Auf Instagram gibt es immer mehr Shops, die mit „Influencern“ zusammenarbeiten, die weniger als 100 oder 200 Follower haben. Diese Influencer kaufen die Produkte mit geringem Rabatt, machen kostenlos Werbung für die Shops und bekommen dafür in den meisten Fällen: nichts – kein Geld und keine Belohnung. Doch Instagrammer machen massenhaft mit.
Der Traum von Anna D’Elia (Instagram: @thepinkfraeulein) ist es, Influencerin zu werden. Als sie im Frühling 2019 durch die Storys auf Instagram wischt, bleibt sie bei einer Anzeige von @aphrodite.jewellery hängen: „Werde Fashion Influencer bei der einzigartigsten Schmuckmarke“ steht darauf. Obwohl Anna weniger als 50 Follower auf Instagram hat, entschließt sie sich kurzerhand, sich zu bewerben. Sie wischt auf dem Bildschirm von unten nach oben, um zur Anmeldeseite zu kommen. Dort gibt sie ihren Instagram-Namen und ihre E-Mail-Adresse an. Kurze Zeit darauf erhält sie eine E-Mail von „Sophia von Aphrodite“ mit dem Betreff: „Du wurdest angenommen!“
Im Text schreibt Sophia: „Wir finden, dass du eine hervorragende Influencerin für unsere einzigartige Marke wärst & freuen uns auf die Kooperation mit dir!“ Darunter beschreibt sie die drei Schritte, wie Anna zum „Aphrodite-Girl“ wird. Sie soll innerhalb der nächsten 48 Stunden im Aphrodite-Shop bestellen und bekommt dafür „exklusiv -25% Rabatt“. Danach soll sie einen eigenen 15-Prozent-Rabattcode für ihre Follower auf Instagram erhalten. Für jede Bestellung über den Rabattcode erhält sie 10 Prozent Provision. Anna ist begeistert, bestellt ein Armband für 33 Euro und macht damit Werbung auf Instagram:
Kein Geld und kein Fame
Damit ist Anna offiziell Influencerin von @aphrodite.jewellery, aber außer nette E-Mails von Sophia und den Rabatt von 25 Prozent auf ihre Bestellung hat sie nichts bekommen. Weil keiner ihrer 47 Follower (Stand Juli 2019) ihren Code ANNA15 eingelöst hat, hat sie keine Provision bekommen. Dafür dass sie 33 Euro und einige Zeit investiert hat, hat sie also keinen Euro bekommen und Influencerin ist sie auch nicht geworden.
Ein unfairer Deal für die Influencer? Das sieht Justin Busch, der Geschäftsführer von @aphrodite.jewellery, nicht so: „Wir sehen die Provision nicht als alleiniges Ausstellungsmerkmal für die Kooperation, oder als einzigen Grund, um daraus Freude oder Profit zu schlagen“, sagt er. „Deswegen haben wir noch Gewinnspiele oder Produktentscheidungen mit dabei, damit die Influencer auch so einen Mehrwert bekommen.“ Sein Unternehmen setze darauf, dass die Influencer Freude an den Produkten haben. „Sie sollen hinter dem Produkt stehen und es nicht nur kaufen, weil sie den Zweck dahinter sehen, Provision zu bekommen.“
Die Influencer-Kooperation von Anna ist kein Einzelfall. Es gibt zahlreiche Shops, die mit derselben Masche werben wie @aphrodite.jewellery: @cnrdjewelry, @landgrafuhren, @mary_ann.shop, @cherish.jewelry, @edelcases, @emiliavaleriafashion, @lenoire, @lucieandleo, @maviorbeauty, @ninah_designs, @weissfederwatches und noch viele mehr. Teilweise machen die Geschäftsführer nach ihrem ersten Shop noch einen zweiten, dritten oder vierten auf. Das Geschäftsmodell scheint sich also zu lohnen.
Alle diese Shops schalten Werbeanzeigen in den Insta-Storys, in denen sie auf ihre Influencer-Programme hinweisen. Die Mikro-Influencer, wie die Shops sie nennen, bekommen nach erfolgreicher Bewerbung einen Rabatt auf ihre eigene Bestellung im Shop – zwischen 20 und seltener 50 Prozent – und einen Rabattcode für ihre Follower zwischen 10 und 25 Prozent Rabatt.
