Make-up-Wahnsinn – Wie Social Media den Konsum in die Höhe treibt

Kosmetik kaufen wir oft nicht, weil wir sie wirklich brauchen, sondern aus Lust am Konsum. Ein Phänomen, das längst keine Seltenheit mehr ist. Was steckt hinter dem Verlangen, immer wieder in den Kaufrausch zu verfallen?

Vor dem Kosmetikregal in der Drogerie stehen und sich wieder nicht entscheiden können. Wird es der rote Lipgloss, den ich auf TikTok gesehen habe? Oder doch lieber der neue Blush, über den gerade alle in den sozialen Medien reden? Dieses Gefühl kennen wahrscheinlich einige von uns. Der innere Druck, noch das eine, aber wirklich nur noch dieses einzige kosmetische Produkt mitzunehmen, das am Ende doch nur im Schminktisch bei den anderen Sachen verstaubt. Was treibt uns dazu, immer wieder dem Kaufrausch zu verfallen?

Hartwin Maas ist Wirtschaftsingenieur und Zukunftsforscher aus Augsburg­. Er beschäftigt sich vor allem damit, wie sich zukünftige Entwicklungen in Technik und Wirtschaft und Generationen gegenseitig beeinflussen. Am Institut für Generationenforschung hat er vor kurzem an einem Artikel über den TikTok-Shop mitgewirkt. Im Gespräch erzählt Maas von den Risiken und Gefahren der sozialen Medien in Bezug auf übermäßigen Make-up-Konsum.

Herr Maas, sind junge Menschen anfälliger für Impulskäufe als ältere Menschen?

Ja! Das ist auf jeden Fall so. Das liegt daran, dass das Gehirn junger Menschen erst mit etwa 20 bis 25 Jahren vollständig ausgereift ist. Die Hirnphysiologie ist anders aufgebaut als bei älteren Menschen. Vor allem in der Jugendphase erleben wir viele Dinge zum ersten Mal und nehmen vieles intensiver wahr. Dadurch leben vor allem junge Menschen die eigenen Emotionen stärker aus. Sie vergleichen sich in dieser Zeit dadurch auch mehr mit anderen – seien es die Menschen im eigenen Umfeld oder Influencer*Innen. Durch das ständige Vergleichen sind junge Menschen insgesamt offener für neue Reize und somit auch anfälliger für Impulskäufe als ältere Menschen.

Der Dauerkonsum von Produkten kann heute schnell in einen unkontrollierten Überkonsum umschlagen. Wie sehr lebt unsere heutige Gesellschaft im Dauer- beziehungsweise im Überkonsum?

Im Grunde genommen geht es schon in der Kindheit mit der Schultüte los. Wir wachsen mit extremem Überkonsum auf und haben dadurch schlichtweg verlernt, zu verzichten. Dazu kommt, dass Kaufen heutzutage so einfach ist wie noch nie. Es gibt quasi einen nahtlosen Einkauf mit nur wenigen Klicks. Es ist beispielsweise oft gar nicht mehr notwendig, eine Kreditkarte zu besitzen.

Diesen nahtlosen Einkauf ermöglichen auch Social-Media-Plattformen wie TikTok. Wie schaffen sie es, uns mit kurzen Videos zum Konsum zu verleiten?

TikTok setzt vor allem auf einen Trick: das „Addictive Design“. Durch die Option, endlos scrollen zu können, hat der Algorithmus genügend Zeit, sich perfekt an die eigenen Interessen anzupassen.  Ein Produkt, das mir am Anfang ein- bis zweimal angezeigt wird, bekommt mehr und mehr Aufmerksamkeit. Das passiert bereits, wenn der Algorithmus merkt, dass ich mir ein Video nur wenige Sekunden angucke.

Addictive Design
Addictive Design beschreibt eine App-Gestaltung, die Technologien verwendet, um Nutzer*innen möglichst lange und häufig auf der App zu halten. TikTok bedient sich dieser Methode beispielsweise durch Infinite Scrolling. Wenn wir Content konsumieren, werden Inhalte immer wieder automatisch nachgeladen, während wir noch durch den Feed scrollen. Laut der Wissensdatenbank des Informationsportals Webcare zu Möglichkeiten und Grenzen digitaler Medien erzeugt das den Eindruck, endlos Videos auf der For-You-Page zu konsumieren. Eigentlich stammt Addictive Design aus der Gaming-Industrie.
Mere-Exposure-Effekt
Eine große Rolle beim Addictive Design spielt der „Mere-Exposure-Effekt“. Dabei geht es um eine zu Beginn neutral wahrgenommene Sache. Durch eine wiederholte Wahrnehmung wird diese Sache im Laufe der Zeit positiver vom Gehirn bewertet. Dabei handelt es sich um ein Phänomen aus der Psychologie.

Ein weiterer Trick, der gerne angewendet wird, ist, den Eindruck zu vermitteln, dass ein gewisser Mangel am Produkt besteht. Durch Videos, in denen es „Lauf nicht, renn!“ heißt, wird der Anschein vermittelt, dass ein Produkt schnell ausverkauft und somit nicht mehr verfügbar ist. Wir mögen das Gefühl nicht, in unseren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt zu sein. Genau dann wollen wir das anscheinend ausverkaufte Produkt umso mehr haben.

