Dopamin-Fasten – Ein Botenstoff als Hauptdarsteller

Florian studiert einen Umweltstudiengang im pfälzischen Landau. Er macht gerne Sport und produziert Video-Content. Ein Großteil seiner Inhalte: Selbstversuche. Gerade deshalb entscheidet er sich, den Internet-Trend „Dopamin-Detox“ auszuprobieren.

Florian Schröder liegt in seinem Bett. Er hat sein Zimmer heute noch nicht verlassen. Florian schaut auf die Uhr – das letzte Mal ist erst wenige Minuten her. Die Zeit vergeht kaum. Denn Florian macht Dopamin-Detox. „Kein Social Media, kein Internet, keine Computerspiele. Geschweige denn irgendetwas, das wirklich Spaß macht“, wird er später in einem YouTube-Video erklären.

Einer seiner Selbstversuche: Per Anhalter nach Sylt!
Einer von Florians Selbstversuchen: Per Anhalter nach Sylt. Foto: Florian Schröder

Inspiriert wurde er zu dem Selbstexperiment schon anderthalb Jahre zuvor ebenfalls auf YouTube, sagt er. Er will es richtig machen, entzieht sich für 24 Stunden allem, was Dopamin ausschütten könnte. Dazu zählt auch, möglichst nicht auf seine Mitbewohner zu treffen. Denn auch soziale Kontakte können zur Dopaminausschüttung führen.

Rückblickend beschreibt Flo den Tag als qualvoll. Lange Stunden, in denen er sich gelangweilt und nur versucht hat, die Zeit totzuschlagen: „Immer, wenn ich auf die Uhr geguckt habe, dachte ich: Endlich ist eine Stunde rum. Und dann habe ich versucht, nicht zu oft auf die Uhr zu gucken, weil das ja irgendwie auch ein Reiz war.“ Eine wenig angenehme Erfahrung für ihn. Trotzdem versucht er es im Jahr darauf noch einmal. Denn er glaubt weiterhin, dass ihm Detox zu mehr Motivation im Alltag verhelfen kann, wenn er es nur richtig macht.

Worum es bei dem Trend geht

Begründet hat das Konzept 2019 der amerikanische Psychologe und Professor für Psychiatrie Dr. Cameron Sepah. Seither ist es als „Dopamin-Detox“ zum globalen Trend geworden. Sepah erklärt das Konzept in einem Beitrag auf seinem LinkedIn-Profil. Darin listet er sechs Verhaltensweisen auf, die laut ihm unter bestimmten Umständen als Suchtverhalten gewertet werden: Darunter fallen Essen als emotionale Reaktion, Internetnutzung und Gaming, Glücksspiel und Shopping, Masturbation, die Einnahme von Substanzen wie Alkohol oder allgemein die Suche nach Nervenkitzel. Seine Gegenmaßnahme für Suchtverhalten in diesen Bereichen liegt darin, sich dem gewohnten Verhalten für eine bestimmte Zeit zu entziehen, also zu fasten. Sepah betont, dass ein gänzlicher Verzicht – beispielsweise auf alle elektronischen Geräte – nicht im Fokus seines Konzepts steht. Vielmehr beurteilt jede Person selbst, welche Verhaltensweisen sie als problematisch empfindet und reduzieren will.

Der Psychologe stützt sich dabei vorrangig auf seine persönliche Berufserfahrung und Theorien und Studien aus dem Bereich der kognitiven Verhaltenstherapie. Studien zum Konzept des Dopamin-Fastens selbst gibt es bisher nicht. Das Konzept, wie er es formuliert, ist also nicht wissenschaftlich belegt. Außerdem ist Sepah nicht nur als Psychologe und Assistenzprofessor in Kalifornien tätig, sondern inszeniert sich auf Plattformen wie LinkedIn, YouTube oder der Blogging-Seite Medium vor allem als Geschäftsmann. Als solcher berät er laut eigenen Angaben CEOs und Unternehmen, denen es vor allem um die Produktivität ihrer Mitarbeitenden geht. Sein Dopamin-Detox probieren viele Menschen auf der ganzen Welt aus, teilen ihre Erfahrungen auf sozialen Plattformen und definieren mitunter ganz individuelle Versionen.

Mehr Motivation für die wichtigen Dinge

Die Arbeit am Rechner gehört für Florian schon lange zu seinem Alltag. Foto: Florian Schröder

Als Florian 2022 auf das Konzept aufmerksam wird, sieht sein Alltag anders aus als heute. Damals verbringt er einen Großteil seiner Zeit damit, Videos für seinen YouTube-Kanal FLOW zu produzieren. Er hört viele Podcasts, schaut Videos, spielt Computerspiele und liest, um sich weiterzubilden. Er hat Zeit, kann machen, worauf er Lust hat. Genau das ist auch einer der Gründe, wieso er Dopamin-Detox für sinnvoll hält. Ihm fehlt es an Motivation für die wichtigen Dinge, die er erreichen möchte. So erzählt er es. Deshalb verbringt er einen Tag lang die meiste Zeit in seinem Zimmer, schreibt in sein Journal, geht spazieren und verzichtet dabei auf Essen. „Es kamen dadurch Dinge an die Oberfläche, die ich sonst vielleicht nicht rausgelassen hätte“, sagt er. Und nicht alle davon waren positiv. Aber an seiner Motivation, erklärt er, hat sich dadurch nichts geändert.

„Das kann es noch nicht gewesen sein“, denkt er später. Also wagt er einen zweiten Versuch. Dieses Mal nimmt er sich zwei Tage Zeit und erlaubt sich kleine Nettigkeiten, wie Bagels selbst zu backen. So will er Dopamin-Kicks vermeiden, sich aber die extreme Langeweile ersparen, die er beim ersten Versuch verspürte.

Welche Rolle Dopamin überhaupt spielt

Hauptdarsteller von Sepahs Konzept ist der Botenstoff Dopamin. Dabei liegt der erste Trugschluss schon in der Bezeichnung Dopamin-Fasten. Man kann Dopamin nicht fasten. Denn es handelt sich dabei um einen wichtigen Bestandteil unseres Körpers. Es ist kein Stoff von außen, den wir beim Fasten einfach weglassen können. Sepah geht es darum, erlernte Verhaltensmuster zu ändern oder zu unterbinden. Was hat Dopamin damit zu tun?

Dopamin ist ein Botenstoff im Gehirn – genau genommen ein Neurotransmitter – der für alltägliche kognitive Funktionen mitverantwortlich ist. Beispielsweise für unsere Lern- und Gedächtnisprozesse, unsere Motivation und auch unsere Aufmerksamkeit. Auch mit erlernten Verhaltensmustern hat Dopamin etwas zu tun, erklärt Prof. Tobias Kalenscher, Psychologe und Professor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: „Sobald ich etwas als belohnend empfinde und motiviert bin, es zu tun, kann ich davon ausgehen, dass Dopamin eine Rolle spielt. Es motiviert mich, Aktivitäten auszuüben und es führt auch dazu, dass ich lerne, Dinge wiederholt zu tun.“ Dabei ist der Botenstoff aber nicht für unsere Freude an der Belohnung zuständig. Denn bei der Bewertung von positiven Erlebnissen spielen vorrangig Neuropeptide, wie Endorphine, eine Rolle. So erklärt es Prof. Kalenscher.

Assoziatives Lernen
So oder so ähnlich sieht die Skinner-Box in ihrer einfachsten Form aus. Foto: KI-generiert, keine echte Abbildung, erzeugt mit der Software ChatGPT

Unser Wissen über das menschliche Lernen ist von Experimenten zum assoziativen Lernen abgeleitet. Dabei werden Zusammenhänge zwischen verschiedenen Reizen, wie Ton und Futter, oder eine Verknüpfung zwischen Verhalten und Konsequenz, wie einer Belohnung, erlernt.

So eine Assoziation zwischen Verhalten und Konsequenz stellte im Rahmen der von ihm formulierten operanten Konditionierung der US-Psychologe Burrhus Frederic Skinner fest. In seiner „Skinner-Box“ beobachtete er das Verhalten von Ratten und Tauben. Ausgestattet ist die Box dem Prinzip nach mit einem Hebel und einem Futternapf. Betätigt das Tier den Hebel, erhält es eine Futterpille. Durch die unmittelbare Belohnung lernt es, den Hebel häufiger zu betätigen.

Dabei motiviert die erwartete Belohnung. Und dafür ist der Botenstoff Dopamin zuständig. Denn er wird nicht erst bei der Belohnungsgabe ausgeschüttet, sondern im fortgeschrittenen Lernprozess schon bevor das Tier den Hebel betätigt. Dadurch dient der Neurotransmitter als Motivator für das Verhalten.

Der Unterschied zwischen dem Wollen und dem Mögen

Das Dopamin bestimmt also nicht darüber, ob uns etwas Freude bereitet. Die vermehrte Ausschüttung des Neurotransmitters bewirkt, dass wir das Verhalten wiederholen wollen. Diese Unterscheidung ist bedeutsam.

