Tobias Sauren (27) ist Lehramtsstudent an der TU Dortmund und gerade zum zweiten Mal Vater geworden. Damit gehört er zu den sechs Prozent aller Studierenden in Deutschland, die während des Studiums Kinder bekommen. Wenn andere Studenten feiern, wechselt er Windeln. Trotzdem würde er sich wieder so entscheiden.
Mit seinem Tablett in den Händen steuert Tobias Sauren strammen Schrittes einen Tisch in der Mensa der TU Dortmund an. Auf dem Rücken trägt er seinen eigenen Rucksack, über der Schulter hängt eine Handtasche. Schnell stellt er das Tablett ab und düst wieder los, um seine Freundin an der Kasse abzuholen. Zusammen geht es zurück zum Tisch.
Tobias und seine Freundin sind gerade zum zweiten Mal Eltern geworden. Vor ein paar Tagen ist ihre zweite Tochter auf die Welt gekommen. Die große Schwester ist bereits zwei Jahre alt. Normalerweise wäre Tobias jetzt schon auf dem Weg zum Kindergarten, um sie abzuholen. Heute passt ausnahmsweise seine Schwiegermutter auf die Kinder auf und die Eltern haben ein wenig Zeit zu zweit.
Eigentlich sind Tobias und seine Freundin so wie alle anderen Eltern auch. Der einzige Unterschied: Die beiden sind Studenten. Tobias hat sich nach einigen Jahren im Berufsleben für ein Lehramtsstudium entschieden und seine Freundin fängt gerade den Master in Erziehungswissenschaften an. Damit gehören sie zu den sechs Prozent aller Studierenden in Deutschland, die sich dazu entschieden haben, während des Studiums Kinder zu bekommen. Mit seinen 27 Jahren ist Tobias laut der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks einer der jüngsten Väter an deutschen Unis. Im Durchschnitt sind Studierende mit Kind, sowohl Männer als auch Frauen, 35 Jahre alt und damit elf Jahre älter als ihre Kommilitonen ohne Kind (24 Jahre).
“Das Studium ist die beste Zeit, um Kinder zu bekommen”
Tobias kennt seine Freundin seit über sieben Jahren und auch, wenn das Paar nicht verheiratet ist, nennt er sie immer liebevoll “meine Frau”. “Irgendwann stand für uns fest: Wir wollen Kinder! Das Studium ist für uns die beste Zeit in unserem Leben gewesen”, erzählt Tobias. “Wir wollten nicht bis zum Ende des Studiums warten und erst mit 38 Jahren Eltern werden. Außerdem ist später der Job dran. Da ist es deutlich schwieriger, Kinder groß zu ziehen.”
Um das Studium mit Kindern zu erleichtern, arbeitet die Universität mit einem Netzwerk aus über 100 Hochschulen zusammen. Ansprechpartnerin an der TU Dortmund ist Jeannette Kratz. Sie organisiert unter anderem Zusammenkünfte wie das Elterncafé oder berät Studierende mit Kindern in neuen oder schwierigen Situationen. ”Häufig geht es um die allgemeine Bewältigung: Muss ich immer anwesend sein? Wie finanziere ich alles? Wo kann ich mein Kind betreuen lassen?”, erklärt sie. “Aber auch die Partnerschaft oder Probleme in der Familie sind manchmal Thema. Einfach alles, was gerade bedrückt. Manchmal hilft es einfach darüber zu reden.”
Auch Tobias hat sich am Anfang viele Fragen gestellt. Mittlerweile weiß er, welche Möglichkeiten er und seine Freundin an der Uni haben. “Man kann häufig mit den Dozenten sprechen und beispielsweise um eine andere Studienleistung bitten. Dann schreibt man zum Beispiel eine längere Hausarbeit als die anderen”, so Tobias.
Aber nicht immer lässt sich ein Dozent auf eine solche Lösung ein. “Manchmal fehlt das Verständnis der Lehrenden”, erzählt Jeannette Kratz. “Das Familienbüro geht dann auf sie zu und spricht mit ihnen. Häufig rufen sie aber auch selbst bei uns an, um Fragen zu klären.”
Nicht nur an der Universität gibt es für Eltern Hürden, die bewältigt werden müssen. Auch die Finanzierung der eigenen Familie ist eine Herausforderung. Tobias arbeitet am Wochenende und häufig auch unter der Woche für eine Bäckerei. Außerdem beziehen er und seine Freundin BAföG. Zusätzlich zu der normalen Bürokratie kommen für Tobias noch andere Hindernisse hinzu: “Meine Freundin und ich kümmern uns eigentlich beide um die Kinder. Trotzdem darf nur einer von uns die Kindererziehung geltend machen.” Tobias muss also in der Regelstudienzeit bleiben, sonst verliert er seinen BAföG-Anspruch. Und das, obwohl er als Vater weniger Zeit zum Studieren hat.
Trotzdem sollte man an der Uni alles mitmachen
“Kinder zu haben bedeutet stärker gefordert zu sein oder weniger Zeit zu haben”, darauf weist auch Jeannette Kratz hin. ”Man muss sich im Klaren sein, dass man deutlich weniger Zeitfenster zum Lernen oder für Vorlesungen hat.” Trotz der wenigen Zeit empfiehlt die Ansprechpartnerin, vieles an der Uni mitzumachen: “Ob gleich zu Anfang bei der O-Woche oder auch in der Fachschaft. Es ist hilfreich, sich zu integrieren. Das gibt einem einen guten Einstieg in das Unileben und bringt auch Kontakt zu anderen Kommilitoninnen und Kommilitonen.”
Anders als bei Tobias Kommilitonen ist sein ganzer Tag auf die Kinder ausgerichtet. Er kann nicht bis zur ersten Vorlesung im Bett bleiben oder bis in den Morgen feiern. So war er noch nie auf einer Studentenparty. “Mein Fokus liegt jetzt zuhause”, erzählt er. “Ich finde es immer lustig, wenn ich um zehn Uhr in der Vorlesung Kommilitonen über die frühe Uhrzeit jammern höre. Da bin ich schon seit Stunden wach!”
Durch die wenige Zeit bleiben Freunde häufig auf der Strecke. „Freunde ohne Kinder verstehen häufig nicht, warum ich abends kaputt bin und nicht mehr raus will”, sagt Tobias. Auch die Partnerschaft verändert sich durch Kinder. “Wenn wir freie Zeit haben, dann nutzen wir sie eher für die Familie”, so der Vater. “Früher sind wir zum Beispiel regelmäßig in die Sauna gegangen. Heute kenne ich dafür jeden Zoo in NRW. Zeit zu zweit hat man eigentlich nur noch, wenn man sie plant.” Hinzu komme, dass man durch die Doppelbelastung mit Studium, Arbeit und Kind schneller gereizt sei. Wenn es dann zum Streit kommt, geht es, anders als bei anderen Studierenden, um Erziehungsfragen und nicht um den nächsten Kinobesuch. “Man kann auch nicht immer nachvollziehen, warum der andere gerade erschöpft ist”, ergänzt Tobias. “Manchmal hat man mehr Verständnis für den anderen, manchmal weniger.” Seine Freundin und er ziehen aber trotzdem an einem Strang: “Meine Frau plant zum Beispiel manchmal ein, dass ich mich nachmittags hinlegen kann. Ich weiß nicht, woher sie die Kraft nimmt.”
Auch wenn Tobias kein typischer Student ist, vermisst er nichts: “Aus dem Party-Alter bin ich raus. Das habe ich alles schon hinter mir. Ich habe Partys gefeiert und Urlaube gemacht. Wir haben alles richtig gemacht. Ich bereue nichts.”