Mehr Videoüberwachung, schärfere Kontrollen, erweiterte Maßnahmen zur Identitätsfeststellung – Seit Bayern als erstes Bundesland im Mai 2018 ein neues Polizeigesetz verabschiedet hat, ziehen immer mehr andere Bundesländer nach. Das ist für Einige Grund zur Besorgnis: Sie fürchten, dass erweiterte Befugnisse der Ermittlungsbehörden auch die Rechte von Unschuldigen beschneiden und den Weg für Beamtenwillkür ebnen. In NRW wird der neue Entwurf heute noch einmal im Innenausschuss diskutiert. Doch wieso werden jetzt so viele Gesetze geändert und was ist dran an diesen Sorgen?
Die Gesetze, die Polizeibefugnisse regeln, sind in Deutschland bisher Ländersache. Nach dem Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 wurde allerdings bundesweit darüber diskutiert, die Polizeigesetze der Länder zu vereinheitlichen. Da Terrorismus häufig über nationale und internationale Grenzen hinweg agiert, argumentierten Politiker, dass man die Bürger so zukünftig besser schützen könnte. Außerdem entschied das Bundesverfassungsgericht im selben Jahr, dass das BKA-Gesetz in Teilen verfassungswidrig ist und überarbeitet werden muss. Damit hätte es unter Umständen als Musterbeispiel für ein bundesweites Polizeigesetz dienen können. Dazu kommt, dass alle Bundesländer ihre Gesetze an die neue Datenschutzrechtlinien der EU anpassen, sodass Änderungen ohnehin grundsätzlich nötig sind.
Zu einer Vereinheitlichung der Polizeigesetze ist es trotz vieler Diskussionen zum Thema aber bisher nicht gekommen. Stattdessen haben einzelne Bundesländer begonnen, ihre jeweiligen Gesetze zu reformieren. Den Anfang machte Bayern mit einem neuen, viel diskutierten Polizeiaufgabengesetz. Der NRW – Innenminister Herbert Reul stellte seinen Entwurf im Juli im Parlament vor.
Der Gesetzesentwurf für NRW
Schon jetzt sind Hunderte auf der Strasse – gleich startet in #Duesseldorf die Demo gegen das geplante #NRWPolizeigesetz. pic.twitter.com/X5DfcvXRa5
— Marion Schmickler (@MaSchmickler) July 7, 2018
Gegen diesen Gesetzesentwurf gab es reichlich Widerspruch von der Opposition, aber auch von Juristen und Menschenrechtlern. Einige der Kritiker drohten sogar damit, gegen den Entwurf Klage beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Sie meinen, gerade der Begriff der „drohenden Gefahr“ öffne die Tür zu willkürlicher Polizeigewalt und die strategische Fahndung würde besonders die Bürger betreffen, die auf den ersten Blick nicht „typisch-deutsch“ aussehen.
Auch Anhänger von Borussia Dortmund, dem 1. FC Schalke 04 und dem 1. FC Köln gingen im Juli in Düsseldorf auf die Straße, weil sie befürchteten, das neue Gesetz könnte nicht nur gegen Terroristen sondern auch im Kampf gegen Fußballfans zum Einsatz kommen.
Innenminister Reul besserte aufgrund dieser massiven Kritik nach und legt Anfang Oktober eine entschärfte Version des Gesetzesentwurfs vor, über die im Dezember im Landtag entschieden werden soll. Wenn die Abgeordneten es annehmen, hätte das Land sein bisher schärfstes Polizeigesetz. Doch was würde das für uns bedeuten? Wir haben die 5 wichtigsten Fragen für euch beantwortet.
1. Darf die Polizei demnächst meine Whatsapp-Nachrichten lesen?
Die Überwachung verschlüsselter Inhalte mit einem sogenannten „Staatstrojaner“, also einer Software, die heimlich auf einem Gerät installiert wird und Daten weiterleitet, soll durch das neue Gesetz erlaubt werden. Allerdings bedarf es dafür einer richterlichen Anordnung und die Erlaubnis gilt nur in besonderen Fällen, die das BKA streng definiert hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass eure Einkaufslisten in der WG-Gruppe oder die Verabredung zum gemeinsamen Lernen darunter fallen, ist also sehr gering. Datenschützer sehen diese Regelung trotzdem kritisch und verlangen, die Befugnisse der Polizei noch weiter einzuschränken.
2. Muss ich in Zukunft damit rechnen, überall im öffentlichen Raum gefilmt zu werden?
Wer befürchtet, an einem Bad Hair Day von einer Kamera erfasst zu werden, dem drohen unter Umständen schlechte Nachrichten. Wenn Reuls Gesetzesentwurf angenommen wird, darf die Polizei öffentliche Plätze überwachen, auch wenn dort bisher noch keine Straftat begangen worden ist. Allerdings schränkt der neue Entwurf diese Befugnis insofern ein, als dass bei einer solchen Überwachung auch immer ein Beamter auf der anderen Seite der Kamera sitzen und das Geschehen beobachten muss. Außerdem müssen Polizisten im Fall eines Verbrechens in Eingriffsnähe sein.
