Ich bin dann mal offline: Ein Selbstversuch


Das Internet ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Um zu erfahren, ob ein Leben ohne noch funktioniert, hat unsere Autorin Johanna den Selbstversuch gewagt und war eine Woche lang offline. Dabei hat sie sich selbst neu kennengelernt.

Damit ihr besser einschätzen könnt, welche Herausforderung diese Woche für mich war, vorher zu mir: Auf Instagram, Facebook und YouTube bin ich täglich aktiv. Von dem zehntausendsten Video meiner Katze bis zum typischen Spiegelfoto aus dem Fitti ist auf meinen Accounts alles dabei. Auf YouTube gehören Familienvlogs oder Follow-me-arounds zu meinen Lieblings-Formaten. Auf all das eine Woche lang zu verzichten, fiel mir nicht immer leicht.

Tag 1: Macht der Gewohnheit

Obwohl ich noch völlig verschlafen bin, geht der erste Griff wie gewohnt ans Handy. Ein Blick auf den Display zeigt: keine neuen Mitteilungen. Klar, damit hatte ich gerechnet. Es fühlt sich in dem Moment trotzdem seltsam an. Ich lege das Handy beiseite und gehe ins Bad. Normalerweise höre ich einen Podcast, oder lasse ein YouTube-Video im Hintergrund laufen. Die Stille, die heute Morgen meine Wohnung erfüllt, ist für mich ungewohnt.

Wenig später stehe ich grübelnd vor meinem Kleiderschrank. Gestern habe ich zwar das Wetter für die kommende Woche gecheckt, aber ich würde gern auf Nummer sicher gehen. Da ich kein Radio zu Hause habe, komme ich auf eine andere Idee: Mit ausgebreiteten Armen stehe ich um 7 Uhr morgens in meinem Schlafanzug auf der Terrasse. Die verwirrten Blicke meiner Nachbarin versuche ich zu ignorieren. Kurz darauf schlüpfe ich in mein geblümtes Lieblings-Sommerkleid. Bereits um diese Uhrzeit sind es gefühlt 25 Grad. In der Hoffnung, nicht doch von einem Gewitter überrascht zu werden, mache ich mich auf den Weg zur Arbeit. Dort bin ich circa zwanzig Minuten zu früh – und das an einem Montag. Schon am ersten Tag meines Selbstversuchs bemerke ich, wie viel Zeit ich ohne das morgendliche Checken des Handys sparen kann.

Tag 2: Eine böse Überraschung

Heute bin ich wieder zu früh fertig. Beim Blick auf die Uhr schwöre ich mir, meinen Wecker die kommenden Tage später zu stellen. Aber heute Morgen kann ich die übrige Zeit gut gebrauchen. Da ich gleich in einem Englisch-Seminar ein Referat halten muss, lese ich mir meine Karteikarten noch einmal durch. Auf der dritten stocke ich. Mist: Was heißt denn noch gleich „Königshof“ auf Englisch? Kurz überlege ich, den Google-Übersetzer anzuschmeißen. Doch den Gedanken verwerfe ich gleich wieder. Ich will mein Internetverbot nicht schon am zweiten Tag des Versuchs brechen. Stattdessen wühle ich in meiner Schublade und finde tatsächlich das, wonach ich suche: ein Wörterbuch. Nach einigem Hin- und Herblättern finde ich heraus:  Königshof heißt royal court. Schnell notiere ich mir die Vokabel und starte in Richtung Uni.

Als ich im Seminar-Raum sitze, klingelt mein Handy: „Ich habe dir auf WhatsApp geschrieben, aber die Nachricht geht irgendwie nicht durch,“ sagt meine Kommilitonin am anderen Ende der Leitung. Sie erzählt mir, dass sie krank ist und deswegen heute nicht mit mir das Referat halten kann. Ich schaue nervös zur Uhr: In nur zehn Minuten startet mein Seminar. Ich möchte mir die Folien meiner Kommilitonin zumindest vorher ansehen, bevor ich gleich spontan übernehmen muss. Also starte ich meinen Laptop und öffne den Internet-Browser. Prezi, ein Programm, das wir zur Gestaltung unserer Präsentationen genutzt haben, läuft nur übers Internet – und ich bin mir nicht sicher, was mein Professor von der Aussage: „Entschuldigen Sie, ich kann das Referat leider nicht halten, da ich kein Internet nutzen darf,“ halten würde. Also breche ich schon am zweiten Tag meines Selbstversuchs die Regeln.