Stärken sich diese Tricks also gegenseitig und machen die Leute so kauffreudiger?

Ja, genau. Sie bestärken sich gegenseitig und führen dazu, dass der Konsum von Kosmetikprodukten immer mehr in die Höhe steigt. Es wird bewusst mit den Ängsten der User*innen gespielt.

Welche Rolle spielen Influencer*innen dabei?

Laut der Trendstudie 2025 des Instituts für Generationenforschung kauft jede*r Dritte Produkte nach, die von Influencer*innen auf Social Media beworben werden. Diese Videos bekommen besonders viel Aufmerksamkeit und somit auch viele Likes. Und Likes werden heutzutage quasi schon als Währung angesehen. Etwas, das viele Likes hat, bekommt automatisch mehr Aufmerksamkeit. Das wiederum erweckt den Anschein, dass ich das Produkt, über das gerade alle sprechen, auch in meinem Schrank brauche.

Warum ist es besonders gefährlich, von Influencer*innen manipuliert zu werden?

Das ist vor allem gefährlich, weil User*Innen Dinge zugespielt bekommen, die nicht der Realität entsprechen. Die heutigen Filtermöglichkeiten verlocken dazu, ständig die eigene Selbstdarstellung optimieren zu wollen. Ich kann mit einem Filter mittlerweile mein Gesicht anders aussehen lassen, ohne dass es auffällt. Auch KI-Influencer*innen können eine Rolle spielen. Sie vermitteln ebenso ein falsches Bild, beispielsweise das einer reinen Haut.

65 Prozent der Onlineshoppenden gaben in der Jugendtrendstudie 2025 an, hin und wieder bis oft ihren Einkauf aufgrund von Social Media zu tätigen. Diese Einkäufe bereuen sie kurz danach aber. Wie kommt es zu diesem Stimmungswechsel?

Zukunftsforscher Hartwin Maas. Foto: Institut für Generationenforschung

In erster Linie liegt es daran, dass die Erwartung auf das Produkt viel mehr Freude auslöst, als wenn wir das eigentliche Produkt dann in den Händen halten. Dann kommt es nach dem Kauf schnell zu einem schlechten Gewissen, vor allem dann, wenn wir uns fragen müssen, ob wir uns das gekaufte Produkt überhaupt hätten leisten können.

Ganz offiziell darf man erst ab dem 18. Lebensjahr Onlinekäufe abschließen. In einer Umfrage der Jugendtrendstudie 2025 haben aber 70 Prozent der Befragten angegeben, schon einmal vor dem 18. Lebensjahr etwas online geshoppt zu haben. Viele junge Menschen leiden in Verbindung mit dem Ganzen auch an der Fear of Missing Out, kurz FoMo.

FOMO (Fear of Missing Out)
Fear of Missing Out, kurz FoMo, beschreibt die Angst, Erlebnisse zu verpassen, die andere Personen haben könnten, bei denen wir selbst nicht anwesend sind. Das betrifft laut dem Bayerischen Forschungsinstitut für Digitales zum Beispiel den eigenen Freundeskreis oder aber, wie in diesem Beispiel, neue Trends rund um Kosmetikprodukte.

Seit dem 31. März können TikTok-Nutzer*innen Produkte direkt in der App kaufen. Mit der Einführung des TikTok-Shops scheint eine weitere Hürde im Social Commerce gefallen zu sein. Könnte dies zu einem weiteren Anstieg von Impulskäufen führen?

Weil der TikTok-Shop erst vor ein paar Monaten bei uns gestartet ist, gibt es bisher für Deutschland noch keine konkreten Zahlen dazu. Wenn wir in die USA schauen, ist das ganz schön spannend. Dort ist der Shop innerhalb der App nämlich schon früher gestartet. In den USA verschulden sich die Menschen dadurch gerade extrem.

Wie können Nutzer*innen vermeiden, durch soziale Medien einem übermäßigen Make-up-Konsum zu verfallen?

Trends sind zwar vergänglich, aber der Überkonsum kosmetischer Produkte in den sozialen Medien wird nicht weniger gezeigt werden. Deswegen sollte sich die jüngeren Generationen früh genug mit dem Thema Überkonsum von Make-up-Produkten vertraut machen. Das Wichtigste ist ein bewussterer Konsum – zum einem mit und auf Social Media, zum anderen auf Make-up bezogen. Das ist nämlich nicht ewig haltbar. Nachdem ein Produkt angebrochen wurde, verweist die Verpackung auf die restliche Haltbarkeit des Produkts. Besser ist es, das aufzubrauchen, was wir schon zuhause haben. Wir könnten uns auch vor Augen führen, wie wir auf etwas Größeres sparen, zum Beispiel auf den nächsten Sommerurlaub. Ein weiterer guter Tipp ist es, die 24-Stunden-Regel einzuführen: Brauche ich das Produkt morgen immer noch oder will ich es nur jetzt gerade haben? Es gibt auch die Möglichkeit, sich ein Selbstkontingent zu erstellen. Damit machen wir uns bewusst, welche Kosten zum Beispiel im kommenden Monat anfallen werden. Kleinere Tipps, die Hürden für den Konsum bereiten, sind zum Beispiel, keine Kreditkarte online zu hinterlegen und Shopping-Apps vom Handy zu löschen.

 

Beitragsbild: Canva

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