Kommentar: So wird das nichts mit dem Frieden in der Ukraine

Russland will einen Rückzug von NATO-Truppen aus der eigenen Nachbarschaft. Die EU will billiges Gas und diplomatische Gespräche. Und die Soldaten an der ukrainischen Ostfront wollen einfach nur heim. Warum eine schnelle und gewaltfreie Lösung der Russland-Ukraine-Krise nicht in Sicht ist. Ein Kommentar.

Der sogenannte „Ukraine-Konflikt“ im Osten des Landes dauert nun schon so lange an, dass die Entwicklungen der letzten Wochen an westlichen Küchentischen kaum noch ein Aufschauen vom Nutellabrötchen wert sind. Dabei ist „Konflikt“ nicht einmal das richtige Wort, sondern viel eher ein Euphemismus deutscher Medien, um den Angstball flach und das Problem weit weg zu halten. Was sich dort unter den Augen aller Machthaber*innen manifestiert, ist nämlich ein handfester Krieg. Und das, obwohl EU und NATO sich doch eigentlich der Wahrung von Frieden verschrieben haben.

Was führte zu der angespannten Lage?

Der Konflikt zwischen Ukraine und Russland besteht schon seit vielen Jahren. Nach der Ukrainischen Revolution im Winter 2014 sandte Präsident Putin Truppen, um russische Separatisten auf ukrainischem Boden zu unterstützen und annektierte die Halbinsel Krim.

Jetzt fordert Russland den Rückzug der NATO-Truppen aus russischen Grenzgebieten und einen Stopp der NATO-Osterweiterung. Russland besteht nämlich darauf, dass der NATO-Beitritt von sieben Staaten aus dem Baltikum und dem ehemaligen Jugoslawien im März 2004 gegen eine Abmachung war. Putin ist bereit, seine Forderungen mit drastischen Mitteln wie einem Krieg gegen die Ukraine durchzusetzen. Die NATO und die USA wollen die Situation diplomatisch verhandeln. Starke Sanktionen gegen Russland lassen bisher auf sich warten.

Es scheint, als wären Russland, die NATO und die USA an allem interessiert – bloß nicht an einer gewaltfreien Lösung der Situation oder gar einem Kompromiss. Beweisen konnten das alle Beteiligten bei den kürzlich stattgefundenen Gesprächen in Genf und beim Russland-NATO-Rat. Das Einzige, worauf man sich dort einigen konnte, war, sich nicht einig zu sein.

Rückzug, bitte!

Russlands Forderungen an die NATO sind einfach formuliert:

  1. Unterlassen von militärischen Handlungen in der Ukraine, dem Südkaukasus und in Zentralasien.
  2. Rückzug von militärischer Infrastruktur auf die Positionen von 1997.
  3. Verzicht auf Kurz- und Mittelstreckenraketen an für Russland gefährlichen Positionen.
  4. Verzicht auf eine Osterweiterung des NATO Bundes.

Russland möchte sich nicht von NATO-Mitgliedern eingekesselt sehen, das ist verständlich. Allerdings sind souveräne Kleinstaaten im Osten Europas damals nicht umsonst in das Militärbündnis eingetreten. Gerade mit Putin als autokratischen Präsidenten ist Russland kein besonders netter Nachbar. Statt Grillwürstchen werden da schon mal gerne Raketen über den Zaun gereicht. Sollten die NATO und die USA den Forderungen nicht nachkommen, drohen ein abgedrehter Gashahn und Krieg. Eine ganz einfache Rechnung.

Auch wenn Russlands stellvertretender Außenminister Sergei Rjabkow zusicherte, dass Russland keine Intentionen habe, die Ukraine anzugreifen, lassen die geschätzt 100.000 Mann starken Truppenaufmärsche an der ukrainischen Ostfront und die von einer amerikanischen Denkfabrik beobachteten Verlegungen von Kurz- und Mittelstreckenraketen gen Westen auf etwas anderes schließen. Oder ist das alles einfach nur Show und wir stehen am Anfang eines erneuten kalten Krieges?

