Bei Problemen im Intimbereich sollte der erste Weg zu einer Ärztin oder einem Arzt führen – genau hier liegt das Problem. Schamgefühl und Angst führen dazu, dass Betroffene ihre Symptome aussitzen und Geschlechtskrankheiten sich immer weiter verbreiten. Eine neue App will Patienten den Gang zum Arzt leichter machen.
Eine Ärztin sitzt über ihr Handy gebeugt am Schreibtisch und schaut konzentriert auf ein Foto, das sie gerade erhalten hat. Eitriger Ausfluss, kleine Hautgeschwüre und Blutungen – nach einer kurzen Analyse ist für sie klar: Diese Patientin hat Chlamydien. Die Diagnose gibt’s per Textnachricht in der App: „Bei Ihnen liegt der Verdacht auf Chlamydien vor – stellen Sie sich umgehend einer Ärztin oder einem Arzt vor.“ Auf diese Weise behandelt das Team um Professor Titus Brinker viele verschiedene Patientinnen und Patienten täglich. Brinker hat mit Professor Stefan Esser von der Uniklinik Essen die Intimarzt-App erfunden. In der App können Betroffene ein Foto anonym einsenden und bekommen eine Antwort von Fachärztinnen und Fachärzten, die seit mehr als zehn Jahren im Beruf tätig sind.
Immer noch gelten Geschlechtskrankheiten als Tabuthema. Die Infektionszahlen haben sich in den vorherigen Jahren zum Teil deutlich erhöht. „Die Zahl der Syphilis-Infektionen zum Beispiel hat sich seit 2010 verdreifacht“, sagt Norbert Brockmeyer, Leiter des Zentrums für sexuelle Gesundheit und Medizin in Bochum. Gerade junge Menschen suchen gar nicht oder zu spät eine Ärztin oder einen Arzt auf. Bei den deutlich fortgeschrittenen Krankheitsbildern können Ärztinnen und Ärzte dann teilweise nur noch bedingt helfen.
Woher kommt diese Scham und Angst? „Der Schein einer aufgeschlosseneren Gesellschaft, gerade durch Soziale Medien, trügt“, sagt Esser. „Das Nacktsein ist mit einer großen Scham belegt. Alles, was von der Norm abweicht, wird zum Tabu. Durch Social Media gelten ganz bestimme Schönheitsideale. Im Intimbereich werden die vor allem durch pornografische Inhalte auf den verschiedenen Plattformen vermittelt. Hier wird nur gezeigt, was „schön“ ist“, erklärt Esser. Schon in der Pubertät entstehe so ein bestimmtes Bild, an dem sich junge Leute messen. Wird man diesem Ideal nicht gerecht, beginnen die Selbstzweifel und die Scham.
Sind die intimen Daten sicher?
Wie sicher die eingeschickten Fotos und personenbezogenen Daten sind, können Patientinnen und Patienten auf der Website und in der App selbst nachlesen. Dort heißt es: „Wir empfehlen unseren Nutzerinnen und Nutzern nur Bilder einzusenden, die keine Identifikation ihrer Person zulassen.“ Tattoos, auffällige Muttermale oder das Gesicht sollten auf den Fotos nicht zu erkennen sein, nur dann sei die Anonymität der Bilder gesichert. Laut eigenen Angaben erklären sich die Patientinnen und Patienten mit der Nutzung automatisch auch mit der Verarbeitung und Speicherung ihrer Daten einverstanden. Dazu zählen unter anderem: Fotos, der eingesendete Text, Alter und das Geschlecht. Sobald der Fall abgeschlossen ist, nach sieben Tagen, werden die Fotos und Angaben vom Server gelöscht.
Die Betreiber der App sind allerdings gesetzlich verpflichtet, alle Fotos fünf Jahre zu speichern, offline und ohne Zugriff für Dritte. Eine E-Mail-Adresse müssen die User nicht zwingend angeben. Weiter versprechen die App-Betreiber, dass alle Daten, die für die Zahlung benötigt werden, getrennt von den Fällen gespeichert werden.
Der Service der Intim-App wird, im Gegensatz zum Arztbesuch, nicht von den Krankenkassen übernommen. Patientinnen und Patienten müssen je nach Dringlichkeit bis zu 50 Euro für eine Diagnose zahlen. Künftig können sich die Gründer vorstellen, mit den Krankenkassen zusammenzuarbeiten. „Die App soll eine Ärztin oder einen Arzt nicht ersetzen, sondern anregen, ihn aufzusuchen“, stellt Stefan Esser klar. Um einen Arztbesuch werden Patientinnen und Patienten künftig zwar nicht herum kommen, aber eine Erstversorgung durch rezeptfreie Medikamente, eine Erstdiagnose und Verhaltenstipps könne die App bieten. Fehldiagnosen kann laut Esser niemand ausschließen, weshalb ärztlicherseits auf die Sorgfaltspflicht und eine angemessene Vermittlung zu achten ist.