Tag 3: Back to the roots – SMS statt WhatsApp

Heute muss ich lernen. Es ist Ende des Semesters und das heißt vor allem eins: Klausurenphase. Zum Glück habe ich daran gedacht, mir am Sonntag alle wichtigen Foliensätze runterzuladen.

Schnell bemerke ich, dass ich ohne die Ablenkung durchs Handy effektiver und konzentrierter arbeiten kann. Trotzdem reißt mich das Vibrieren meines Smartphones am Nachmittag aus meinen Gedanken. Es ist eine SMS meiner besten Freundin. Wir verabreden uns für Freitag zum Shoppen und ich versuche bei jeder weiteren SMS nicht an die teure Handyrechnung diesen Monat zu denken.

Vor dem Schlafengehen greife ich nach langer Zeit wieder zu dem Buch, das schon seit mindestens drei Wochen unberührt auf meinem Nachttisch liegt. Obwohl ich mir vornehme, dass Handy vorm Schlafengehen bei Seite zu legen, gelingt mir das selten.

Tag 4:  Studieren ohne Internet – Heutzutage unmöglich

Halbzeit meines Selbstversuchs. Am wenigsten habe ich bis jetzt, zu meinem eigenen Erstaunen, Soziale Medien vermisst. Dagegen fällt es mir schwerer, auf banale Dinge wie die Wetter App, Google Maps oder die Suchmaschine zu verzichten.

Um 10 Uhr startet heute mein Uni-Tag. Als ich den Seminar-Raum betrete, realisiere ich, dass dieser Kurs für mich ohne Internet völlig unsinnig ist. Es ist ein E-Learning-Seminar, in dem wir vor der heutigen Veranstaltung viele verschiedene Aufgaben auf der Online-Plattform der TU Dortmund hochladen mussten.. Aber wie soll ich ohne Internet auf meine Aufgaben zugreifen? Ich versuche, mich trotz fehlender Unterlagen einzubringen. Mein Blick schweift durch den Raum. Jede Person hat entweder einen Laptop oder ein Tablet vor sich stehen. Mich nervt es, dass ich an der Diskussion nicht teilnehmen kann. Als das Seminar zu Ende ist, kann ich es kaum abwarten zu verschwinden. Studieren ohne Internet ist heutzutage undenkbar.

Tag 5: Zeit für mich

Wenn ich normalerweise meine Bildschirmzeit bei den Einstellungen anschaue, liegt diese meistens bei zwei bis drei Stunden. Jedes Mal schwöre ich mir, weniger vor’m Handy zu hängen. Ich frage mich oft, wo ich diese ganze Zeit, in der ich online bin, hernehme. Dabei ist die Antwort klar: Ich habe diese Zeit nicht wirklich. Statt dem Seminar zu folgen, kommentiere ich lieber das neueste Bild meiner Lieblingsbloggerin. Statt zu lernen, suche ich auf Pinterest nach Rezepten und statt mir Zeit für mich zu nehmen, teile ich mein halbes Leben auf Instagram.

Um das zu ändern, starte ich diesen Morgen anders als sonst. Ich krame meine Sportmatte aus der Abstellkammer und mache ein paar Yoga-Übungen. In der Schulzeit hatten wir Yoga im Sport-Unterricht und zum Glück kann ich mich an viele Figuren erinnern. Denn ein YouTube-Tutorial kommt heute nicht in Frage. Circa 45 Minuten dehne ich meinen ganzen Körper und bemerke erst danach, wie gut mir das getan hat. Ich werde definitiv versuchen, das auch nach dieser Woche in meinen Alltag zu integrieren.

Ich springe unter die Dusche und sitze eine halbe Stunde später bei meiner besten Freundin im Auto. In der Stadt angekommen, sind wir völlig im Shoppingwahn. Obwohl ich mitbekomme, wie meine Freundin ein paar Voice-Messages mit einigen WhatsApp-Kontakten hin und her schickt, bin ich nicht neidisch. Im Gegenteil. Heute ist der erste Tag, an dem ich meine internetfreie Zeit genieße. Es fühlt sich gut an, niemandem auf WhatsApp eine Antwort schuldig zu sein, oder mir Gedanken darüber machen zu müssen, welches Bild ich später bei Instagram hochladen könnte.

Tag 6: Die Abhängigkeit von Anderen

Um 10 Uhr starte ich ausgeschlafen ins Wochenende. In den letzten Nächten bin ich nicht nur schneller eingeschlafen, sondern hatte einen tieferen und durchgängigeren Schlaf. Wahrscheinlich liegt das am abendlichen Lesen. Dabei merke ich, wie ich abschalten kann und mein Körper langsam runterfährt.