Der Psychologe Prof. Kalenscher beschreibt, dass Menschen, die eine stoffgebundene Abhängigkeit zeigen – beispielsweise eine Alkoholabhängigkeit oder die Abhängigkeit von einer anderen Substanz – das Suchtverhalten durch eine vermehrte Dopaminausschüttung erlernen. Dabei ist es gut möglich, dass sie die Substanz zunächst wirklich mögen. Lässt das mit der Zeit nach, beispielsweise weil der Gebrauch ungewollte Folgen auslöst, hört eine abhängige Person aber nicht automatisch auf, die Substanz zu wollen. Suchtexperte Arne Lueg, Chefarzt am LWL-Klinikum Dortmund, erläutert: „Dass jemand psychisch auf diesen Suchtstoff fixiert ist und ihn konsumieren möchte, hängt tatsächlich mit dem Dopamin zusammen. Deswegen sind Süchte auch substanzunabhängig möglich.“

Diagnose: Abhängigkeit

In die suchtmedizinische Abteilung am LWL-Klinikum begeben sich Menschen mit substanzgebundenem Suchtverhalten in Entzugsbehandlung. Substanzunabhängig ist aber zum Beispiel auch die Gaming-Sucht, also Videospielsucht, seit 2022 eine anerkannte Diagnose. Diagnostiziert wird das Suchtverhalten anhand von drei Kriterien, die über mindestens zwölf Monate erfüllt werden müssen. Allgemein wird eine Abhängigkeitserkrankung (nach ICD-10) festgestellt, wenn drei aus insgesamt sechs Kriterien erfasst werden. Auch diese müssen über einen Mindestzeitraum hinweg beobachtet werden. Dr. Cameron Sepah schenkt diesen Suchtkriterien in seinem Beitrag keine weitere Beachtung, obwohl Suchtverhalten im Mittelpunkt des Konzepts steht.

ICD - International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems

Die ICD, internationale Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, wurde von der WHO entwickelt und wird auch in Deutschland für Diagnoseverfahren verwendet. Seit 1998 ist die ICD-10 gültig. 2022 ist die neue Version, ICD-11, in Kraft getreten. Für eine Übergangsperiode von mindestens fünf Jahren sind beide Versionen zugelassen.

Die sechs Suchtkriterien, anhand derer nach ICD-10 eine Abhängigkeit festgestellt werden kann, sind die folgenden (verkürzt):

1. Ein Wunsch oder eine Art Zwang, die Substanz zu konsumieren.

2. Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich Beginn, Ende und Menge des Konsums.

3. Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums.

4. Nachweis einer Toleranzentwicklung.

5. Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Substanzkonsums.

6. Anhaltender Substanzkonsum trotz eindeutiger schädlicher Folgen.

Florian möchte in Zukunft mehr Zeit in der Natur verbringen. Foto: Florian Schröder

Seinen Selbstversuch ist Florian nicht angetreten, weil er glaubt, Suchtverhalten zu zeigen. Trotzdem steht ihm gewohntes Verhalten, wie das Spielen von Computerspielen oder Online-Poker, im Weg, findet er. Er hat das Gefühl, seine Zeit zu verschwenden.

Deshalb ist er froh, als er während seines zweiten Detox‘ endlich eine Aufgabe angeht, die er lange aufgeschoben hat. Es geht um eine Geschäftsidee: „Ich wusste nicht so recht, wo ich anfangen soll. Also habe ich mich lieber mit irgendeiner Kleinigkeit beschäftigt, bei der ich genau weiß, was ich zu tun habe, statt dieses große Ding anzugehen.“

Aus der Langeweile lernen

Am meisten hat Florian aus der Langeweile gelernt, der er sich ausgesetzt hat: „Ich habe dadurch realisiert, wieviel Zeit wir eigentlich jeden Tag haben. Um Dinge zu tun, auf die wir Lust haben und auch, um die Dinge zu tun, die uns voranbringen.“ Deshalb plant er, auch in Zukunft ab und an ein Detox einzulegen. Dieses Mal möchte er dafür in die Natur gehen. Er will zwei, drei Tage wandern, um eine Pause vom Trubel seines Alltags zu machen. Denn weniger Zeit im Internet zu verbringen und sich stattdessen an den kleinen Dingen des Alltags zu erfreuen, bringe ihn weiter, findet Flo.

 

Beitragsbild: Florian Schröder

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