Fünf Jahre Warten auf ein Ergebnis
Bis zu diesem Urteil war es ein weiter Weg: Unterstützt vom Betreuungsverein Dortmund hatte Pascal bereits 2013 mit weiteren Betroffenen beim Bundesverfassungsgericht gegen den Ausschluss von der Bundestagswahl geklagt.
Über fünf Jahre dauerte es, bis er schließlich einen dicken Umschlag mit dem kompletten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zugeschickt bekam.
“Der entscheidende Satz war: Er darf wählen.”
“Das waren dreißig Seiten, aber der entscheidende Satz war: Er darf wählen”, sagt Julian Arke. Er arbeitet als Heilerziehungspfleger bei der Lebenshilfe Dortmund und trifft sich regelmäßig mit Pascal, um ihn im Alltag zu unterstützen. “Wir gehen zusammen zum Arzt oder zum Amt, manchmal auch einkaufen und wenn Pascal eine Frage hat, berate ich ihn.”
Die beiden arbeiten seit 2014 zusammen und sehen sich zwischen fünf und sieben Stunden die Woche. Am Anfang hat Julian noch öfter bei Pascal vorbeigeschaut, aber mittlerweile sei das nicht mehr nötig: Vieles kann er mittlerweile selbstständig, daher wurde die ambulante Betreuung reduziert. Theoretisch, so Julian, könnte er sie auch ganz beenden. “Wir sind kein Pflegedienst, wir haben auch zum Beispiel keinen Schlüssel für die Wohnung. Wenn Pascal sagt, er braucht unsere Hilfe nicht mehr, dann endet unsere Zusammenarbeit.”
Vorbereitung auf die erste Wahl
Anders ist das bei den gesetzlichen Betreuern, die Pascal von einem Gericht zugeteilt bekommen hat. Sie kümmern sich um gesetzliche und vertragliche Angelegenheiten ihrer Mandanten. Sie waren auch der Grund, weshalb er bis Februar von Wahlen auf Bundesebene und der Europawahl ausgeschlossen war.
Nachdem der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung Deutschland schon 2015 dazu aufgefordert hatte, sein Wahlgesetz zu ändern, hat das Land NRW 2017 erstmals Menschen unter Vollbetreuung zur Landtagswahl zugelassen. So konnte Pascal vor zwei Jahren zum ersten Mal seine Stimme abgeben. “Wir haben zusammen den Wahl-O-Mat gemacht und ich habe ihm den Wahlzettel erklärt, damit er weiß, was zu tun ist und wie eine gültige Stimme aussieht”, erzählt Julian von ihrer gemeinsamen Vorbereitung auf die Wahl.
Wahlrecht auf Antrag
Jetzt zur Europawahl sei das nicht mehr nötig, denn Pascal weiß schon, was er wählen wird. Anders als alle anderen Wahlberechtigten bekamen er und alle anderen Betroffenen aber keine Wahlbenachrichtigung zugeschickt, sondern mussten extra einen Antrag auf Aufnahme ins Wahlverzeichnis der Stadt Dortmund stellen. Dabei war schnelles Handeln gefragt, so Julian. “Als wir gehört haben, dass Pascal die Wahl beantragen kann, hat seine gesetzliche Betreuerin das quasi am selben Tag noch rausgehauen, damit es auch noch geht.“
Wenig später erhielt Pascal seine Wahlbescheinigung. Genau wie zur Landtagswahl, will er auch dieses Mal per Briefwahl seine Stimme abgeben. Zusammen mit seinem Betreuer in die Wahlkabine gehen, dürfte er übrigens nicht. Das dürfen nur Menschen, die zum Beispiel durch eine Sehbehinderung oder körperlichen Beeinträchtigungen nicht in der Lage sind, selbst ein Kreuz zu machen.
“Mögliche Wahlmanipulation ist nur ein vorgeschobenes Argument”
Julian ist der Meinung, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts längst überfällig war. Die Sorge vieler Kritiker, dass die Gefahr der Wahlmanipulation bei Menschen unter Betreuung höher wäre, lässt er nicht gelten. „In vielen Haushalten leben mehrere Menschen und gerade bei Briefwahlen wird nie geprüft, wer jetzt wirklich das Kreuz macht. Deshalb ist das für mich ein vorgeschobenes Argument.”
Auch der Einwand, dass manche Menschen unter Vollbetreuung vielleicht gar nicht der Lage seien, eine eigenständige Wahlentscheidung zu treffen, ist für ihn kein Grund für einen generellen Ausschluss. Denn auch Demenzkranke oder Menschen, die von ihren Angehörigen betreut werden, haben das Wahlrecht, obwohl sie nicht unbedingt in vollem Umfang Gebrauch davon machen können, so Julian. “Ich finde es schlimmer, wenn es jemanden gibt, der wählen könnte und es nicht darf, als wenn ein paar Leute wählen dürfen, die es nicht so nutzen können.”
Die Bundesregierung hat jetzt noch bis zum Juli Zeit, sein eigenes Wahlgesetz dem Gerichtsurteil anzupassen – denn die vorläufige Aufhebung des Wahlausschlusses, gilt erst mal nur für die Europawahl. Trotzdem haben Pascal und seine Mitkläger ihr Ziel erreicht: Sie dürfen ihre Stimme abgeben.
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