Ausgetragen wird die Krise wie immer auf dem Rücken derjenigen, die sich nicht wehren können. Die humanitäre Situation ist katastrophal. Wirtschaftlich und strukturell sind die Gebiete im Osten der Ukraine kaum noch zu retten. Keine Arbeit, verminte Felder. Wer es sich leisten kann, flieht nach Osten oder Westen. Keine Fluchtmöglichkeit haben hingegen die Soldaten beider Seiten. Die meisten von ihnen kämpfen nicht aus Überzeugung, sondern weil Bildungs- und Sozialsysteme in beiden Ländern ihnen keine andere Möglichkeit lassen, als zum Militär zu gehen.

Der Preis ist heiß

Die NATO, so scheint es, möchte die angespannte Lage eigens Kraft ihrer Gedanken lösen. Das Ziel scheint klar: Ein Krieg muss um jeden Preis verhindert werden! Gut, vielleicht nicht um jeden. Auf keinen Fall darf Nord Stream 2 der Preis sein. Da sind sich zumindest mal alle einig. Kein Menschenleben und kein verhinderter Krieg kann so viel wert sein wie billiges und schnelles Gas. Und auch Waffenlieferungen an die Ukraine sind nicht denkbar. Da setzt Annalena Baerbock ganz klar auf Diplomatie und klärende Gespräche bei Spritzgebäck und Apfelschorle. Wäre die deutsche Politik nur bei Rüstungsexporten nach Israel, Ägypten oder Libyen genauso vernünftig und friedliebend gewesen. Oder ist der eigentliche Grund für die scheue Zurückhaltung der deutschen Waffenlobby vielleicht doch die gasförmige Daumenschraube aus dem Kreml?

Fest steht: Russland will die Ukraine. Das hat nichts mit der NATO-Osterweiterung zu tun. Sondern mit dem militärstrategisch sehr vorteilhaften Zugang zum Schwarzen Meer und den Grenzen zu den EU-Mitgliedsstaaten Polen, Slowakei und Rumänien. Das war auch 2014 bei der Krimmanexion schon so. Und auch die NATO weiß zumindest genau, was sie nicht will: eine EU-Außengrenze zu Russland und einen Verlust der militärischen Vorteile durch Basislager in Russlands Nachbarstaaten.

Sanktionen statt Speichelleckerei

Eine Lösung dieses „Konfliktes“ scheint also noch sehr weit weg. Da wird auch Annalena Baerbocks diplomatischer Besuch in der Ukraine und im Kreml nichts dran ändern können. „Es gibt nicht diese eine Zaubertür, die man öffnen kann und dann ist die Krise weg“, sagte die Grünenpolitikerin in Kiew. Bloß schwingt Putin auf der einen Seite schon seine magischen Panzer, während der Westen sich noch an billigen Kartentricks versucht. Diplomatie ist mit Sicherheit der klügere Weg. Aber ein diplomatisches Angebot fordert auch eine diplomatische Antwort. Und dazu werden die NATO und die USA Russland wohl oder übel zwingen müssen. Auch wenn diese Sanktionen bedeuten, Fehler, wie die eigene Abhängigkeit von Nord Stream 2 und das viel zu lange Beschönigen der Russland-Ukraine-Krise mit all ihren Facetten und Auswirkungen zugeben zu müssen.

Solange alle Beteiligten zu viel Spaß daran haben, Räuber und Gendarm zu spielen und ihre Playmobilritter an der Tafelrunde zu versammeln, gibt es in dieser Krise nur einen echten Verlierer. Und das sind die vielen Tausend russischen und ukrainischen Soldaten, die im Auftrag der Politik ihr Leben lassen.

Beitragsbild: Foto von Tina Hartung via Unsplash

Ein Beitrag von
Mehr von Lisa Böttcher
KURT – Das Magazin: Judo unter Corona-Bedingungen, Schach-Turnier, Theater Fletch Bizzel
Judo-Training fand beim TSC Eintracht Dortmund lange Zeit nicht statt: Die Sportler*innen...
Mehr
Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert