auf den Boden legen. Der Boden zieht die ganze Wärme aus dir raus und du bist schnell unterkühlt. Auf einer Parkbank geht das dann einigermaßen, weil du isoliert vom Boden schläfst. Also hatte ich damals keine andere Wahl, als auf dieser unbequemen Parkbank zu schlafen. Das hat sehr wehgetan und ich habe mich dann auch mehr ausgeruht, als geschlafen. Menschen, die auf Parkbänken schlafen oder liegen, werden allerdings aufgeschrieben. Wenn sie auf der Wiese liegen würden, nicht. Das ist so, weil sie anderen Leuten den Platz auf der Parkbank wegnehmen. Ich glaube aber nicht, dass um 7 Uhr morgens am Nordmarkt jemand genau auf dieser einen Bank sitzen möchte. Vor allem, wenn es dort noch viele andere freie Bänke gibt. Warum nicht jemandem ein wenig Schutz geben und liegen lassen? Die Bänke gehen davon auch nicht kaputt. Du bist froh, wenn du vom Boden weg bist und pennen kannst.

Von der Schönheit von Blumen bedeckt, nimmt jeder andere defensive Architektur als ganz normale Alltagsmöbel wahr. Doch beim Schauen hinter dem Vorhang, verbirgt sich eine traurige Wahrheit.

Wie könnte man Wohnungslosen noch das Leben erleichtern?
Ich wünsche mir mehr Akzeptanz und vielleicht auch Orte, wo Wohnungslose erwünscht sind. Wir haben in Dortmund schon brache Stellen, von denen sie nicht vertrieben und stattdessen akzeptiert werden. Die meisten wollen dort ohnehin nur die Nacht verbringen. Außerdem müssen die Anforderungen für die Männerübernachtungsstelle heruntergeschraubt werden. Die sind sehr hoch. Man braucht erst einmal Hartz IV und dafür braucht man einen Ausweis und man muss in der Stadt gemeldet sein. Wenn man dann einen Platz in der Männerübernachtungsstelle hat, muss man ins Krankenhaus gehen und sich auf Tuberkulose röntgen lassen. Man braucht ein Konto, eine Rentenversicherung und die Krankenkarte muss übertragen werden. Wer kein Hartz IV kriegt, muss sieben Euro am Tag zahlen. Viele Ausländer*innen, die hier gestrandet sind, haben kein Recht auf Hartz IV. Die Männerübernachtungsstelle ist für viele eine Notschlafstelle. Gleichzeitig kommt es für viele gar nicht in Frage, dort zu übernachten, weil sie die Voraussetzungen nicht erfüllen. Da sollten Betroffene mit den Leuten aus den Behörden und Einrichtungen zusammenarbeiten, weil dich auf der Straße jede Kleinigkeit überfordert.

Beitragsbild und Fotostrecke: Ajla Mahmutovic
Alle Bilder wurden in Dortmund gemacht.

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