Anlaufstellen in der Umgebung
Im Zentrum für sexuelle Gesundheit und Medizin in Bochum wird Betroffenen geholfen. Dort werden Patientinnen und Patienten, die positiv auf Geschlechtskrankheiten getestet wurden, beraten und therapiert. Wer darum bittet, anonym zu bleiben, der bekommt ein Pseudonym zugeteilt.
In 90 Minuten kann man sich hier mit einem Tropfen Blut auf 16 verschiedene Infektionen testen lassen. In Bochum haben sich verschiedene Stellen zusammengeschlossen, die AIDS-Hilfe, das Gesundheitsamt, Gynäkologinnen und Gynäkologen und andere. Patientinnen und Patienten müssen so nur einmal den Mut aufbringen, die Anlaufstelle aufzusuchen statt sich bei vielen unterschiedlichen Institutionen vorzustellen wie sonst üblich.
„Ganz klassisches Beispiel: Eine Patientin oder ein Patient kommt, macht beim Gesundheitsamt einen HIV-Test und hat einen positiven Test. Dann gibt es direkt die Möglichkeit, zu sagen, wir können die Person zur AIDS-Hilfe weiterschicken. Dort gibt es dann eine Beratung und natürlich die Therapie“, erklärt Florian Bury, Pressesprecher des Zentrums.
Nicht nur AIDS stellt ein Problem dar
Norbert Brockmeyer, Leiter des Zentrums, fordert: „Es muss mehr Aufklärung darüber geben, dass HIV für die meisten Menschen gar nicht die größte Gefahr ist ist.“ Das Risiko, sich mit HIV zu infizieren, ist seit 2000 stark gesunken, erklärt Brockmeyer. AIDS sei jedoch in den Köpfen der meisten Menschen präsent und das, obwohl ein Großteil der Deutschen gar nicht zur Risikogruppe zähle, sagt Brockmeyer. Immer wieder erlebe er, wie Menschen zu ihm kommen und nach einem HIV-Test fragen.
„Das sind aber ganz häufig heterosexuelle Menschen, die auch nur Sex mit heterosexuellen Menschen hatten. Bei denen ist das Risiko, sich mit HIV zu infizieren, in Deutschland relativ klein. Chlamydien, Tripper und Syphilis sind die Infektionen, um die man sich viel eher Sorgen machen sollte. An Chlamydien erkranken in Deutschland jedes Jahr über 100 000 vor allem junge Menschen“, sagt Brockmeyer. Laut einer Studie der Deutschen AIDS Hilfe haben sich 2017 ca. 2 700 Menschen mit HIV neu infiziert.
Aufklärung beginnt schon bei den Kleinen
Gerade bei jüngeren Menschen ist es wichtig, aufzuklären, aber nicht abzuschrecken. Das ist auch das Anliegen von Anne Lafermann, Mitarbeiterin des Fördervereins zur Bekämpfung von AIDS e.V. Sie besucht unter anderem Dortmunder Schulklassen und klärt diese über Sexualität auf. „Es ist ein Aufmerksam-machen: Geh selbstbewusst mit dir um, schütze dich und lass dich nicht bequatschen. Wenn du merkst, es ist irgendwas nicht in Ordnung, dann solltest du möglichst schnell zum Arzt gehen.“
Neben den Schulbesuchen hat der Förderverein zur Bekämpfung von AIDS e.V. eine offene Sprechstunde im Gesundheitsamt Dortmund. Anne Lafermann führt hier auf Wunsch anonymisierte HIV-Tests und eine anschließende Beratung durch. Ab Herbst 2019 wird auch die Möglichkeit geben, auf andere Geschlechtskrankheiten wie Syphilis, Chlamydien und Tripper zu testen.
Die Intimarzt-App hält Lafermann für einen gute Idee: „Als Zusatz zum eigentlichen Arztbesuch finde ich es durchaus positiv, bei Unsicherheiten Fragen an den Profi stellen zu können und schon einmal beruhigt oder zum Arztbesuch aktiviert zu werden.“ Sie würde es jedoch begrüßen, neben den Diagnosen auch Tipps zu bekommen, wie man sich und andere vor der Übertragung solcher Krankheiten schützen kann.
Was du über Geschlechtskrankheiten wissen solltest
(Quelle: Deutsche AIDS Hilfe e.V.)
Beitragsbild: Tamy Daum