Am frühen Montagmorgen wird der wichtigste Filmpreis Hollywoods verliehen: Der Oscar. Die besten Filme des Jahres bekommen dann wieder die begehrte goldene Statue. Aber wo schaue ich diese Filme überhaupt am besten? Wo bekomme ich das beste Filmerlebnis? Während Kolja Fach ganz lässig zu Hause bleibt und streamt, geht Jonas Nitsch dafür ins Kino.
Filme werden für die große Leinwand gemacht
findet Jonas Nitsch
Alles ist dunkel und ruhig. Plötzlich ertönt der Star Wars Score im ganzen Saal und der berühmte gelbe Schriftzug erscheint auf der riesigen Leinwand – pure Gänsehaut. So habe ich den Start der neuen Star Wars Trilogie vor ein paar Jahren im Kino erlebt. Solche Gänsehaut-Momente hatte ich bei einigen Filmen, aber eben nur hier: im Kino.
Technisch überlegen
Mal ehrlich: Über die technische Ausstattung lässt sich überhaupt nicht streiten. Hat man nicht gerade im Lotto gewonnen und kann sich sein eigenes kleines Privat-Kino einrichten, hat man hier nämlich schon verloren. In den Sälen der Kinos erwarten mich immer eine riesige Leinwand und ein grandioses Soundsystem. Hier passt alles perfekt. Der Vorhang geht auf und ich bekomme gestochen scharfe Bilder vom Anfang bis zum Ende und einen Sound, der den ganzen Saal erfüllt. Explosionen auf der Leinwand dröhnen mir in den Ohren. In “Bohemian Rhapsody”, der für den Oscar in der Kategorie “Bester Film” nominiert ist, hallt Freddie Mercurys Stimme durch den Saal. In dem Film über den Frontmann der legendären Kultband Queen ist es deshalb fast so, als würde Freddie noch einmal auf der Bühne stehen und ein Konzert vor mir spielen, obwohl er bereits 1991 verstorben ist. Bei mir zu Hause gibt es den Sound nur aus den internen Lautsprechern meines Laptops – ein meilenweiter Unterschied. Und wie oft saß ich schon da und habe mich beim Streamen über das Bild aufgeregt. Die Internetverbindung wird schlechter und schon erkenne ich fast nichts mehr, nur noch verschwommene Umrisse und Farben. Das will doch wirklich keiner.
Kino ist auch ein Gemeinschaftserlebnis
Dazu kommt noch die Atmosphäre im Kinosaal. In den seltensten Fällen sitzt man nämlich vollkommen alleine da und schaut in Ruhe einen Film. Das ist auch gut so, denn auch die Reaktionen der Zuschauer gehören zum Filmerlebnis dazu. Mit einem großen Publikum erlebe ich Filme ganz anders. Was ich damit meine, lässt sich an einem Beispiel schnell erklären: Zum Start von “Star Wars Episode VIII: The Last Jedi” habe ich den Film zweimal im Kino gesehen. Das erste Mal am Starttag in einem vollen Kinosaal und das zweite Mal einen Tag später in einem Saal mit nur fünf Leuten.
In der ersten Vorstellung habe ich gemerkt, wie viel Lust alle auf den Film hatten. Es wurde getuschelt und gerätselt, was wohl passieren wird. Dann ging das Licht aus, der Vorhang ging auf und alles war still. Die nächsten zweieinhalb Stunden zog der Film alle in seinen Bann. Raumschiffe lieferten sich ein Verfolgungsjagden und alle im Saal raunten vor Begeisterung. Etwas Witziges passierte und ein Lachen hallte durch den gesamten Saal. Es wurde spannend oder bedrohlich und man hörte nur ein leises Schlucken und die Menschen, die auf die Kante ihrer Sitze rutschten.
Schnitt in die andere Vorstellung: Der Film startete und lief durch. Bei witzigen Szenen kamen vereinzelt ein paar Lacher, aber ansonsten blieb es die meiste Zeit vollkommen still. Man kann sich vielleicht schon denken, welche Vorstellung mir besser gefallen hat – natürlich die erste. Filme werden für uns, die Zuschauer gemacht. Wie wir darauf reagieren ist deshalb wesentlicher Teil beim Erleben eines Films.
Kino ist nicht gleich Kino
Atmosphäre schafft aber nicht nur das Publikum, sondern auch das Kino selbst. Es muss nicht immer das größte Kino einer der bekannten Kino-Ketten mit einem riesigen Saal sein. In fast jeder größeren Stadt verstecken sich auch kleinere Programmkinos. In diesen Kinos merkt man oft noch den Charme alter Zeiten. Sie sind gemütlicher und richtet sich oft an besondere Filmliebhaber. Abseits des nächsten Marvel-Blockbuster und dem sonstigen Mainstream kann man hier kleine Perlen der Filmgeschichte und Filme anschauen, die ansonsten völlig untergehen würden.
Ich möchte den Film sofort sehen
Wo wir schon beim nächsten Marvel-Blockbuster sind. Dieses Jahr steht mit “Avengers: Endgame” ein entscheidender Wendepunkt im Marvel Cinematic Universe bevor, der Auswirkungen auf alle noch kommenden Filme haben wird. Am Ende des Jahres endet mit Episode IX die neue Star Wars Trilogie. Und diese Filme soll ich erstmal verpassen, weil ich sie lieber zu Hause streamen möchte? Niemals. Nach wie vor laufen die meisten Filme zuerst im Kino, erscheinen dann auf Blu-ray und DVD und landen dann irgendwann auf den Streaming-Plattformen. Wenn ich den Film also sofort sehen möchte, bleibt mir keine andere Wahl als in Kino zu gehen. Das wird auch noch lange so bleiben und das ist auch gut so.