Viele Vorteile für die Shops
Damit ihr Code eingelöst wird, posten die Affiliates fleißig Fotos von den Produkten. Viele Shops versprechen außerdem, dass besonders schöne Postings auf den Instagram-Seiten der Shops oder in deren Storys geteilt werden und die Affiliates dadurch neue Follower hinzugewinnen könnten. Davon profitieren jedoch vor allem die Shops, weil ihre Influencer ihnen somit jede Menge kostenlose Fotos von ihren Produkten zur Verfügung stellen. Dazu kommt, dass die Affiliates den Unternehmen mit ihren Einkäufen Umsatz bescheren und mit ihren gekauften Produkten kostenlose Werbung für die Shops machen. Dabei geben sie als Privatpersonen besonders authentische Empfehlungen für die Produkte des Shops ab.
Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Affiliates Privatpersonen mit wenigen Followern sind. „Wenn sehr kleine Influencer einen Review oder Post auf Instagram verfassen, kommt das sehr viel glaubwürdiger, als wenn man einem großen Influencer viel Geld bezahlt. Denn heutzutage wissen die meisten Leute, dass große Influencer, die einen Post über ein tolles Produkt schreiben, dafür bezahlt wurden“, sagt der Geschäftsführer von @aphrodite.jewellery Busch. Der Shop sortiert bei den Bewerbern für das Affiliate-Programm nicht aus, außer der Bewerber hat keine Follower oder kein einziges Foto auf seinem Profil.
Eine Provision oder kostenlose Produkte bekommen die Affiliates erst, wenn ihre Follower den Rabattcode einlösen. Und genau da liegt das Problem für viele Mikro-Influencer. Laut Busch schafft es nur etwa ein Drittel der Affiliates des Shops, dass ihr Code zumindest einmal eingelöst wird. Bei @cnrdjewelry ist es laut dem Chef Mads Conrad etwa die Hälfte. Sein Shop vergibt vergleichsweise hohe Rabattcodes von 25 Prozent für die Follower der Affiliates. Die Geschäftsführer von @landgrafuhren, @mary_ann.shop, @cherish.jewelry, @edelcases, @emiliavaleriafashion, @lenoire, @lucieandleo, @maviorbeauty, @ninah_designs und @weissfederwatches waren nicht bereit, mit Kurt zu reden.
“Absolut unseriös”
„Solche Shops und auch der Umgang mit Micro-Influencern ist absolut unseriös. Hier wird offensichtlich auf Quantität gearbeitet“, sagt Ann-Katrin Schmitz zu den Kooperationen. Sie ist die Co-Founderin und Managerin des erfolgreichen Instagram-Accounts @novalanalove, der über eine Million Follower hat. Sven Wedig, Gründer und Geschäftsführer der Influencer-Marketing-Agentur Vollpension, hält auch nichts von diesen Affiliate-Programmen: „Quasi Hauptsache billig, das ganze ohne qualitative Benchmarks, bei maximal niedrigen Kosten“, beschreibt er die Strategie.
Aber warum laufen die Shops dennoch so erfolgreich und werben so viele Affiliates an? Schmitz meint, dass die normalen Instagram-Nutzer, die die Shops in ihre Influencer-Programme locken, sich einfach nicht genug auskennen. „Sie können schwer einschätzen, ob es sich hierbei für sie um ein gutes Geschäft handelt. Die wenigsten wissen, wie professionellen Anfragen und die Arbeit hinter den Kulissen der Influencer aussieht“, sagt die erfolgreiche Instagram-Managerin. Die Privatpersonen würden ihrer Meinung nach als vermeintliche Influencer „instrumentalisiert“.
Der Wunsch nach Berühmtheit
Laut den Shop-Betreibern und den Affiliates selbst sind es mehrere Gründe, die die Influencer-Programme für die Instagram-Nutzer so ansprechend machen. Der @cnrdjewelry-Geschäftsführer Conrad sagt, dass vor allem die Rabattcodes verlockend für die Mikro-Influencer seines Shops sind. Dagegen meint Busch von @aphrodite.jewellery: „Es ist sehr attraktiv für viele, ihre Influencer-Followerschaft zu vergrößern, online Geld zu verdienen oder allgemein eine kleine Berühmtheit zu werden.“
Dieses Bild spiegelt sich auch bei den Affiliates wider. Auf die Frage von Kurt, warum sie am Influencer-Programm teilnehmen, antworten sie, dass ihnen die Produkte gefallen oder dass sie „mal was Neues ausprobieren“ wollten. Viele sagen, dass sie gerne große Influencer werden wollen. Von tausenden Followern sind sie jedoch weit entfernt und auch durch das Affiliate-Programm hat sich ihre Followerzahl kaum oder gar nicht erhöht. Auch die Gewinne von großen Influencern haben sie nicht, sondern im Gegenteil: Nur eine Nano-Influencerin von allen, die mit Kurt gesprochen haben, hatte es geschafft, dass Codes von ihr eingelöst wurden.
