Studentin Anna aus Köln leidet an Depressionen. Es ist das Chaos in ihrem Kopf, das sie in die Psychotherapie gebracht hat. Damit ist sie nicht allein.
Spaß, jede Menge Alkohol und so viel Freizeit, dass man nicht weiß wohin damit. Wenn man mit ehemaligen Studierenden redet, die heute schon viele Jahre im Beruf arbeiten, zeichnet sich von der Studienzeit meist ein sehr klares Bild: Eine Zeit die man genießen soll. Eine Zeit in der man lebt, sich ausprobiert und dem „ernsthaften“ Leben den Mittelfinger zeigt.
Für viele Studierende in Deutschland sieht das jedoch ganz anders aus. Laut Ärztereport 2018 der Krankenkasse Barmer leiden knapp eine halbe Million Studierende unter einer psychischen Erkrankung. Das ist demnach jeder sechste Studierende in Deutschland. Die Symtome: Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit und Zukunftsängste. Rund 86.000 Studierende leiden bundesweit sogar an Depressionen.
Man hat tausend offene Fenster im Kopf. So kommt der Kopf einfach nie zur Ruhe.
Anna aus Köln ist eine von ihnen. Sie ist 22 Jahre alt und studiert an der HMKW (Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft) im vierten Semester. Ein Fünftes wird es erst mal nicht geben, denn sie kann nicht mehr. Im Alter von 16 Jahren bekam Sie die Diagnose, dass sie chronisch depressiv sei. Zwei Jahre später wurde ihre Therapie für beendet erklärt. Sie hatte zumindest keine Suizidgedanken mehr. Damals war sie 18 Jahre alt. Jetzt kommt plötzlich alles wieder. Schuld daran sei laut Anna das Studium: „Man hat tausend offene Fenster im Kopf. So kommt der Kopf einfach nie zur Ruhe.“
Zeitmanagement wird zum Risikofaktor
Laut Report der Krankenkasse gibt es mehrere Risikofaktoren für Studierende, die eine psychische Erkrankung und vor allem Depressionen auslösen können. Zum einen sind viele Studierende zum ersten Mal in ihrem Leben auf sich allein gestellt und müssen ihr Zeitmanagement selbst in die Hand nehmen. Für die meisten ein Befreiungsschlag, doch nicht jeder schaffe diesen Schritt in die Unabhängigkeit problemlos. Hinzu kommt der Zeit- und Leistungsdruck innerhalb des Studiums.
Genau das spürt Anna auch: „Man ist gezwungen, die Leistungsfähigkeit eines gesunden Menschen zu haben.“ Doch Anna wird der Druck zu hoch. Sie hat mittlerweile wöchentlich einen Nervenzusammenbruch und fühlt sich allein gelassen. Sie hätte schon versucht, sich an Dozenten zu wenden, jedoch ohne Erfolg. Es hätten ja auch Leute vor ihr geschafft, sei die ernüchternde Antwort gewesen.
Ich gucke mir die Gesellschaft an und sehe funktionierende Menschen.
Ältere Studierende seien im Vergleich zu jüngeren Studierenden noch häufiger von psychischen Erkrankungen betroffen. Laut Ärztereport 2018 sei die Gefahr bei Anfang-30-jährigen an Depressionen zu erkranken fast doppelt so hoch wie bei den Anfang-20-Jährigen. Bei Nicht-Studierenden ist es genau umgekehrt. Innerhalb des Berufsalltags sinkt das Risiko psychisch zu erkranken ab 25 Jahren. Grund für die erhöhte Gefahr bei älteren Studierenden seien hauptsächlich finanzielle Ängste und der Ausblick auf befristete Arbeitsverträge.
Anna beschreibt außerdem einen Teufelskreis der Gefühle. Wer aufgrund von Depressionen nicht mehr so leistungsfähig ist, fange an, sich mit anderen Studierenden zu vergleichen. Sie sagt: „Ich gucke mir die Gesellschaft an und sehe funktionierende Menschen. Und damit setze ich mich noch mehr unter Druck.“
Urlaub als Abhilfe
Im November 2018 zieht Anna schließlich die Reißleine. Die Suizidgedanken, die sie seit mehr als drei Jahren überwunden hatte, kamen plötzlich zurück. Ab April nimmt sie sich ein Urlaubssemster. „Wenn ich das jetzt nicht mache, dann habe ich vielleicht im Bachelor einen Burnout.“ Anna möchte sich in dieser Zeit in psychotherapeutische Behandlung begeben, und sich und ihren Kopf sortieren.
Laut Barmer wird die Zahl der psychischen Erkrankungen in den nächsten Jahren weitersteigen. Laut Prognose der Weltgesundheitsorganisation werden Depressionen bis zum Jahr 2020 die zweithäufigste Volkskrankheit sein.