Kommentar: Von Debatten und Meinungsfreiheit

Der Verfassungsschutz hat die AfD bundesweit zum Prüffall erklärt. Das stellt keine Einschränkung der Meinungsfreiheit dar, sagt Kurt-Autor Maximilian C. Helmes. Ein Kommentar.

Ich sitze in der Bibliothek und das Handy vibriert. Eine Eilmeldung von tagesschau.de poppt auf: „Verfassungsschutz erklärt AfD bundesweit zum Prüffall“

In meinem Kopf kann ich sie schon hören: Meinungsdiktatur! Wahlweise verstärkt mit dem Kampfbegriff ‚links-grün-versifft’. Ich kann mir schon die Interviews mit den AfD-Parteiköpfen vorstellen. Alexander Gauland, der in seiner üblichen Flucht nach vorne Gegenmaßnahmen ankündigt, nach dem Motto: Wir werden Sie jagen! Alice Weidel, als selbsternanntes Opfer. Redet irgendwas von einer Kampagne der Altparteien und vom klein halten des politischen Gegners.

Die Realität kam dann sogar noch härter. Der Verfassungsschutz, so die AfD Co-Vorsitzende, stehe unter politischem Druck. Außerdem, unter dem vormaligen obersten Verfassungsschützer, Hans-Georg ‚Es-gab-keine-Hetzjagden’ Maaßen, wäre die Einstufung zum Prüffall gar nicht möglich gewesen.

Auch auf twitter findet sich unter entsprechenden Schlagworten die Hülle und Fülle der Meinungen, die angeblich nicht mehr gesagt werden dürfen. Die Berechenbarkeit der politischen Debatte schockiert im Nachhinein mehr als die Entscheidung der Verfassungsschützer. Immerhin attestierte die AfD sich schon im November selbst eine gefährliche Nähe zu verfassungsfeindlichen Aussagen.

So funktioniert Meinungsfreiheit

Die Entscheidung des Verfassungsschutzes wirft weitere Fragen auf. Ganz grundsätzlich geht es um Meinungsfreiheit und die gesellschaftliche Debatte.

Es scheint, als gäbe es verbreitet Missverständnisse über das Recht der Meinungsfreiheit. In Deutschland ist die Meinungsfreiheit gerichtlich jedem Bürger über Artikel 5 des Grundgesetzes (BVerfG) und über Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention(EuGH) zugesichert. Das Recht gewährt jedem Menschen seine Meinung frei und ungehindert vor staatlichem Einfluss zu äußern. Das heißt aber nicht uneingeschränkt.

Nur das Bundesverfassungsgericht entscheidet in Deutschland über Einschränkungen von Grundrechten. Die Meinungsfreiheit wird hauptsächlich über das Strafrecht eingeschränkt.

Es gibt also „Meinungen“, wie Volksverhetzung, Beleidigung und ähnliches, die Grundrechte anderer so massiv verletzten, dass diese Meinung zu äußern eine Straftat darstellt.

Auf diese Weise schützt der Staat über die Einschränkung vor anderen Grundrechtsverletzungen.

Das Grundrecht der Meinungsfreiheit selbst garantiert ebenfalls einen Schutz. Den Schutz vor dem Staat und damit der Staatsgewalt. Zur ganzen Wahrheit gehört aber, dass Meinungsfreiheit keinen Schutz vor Gegenrede bietet. Um genau zu sein, schützt die Meinungsfreiheit gerade Rede und Gegenrede gleichermaßen.

Rede und Gegenrede

Unter dem Eindruck massiver Gegenrede kann man auf den Gedanken kommen, dass freie Meinungsäußerung nicht möglich ist. Der Effekt kommt aber nicht vom Staat oder einer anderen Organisation. Die Gesellschaft reagiert schlicht auf unpopuläre Meinungen mit sozialem Druck. Es ergibt sich aus Rede und Gegenrede die öffentliche Meinung. Mit Abweichler wird diskutiert, brisante Meinungen werden kritisiert, umstrittenes sogar sanktioniert.

Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, können davon ein Lied singen. Letzten Sommer traf es Mesut Özil und İlkay Gündoğan. Die beiden hatten den umstrittenen türkischen Staatspräsident Erdogan besucht. Vor einer Weltmeisterschaft kein PR-technischer Geniestreich für die beiden.

Dank sozialer Medien und deren Kommentarfunktion kommen seit einigen Jahren auch normal-sterbliche Bürger in den Genuss von Gegenrede. Was früher am Stammtisch hängen blieb oder maximal die soziale Sphäre erreichte, steht heute öffentlich im Internet. Dort wird die Meinung gelesen, bewertet und nach den selben Mechanismen, wie bei Personen des öffentlichen Lebens, reagiert.

Die Bertelsmann Stiftung hat sich Ende 2017 dem Thema Meinungsfreiheit in einer Umfrage mit 5000 Befragten gewidmet. Dabei stimmte jeder Fünfte der These die Meinungsfreiheit in Deutschland sei eingeschränkt zu. Ebenso abgefragt wurde die politische Orientierung anhand der Parteien. Ein interessantes Phänomen dabei: Unter den AfD-Wählern stimmten zwei Drittel der Aussage zu, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland eingeschränkt sei.

An dieser Stelle könnte man jetzt Schluss machen uns sagen: Schuld an der Misere sind die AfD-Wähler selbst. Sie haben unbeliebte Meinungen, erfahren Gegenrede und glauben deswegen die Meinungsfreiheit sei eingeschränkt. Wie schön! Die Gesellschaft macht alles richtig und steht auf der moralisch richtigen Seite. Das ist aber zu einfach.

Weniger schwarz-weiß malen

Das Verhalten der AfD-Wähler ist nicht zu ändern. Jedes Mittel dieser Wirkung wäre wie Wasser auf die Mühlen der Meinungsdiktatur-Schreier. Nur das eigene Verhalten kann bewusst geändert werden.

Vom Effekt aus gedacht bleiben zwei Optionen. Entweder man bleibt hart, sanktioniert weiterhin die Gegenseite und trägt auf diese Weise beidseitig zur Polarisierung der Gesellschaft bei. Schlimmsten Falls spaltet sich eine Gesellschaft so über eine Frage selbst. Sei es Brexit, Flüchtlingspolitik oder Klimawandel: Es gibt genug Kandidaten für aufgeheizte Debatten in denen auf politischer oder gesellschaftlicher Ebene nur noch schwarz-weiß debattiert wird.

Oder Option Zwei: Aushalten von Frust und Unterschieden. In der Psychologie spricht man von Ambiguitätstoleranz, der Fähigkeit Mehrdeutigkeit, Wiederspruch und sogar persönlich inakzeptable Meinungen auszuhalten ohne vorbehaltlos positiv oder vorbehaltlos negativ zu reagieren.

Das ändert nichts daran, dass eine menschenverachtende Meinung immer noch keinen Platz in unserer offenen Gesellschaft haben darf, denn sie bleibt menschenverachtend. In dem Punkt darf den Institutionen unseres Staates vertraut werden. Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte sind in der Lage die Schwachen zu schützen und Täter zu bestrafen. Es gibt die Gesetze, es gibt die Möglichkeiten den Missbrauch der Meinungsfreiheit zu bekämpfen.

Die AfD zum bundesweiten Prüffall für den Verfassungschutz zu erklären ist dafür genau der richtige Schritt.

Das Aushalten legaler Meinungen in der Debatte stellt den besseren Weg  dar, weil er den Fehlgeleiteten nicht die Tür vor der Nase zuschlägt. Er lässt denjenigen, die ihre Meinung ändern wollen den Weg zurück offen. Keine verbrannte Erde, kein zu Kreuze kriechen. Beide Seiten können ihr Gesicht wahren. Kein Triumph der moralisch Überlegenen. Gerade wer diese Rolle ausfüllen mag, sollte sich das verkneifen können. Ich bin der festen Überzeugung diese Taktik funktioniert gegen den Vorwurf der links-grün-versifften Meinungsdiktatur. Und vielleicht sogar gegen zweistellige Wahlergebnisse der AfD.

Beitragsbild: Cory Doctorow, lizenziert nach Creative Commons

0 replies on “Kommentar: Von Debatten und Meinungsfreiheit”