3. Wie lange dürfen Polizisten Menschen in Gewahrsam nehmen?
Wer ein schweres Verbrechen plant, dürfte laut neuem Gesetz bis zu zwei Wochen in Gewahrsam genommen werden, um die Umsetzung dieses Verbrechens zu verhindern. Falls nötig, soll eine einmalige Verlängerung von zwei Wochen möglich sein. Wenn es darum geht, die Identität einer Person festzustellen, dürfte diese bis zu 7 Tagen festgehalten werden. Hier kritisieren Gegner des Entwurfs einen Einschnitt in das Freiheitsrecht.
4. Was genau ist mit der „drohenden Gefahr“ gemeint und wer definiert sie?
Der Begriff der „drohenden terroristischen Gefahr“, der Polizisten schon bei vagem Verdacht zu einem Einschreiten befähigen sollte, wurde aus dem Entwurf gestrichen, weil er Kritikern zufolge unter Umständen verfassungswidrig ist. Im Fall einer akuten Terrorgefahr soll die Polizei dennoch vorgehen dürfen, allerdings sieht der Entwurf eine konkrete Definition vor, was genau terroristische Straftaten sind, um möglichst wenig Interpretationsspielraum zu lassen.
5. Was muss ich noch wissen?
Wenn das Gesetz verabschiedet wird, darf die Polizei zukünftig zur Verhinderung terroristischer Straftaten Aufenthalts- und Kontaktverbote aussprechen und eine elektronische Fußfessel zur Überwachung potenzieller Täter einsetzen. Das gilt theoretisch auch für gewaltbereite Fußballfans, die in einem Stadion Aufenthaltsverbot haben. Zur Überwachung dieses Verbots könnte hier ebenfalls eine elektronische Fußfessel zum Einsatz kommen, genau wie bei sogenannten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder Stalking. Außerdem schafft der Entwurf den gesetzlichen Rahmen zur Einführung von Tasern. Nach Auskunft des Landesinnenministeriums soll das aber lediglich die Tür für einen ersten Pilotversuch öffnen.Ob es tatsächlich zur Einführung von Tasern käme, steht nicht fest.
Das sagen die Gegner:
Dem Bündnis „Nein zum Polizeigesetz NRW“ reichen die Abmilderungen nicht. Sie kritisieren, dass der Entwurf der Polizei immer noch die Möglichkeit dazu gibt, Menschen einzusperren, die eigentlich noch gar nichts Strafbares getan haben und schon bei einem Verdacht ihre verschlüsselten Nachrichten mitzulesen. Auch die Erweiterung der Videoüberwachung und der mögliche Einsatz von Tasern sehen die Aktivisten kritisch. Auf Anfrage sagte ein Sprecher der Initiative in einem schriftlichen Statement: “Der Gesetzesentwurf bleibt eine einzige Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten, wir lehnen [ihn] daher ab!“
Die Fanhilfe Dortmund, die sich die juristische Unterstützung von Fußballfans zur Aufgabe gemacht hat, kritisiert zusätzlich zu den oben bereits genannten Punkten, dass es bei der Erweiterung des Unterbindungsgewahrsams keine konkrete Beschränkung auf terroristische Straftaten gibt. Sie befürchtet daher, dass unter Umständen auch Fußballfans vom neuen Gesetz betroffen sein könnten.
Das sagen die Befürworter:
Innenminister Reul will mit seinem Entwurf der Polizei dabei helfen, NRW sicherer zu machen und seine Bürger besser zu schützen. Er ist der Meinung, das bisherige Gesetz brauche ein zeitgemäßes Update, um bei drohender Terrorgefahr besser agieren zu können. Die Abmilderung seines Entwurfes begründet er damit, dass das beste Gesetz nichts nütze, wenn es vor dem Verfassungsgericht scheitere und geht damit auf die Kritik der Bevölkerung und seines Koalitionspartners ein.
Die Gewerkschaft der Polizei begrüßte den entschärften Gesetzesentwurf. Ihr Landesvorsitzender Michael Mertens sagte ebenfalls, die Polizei brauche im Digitalzeitalter andere Instrumente als im Analogzeitalter, aber die Eingriffsmöglichkeiten müssten gut begründet und von der Bevölkerung akzeptiert werden.
Und wie geht’s jetzt weiter?
Ob das neue Polizeigesetz in Kraft tritt, muss jetzt noch vom Landtag entschieden werden. Die oppositionelle SPD will laut Fraktionschef Thomas Kutschaty nur noch Details prüfen und auch der Koalitionspartner FDP zeigte sich zufrieden mit dem neuen Entwurf. Die Grünen werteten die Entschärfung als einen “Erfolg der Zivilgesellschaft” die durch ihren offenen Protest dazu beigetragen hätte. Trotzdem halten sie unter anderem die einwöchige Haft zur bloßen Identitätsfeststellung für unverhältnismäßig. Mit einem Beschluss wird bis Ende des Jahres gerechnet.
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