Jessica (Instagram: @jessilainre) hat 154 Follower auf Instagram und ist Affiliate von @aphrodite.jewellery, @landgrafuhren und @cnrd.jewelry. Bei @aphrodite.jewellery wurde ihr Code noch nicht eingelöst, bei @landgrafuhren und @cnrdjewelry jeweils einmal. Weil es bei @landgrafuhren erst eine Uhr kostenlos gibt, wenn ein Code zweimal eingelöst wird, hat Jessica von dem Unternehmen noch nichts bekommen. Lediglich bei @cnrdjewelry erhielt sie die versprochene Provision von 25 Prozent. Das waren in ihrem Fall 6,25 Euro. Eingekauft hatte sie bei den drei Shops für insgesamt über 100 Euro. Jessica findet es jedoch nicht schlimm, dass sie als Nano-Influencerin ein großes Minusgeschäft macht. „Wenn jemand durch meine Erwähnung/Werbung dort etwas Schönes findet, freut mich das. Alles andere wäre nur ein Bonus.“
Manche zufrieden, manche enttäuscht
Und selbst einige der Affiliates, deren Codes noch nie eingelöst wurden, sind zufrieden mit ihrer Kooperation. Monika (Instagram: @moncepukas) hat 87 Follower und ist ebenfalls im Influencer-Programm von @aphrodite.jewellery. Sie sieht vor allem die Vorteile der Kooperation. „Ich erfahre als Aphrodite-Girl als Erste von neuen Produkten und erhalte für mich und meine Follower Vergünstigungen“, sagt sie. „Letztendlich wird eine Win-Win-Situation versprochen. Wenn ich etwas poste und es gut ist, stellen sie es in ihre Story, das sehen viele und ich bekäme mehr Follower.“ Das Problem ist jedoch auch bei ihr: @aphrodite.jewellery hat noch nichts von ihr gepostet. Monika sucht die Schuld jedoch bei sich: „Ich habe wirklich noch nicht viel gepostet und von dem, was dabei ist, entspricht wahrscheinlich nichts deren Vorstellung.“
Andere Affiliates dagegen zeigen sich unzufrieden mit der Kooperation und wollen sich für keine weiteren Influencer-Programme mehr bewerben. Vanessa (Instagram: @_vanessa_1609), die 185 Follower hat, findet es unfair, dass @aphrodite.jewellery bisher keines ihrer Fotos auf der Shop-Seite gepostet hat. „Ich finde, dass sie das, was sie angepriesen haben, nicht ganz umsetzen oder nur bei bestimmten Leuten“, meint sie. Vanessa hatte ursprünglich durchaus das Ziel, Influencerin zu werden, zumindest „so nebenbei“. Die Erfahrungen mit der @aphrodite.jewellery-Kooperation haben sie nun aber ihre Meinung ändern lassen. „Ich weiß nicht so ganz, ob das was für mich ist. Und auf Dauer muss ich ja für die ganzen Produkte immer Geld bezahlen und das kann ich gerade anderweitig besser gebrauchen“, sagt sie.
Auch Anna sagt, dass sie enttäuscht ist. Sie will aber trotzdem weiter versuchen, Influencerin zu werden. Sie denkt, es liegt an ihr, dass sie bisher noch keinen Erfolg hatte. „Ich bin selber schuld, weil ich sehr selten Bilder poste“, sagt sie. Und vielleicht seien ihre 47 Follower noch zu wenige. Sie findet das Affiliate-Programm an sich fair: „Man bekommt einen großen Rabatt, und wenn man ein schönes Profil hat, ist es nicht schwierig, gleich zu verdienen.“ Sicher? „Ja, sonst hätte ich es gar nicht probiert, ehrlich gesagt.“ Deswegen will Anna dranbleiben: „Weil irgendwann könnte ich Glück haben.“ Annas Hoffnungen sind verständlich, immerhin versprechen es die Unternehmen genau so – wohlwissend, dass nur die Minderheit der Follower überhaupt eine einzige Code-Einlösung erreicht.