Am Wochenende gönne ich mir gern ein aufwändigeres Frühstück. Nachdem ich heute meine Smoothie-Bowl mit verschiedenen Früchten, Kokosraspeln und Chia-Samen verziert habe, blicke ich mit zufriedenem Lächeln auf das Endergebnis. Der Hashtag foodgoals würde heute perfekt passen. Schade nur, dass der Instagram-Gemeinde mein gutaussehendes Frühstück verwehrt bleiben muss. Während ich esse, fällt mir erneut die Stille in meiner Wohnung auf, an die ich mich noch immer nicht gewöhnt habe. Ich vermisse vor allem YouTube gerade enorm.

Nachdem ich tagsüber gelernt habe, fahre ich gegen Abend mit meinem Freund zum Kemnader See, um das sonnige Wetter noch auszunutzen. Der glitzernde See, indem sich die untergehende Sonne spiegelt, würde ein gutes Foto-Motiv ausmachen. Aber heute, da ich dieses Bild sowieso mit niemandem teilen könnte, genieße ich lieber den Moment, als ihn fotografisch festzuhalten und merke, wie gut mir das tut.

Auf dem Weg nach Hause möchte ich fürs nächste Wochenende einen Tisch in meinem Lieblingsrestaurant reservieren. Woran ich nicht gedacht habe: Wie soll ich ohne Internet an die Nummer kommen? „Nimm doch das Telefonbuch,“ hätte meine Oma jetzt sicherlich gesagt. Gibt es Telefonbücher heutzutage überhaupt noch? Schließlich muss mein Freund im Netz nach der Nummer suchen und einen Tisch reservieren.

Tag 7: Selbstvertrauen und Kreativität ist gefragt

Gegen 14 Uhr stehe ich in der Küche, um mir Mittagessen zu kochen.  „Koche ich Kartoffeln jetzt mit geschlossenem oder mit offenem Deckel? Und wie oft habe ich genau das eigentlich schon gegoogelt?“ Gedanken wie diese geistern gerade durch meinen Kopf. Scheint, als würde mein Gehirn sich solche Sachen aus Prinzip nicht merken, weil ich sie sowieso jedes Mal aufs Neue nachschaue. Ich entscheide, die Kartoffeln mit geschlossenem Deckel auf mittlerer Stufe zu kochen. Und siehe da: Auch ohne Internet habe ich 20 Minuten später perfekt gegarte Kartoffeln vor mir stehen. Vielleicht sollte ich manchmal ein bisschen mehr mir selbst vertrauen, statt direkt immer alles zu googeln.

Am Abend kommt noch einmal Langeweile auf. Obwohl mich die Netflix-Taste meiner Fernbedienung gerade sehr reizt, bleibe ich stark. Ich durchsuche mein Regal und finde das, wonach ich gesucht habe: Sims 3. Den restlichen Abend verbringe ich mit dem Spiel, das ich früher so geliebt habe. Netflix vermisse ich plötzlich nicht mehr. Trotzdem bin ich, als ich später im Bett liege, froh darüber, ab morgen wieder online zu sein.

Mein Fazit:

Obwohl ich meinen engsten Bekannten Bescheid gegeben habe, dass ich eine Woche nicht erreichbar sein werde, sind doch einige Nachrichten zusammengekommen.

Tatsächlich ging die Woche schneller um, als gedacht. An den stressigeren Tagen habe ich das Internet nicht wirklich vermisst. Wenn ich allerdings mal etwas weniger zu tun hatte, dann musste ich öfter mit der Langeweile kämpfen als sonst. Generell habe ich sowohl die guten als auch die schlechten Seiten der Internetabstinenz während meines Selbstversuchs kennengelernt. Zu ersterem gehört auf jeden Fall die Abhängigkeit von anderen und dass viele Dinge sehr umständlich waren. Zu den positiven Aspekten zähle ich nach dieser Woche, dass  ich konzentrierter arbeiten konnte dank mangelnder Ablenkung. Ein weiterer Plus-Punkt ist, wie gut ich in dieser Woche geschlafen habe. Nachdem ich mich langsam daran gewöhnt hatte, nicht mehr ständig erreichbar zu sein, habe ich gemerkt, wie ich innerlich runterfahren konnte.

Zukünftig noch einmal komplett aufs Internet verzichten werde ich freiwillig nicht. Allerdings könnte ich mir gut vorstellen, dass ich ab und zu mal einen „Handyfreien“ Tag einlege.

Screenshots: Johanna Hausberg, Fotos: Christiane Hausberg

 

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