Entspannt und erschwinglich auf der Couch liegen
möchte Kolja Fach
Vorab muss ich meinem Kontrahenten zähneknirschend ein paar Zugeständnisse machen. Ja, auf technischer Ebene kann alles an Hightech, was ich mir über die letzten Jahre mühsam erspart habe, nicht mit der Ausstattung eines Kinosaals mithalten. Bild und Sound müssen beim Streaming -je nach Endgerät mal mehr, mal weniger- zurückstecken. Ich sehe es ein.
Wenn ich mir die Überlegenheit der Streamingdienste in den anderen Bereichen anschaue, verzichte ich aber auch gerne auf die überlegene Technik.
Wo ich will, mit wem ich will
Zunächst kann ich mir die Szenerie, in der ich mir einen Film oder eine Serie anschaue, selbst aussuchen. Egal ob ich auf dem Sofa, im Bett, der Badewanne oder in der S-Bahn nach Wuppertal sitze – ich bestimme, was ich wann sehen möchte. Und nicht nur das: Ich kann auch völlig frei wählen, mit wem ich schauen möchte – lassen wir die S-Bahn mal außen vor.
Das bringt uns zum nächsten Punkt: Die Leute im Kino sind leider in vielen Fällen eine Zumutung. Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber ich scheine ein Abo für Sitznachbarn zu haben, die sich denken: „Hey, dieser lustige Film wird sicher noch viel lustiger, wenn ich jede Szene kommentiere.“ Oder: „Es stört sicher niemanden, wenn ich kurz ans Handy gehe, um meiner Oma zu sagen, dass ich grade nicht rangehen kann, weil ich im Kino sitze.” Nein, vielen Dank. Um mich glücklich zu machen, reichen eine Hand voll guter Freunde, ein handverlesener Film aus der Mediathek und Snacks, die mich nicht meine halbe Monatsmiete kosten.
Wer soll das bezahlen?
Denn die Preise für einen Kinobesuch sind in etwa so massentauglich, wie Friedrich Merz Mittelschichtler ist. Nämlich überhaupt nicht. Das ist das eigentliche Totschlagargument der Streaming-Anbieter: Die Preise! Zur Veranschaulichung habe ich ein bisschen Mathe gemacht: Eine vierköpfige Familie bezahlt für den gemeinsamen Besuch eines 3D-Films, inklusive Verpflegung*, sagenhafte dreiundachtzig Euro! Für dasselbe Geld kann dieselbe Familie ein halbes Jahr lang Netflix auf vier Geräten gleichzeitig nutzen.
Alleine in diesem Vergleich steht das Kino schlecht da. Und wir vergleichen hier nur eine einzige Vorstellung. Wenn man sich überlegt, dass man Netflix vielleicht drei Mal wöchentlich benutzt (Netflix-Nutzer wissen, dass das eine dreiste Untertreibung ist), ist die Ersparnis sagenhaft. Die Gebühren, die die Filmverleiher mittlerweile ansetzen, haben die Preise für Kinotickets ins Uferlose wachsen lassen. Das schlägt sich nicht nur in den unglaublichen Eintrittspreisen nieder, sondern auch in den Preisen für Verpflegung und in der immergleichen Werbung, die ich mir vor dem Film reinziehen muss. Auch die fällt beim Streamen weg, oder wird durch unauffällige Produktplatzierungen in den hauseigenen Produktionen der Streaming-Anbieter ersetzt.
Was ich will, wann ich will
Viele dieser hauseigenen Produkten sind es schon alleine wert, sich ein Streaming-Abo zu holen. Überhaupt macht die Vielfalt das Streamen noch attraktiver. Ich würde niemals ins Kino gehen und schauen, was momentan so läuft. Aber ich blättere minutenlang durch die Mediathek und lasse mich inspirieren. Finde Titel, die mir von Freunden empfohlen worden sind, oder die ich nie geschafft habe zu sehen. Dazu kommen überraschend zuverlässige Algorithmen, die mich immer wieder auf Kleinode aufmerksam machen, die ich sonst wahrscheinlich niemals angeschaut hätte.
Und dann sind da eben noch die eingangs erwähnten Eigenproduktionen. Egal ob Amazons Goliath, Netflix´ Daredevil, oder -brandaktuell- Bandersnatch, der erste interaktive Netflix-Film. Alleine dafür lohnen sich die Streaming-Anbieter. Für alternative Produktionen, Experimente und mutige Projekte, die es wahrscheinlich nie ins Kino geschafft hätten, sondern als “direct-to-DVD” Veröffentlichung Ladenhüter geworden wären. Auf Streaming-Plattformen bekommen sie den Raum, der ihnen zusteht.
Was ist also das Fazit?
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es mich nicht gelegentlich in Kinos verschlägt. Denn die Grundidee Kino ist heute noch so schön, wie in ihren ersten Jahren. Aber was aus dieser Idee geworden ist, macht mich traurig. Den meisten Kinos fehlt es an Atmosphäre und Flair und Konsum kommt vor Kunst. Solange sich das nicht ändert, locken mich maximal die heimeligen kleinen Programmkinos hinter dem Ofen hervor, vor dem ich es mir mit meinem Laptop gemütlich gemacht habe. Und streame…
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*Der Transparenz halber: Berechnet wurden zwei Schülerkarten plus zwei Erwachsenenkarten für den Film „Auquaman“ in 3D, sowie zwei „Nacho-Menüs“ inkl. Getränken -die billiger sind, als alles einzeln zu kaufen- in einer zufällig ausgesuchten Cinemaxx-Filiale.
Beitragsbild: Photo by Jake Hills on Unsplash