Es sind Fernsehbilder, die jeder kennt: Menschenreihen auf der Berliner Mauer, die jubelnd die Arme hochreißen. “DDR-Trabis”, die über die geöffnete Grenze nach Westdeutschland fahren. Überall sieht man vereinte Familienmitglieder, die sich mit Freudentränen in den Armen liegen.
Spätestens, wenn David Hasselhofs Mauerfall-Hymne “Looking for Freedom” gespielt wird, erinnert sich in Deutschland jeder an diese Momente. In dieser Woche jährt sich der Mauerfall zum 30. Mal. Touristen, die in Berlin sind, können neben den vielen Sehenswürdigkeiten während ihres Besuchs die deutsche Wiedervereinigungsgeschichte hautnah miterleben.
Erinnerungswoche in Berlin
Während der Erinnerungswoche sind die Gesichter der Demonstranten 1989 auf den Häuserfronten, um den Alexanderplatz zu sehen. Die alten Videoaufnahmen und Animationen von historischen Ereignissen der friedlichen Revolution, werden bei Dunkelheit an sieben Originalschauplätzen in Berlin auf Gebäude projiziert. Für die einen ist es eine Wolke, für andere eine Art fliegender Teppich voll mit Wünschen, Hoffnungen und Botschaften von Berlinern und Gästen, der derzeit scheinbar schwerelos vor dem Brandenburgertor als Kunstinstallation schwebt. Fährt man mit der U-Bahn durch die Hauptstadt, entdeckt man an vielen Stationen Informationen über den Mauerfall. In Berlin ist die damalige Teilung Deutschlands derzeit besonders spürbar. Doch wie empfinden das die Studierenden in Dortmund?
Nachgefragt: Welche Bedeutung hat Ost und West für Studierende?
Die Trennung zwischen Osten und Westen ist seit 1989 Geschichte. Obwohl es sie offiziell nicht mehr gibt, ist sie in vielen Köpfen noch vorhanden. Gespräche mit Studierenden – der Generation, die die Wende nicht miterlebt hat – zeigen, dass Ost und West für sie aber keine große Bedeutung mehr hat. Dennoch gibt es ganz oft Berührungspunkte mit dem Thema: “Ich finde, das spielt gar keine Rolle in meinem Leben. Ich bin nicht damit aufgewachsen. Ich höre ab und zu von meinen Verwandten davon, aber ich rede nicht mit Freunden über das Thema”, sagt die Studentin Lisa-Marie Schürmann. Vorurteile gegenüber “Ossis” würden oft über die Familienmitglieder weitergegeben werden, erzählt sie. Ähnlich ist es auch bei der Studentin Hannah Knepper, die weder Freunde noch Familie im Osten hat. “Meine Eltern sind beide im Westen groß geworden. Wir reden auch nie darüber, wie es zu der Zeit war”, erzählt sie. Wenn Studierende über ihre Herkunft sprechen würden, dann reden sie eher über die Stadt oder das Land – nicht darüber, ob es früher BRD oder DDR-Gebiet war, denkt sie.
Das Gefühl der Trennung innerhalb Deutschlands ist für viele hauptsächlich ein Phänomen ihrer Eltern und Großeltern. Das denkt auch der Student Marco Nestola: “Für mich ist das uninteressant. Das geht die Generation vor mir an. In meiner Familie war das auch nie wirklich ein Thema, vielleicht weil wir auf der Westseite groß geworden sind.” Viele Studierende haben zwar von dem Konflikt-Thema gehört, es jedoch nie miterlebt. Anders ist es bei Anna Esser: “Mein Vater ist im Osten aufgewachsen, meine Mutter im Westen. Wir reden vor allem darüber, wenn beide Familienseiten zusammen kommen, wie an Weihnachten oder bei Geburtstagsfeiern.” Dann würden sich die “Wessi”- und die “Ossi”- Großeltern gerne mal mit Vorurteilen necken. Das sei aber meist ironisch gemeint. “Ich identifiziere mich nicht als ‘Ossi’ oder ‘Wessi’. Ich bin in einem vereinten Deutschland aufgewachsen”, sagt die Studentin.
Was vor 30 Jahren geschah:
Vor 30 Jahren sind über eine Millionen DDR-Bürger auf die Straße gegangen. Am 4. November versammelten sie sich auf dem Alexanderplatz in Berlin und forderten mehr Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, freie Wahlen, die Freiheit, in den Westen reisen zu können und Demokratie. Es war damals die größte Kundgebung in der Geschichte der DDR, die nicht von dem Regime ausging. Sie wetterten gegen das SED-Regime und die Stasi-Bespitzelung. Der Massenprotest entstand aus einer kleinen Gruppe an Oppositionellen, die gegen die Diktatur waren. Unter Druck gesetzt durch eine Massenflucht, Wirtschaftskrise und der Oppositionsbewegung, geriet die DDR in eine Krise und sah machtlos bei der friedlichen Revolution zu. Am 7. November tritt die DDR Regierung zurück, am 8. November dann das gesamte Politbüro der SED. Einen Tag später, am 9. November 1989, wurde die Reisefreiheit für alle DDR-Bürger verkündet. Die Grenze nach Westdeutschland wurde geöffnet. Gut ein Jahr später folgte die Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 zwischen Ost- und Westdeutschland.
Doch wenn von Wiedervereinigung gesprochen wird, liegt die Diskussion über das subjektive Zugehörigkeitsgefühl oft nicht fern. Auch negative Folgeerscheinungen der Wende, wie hohe Arbeitslosenzahlen, Probleme bei der Infrastruktur und rechtspopulistische Entwicklungen wie Pegida sind aus Gesprächen über “den Osten” kaum wegzudenken – bei älteren Generationen zumindest, wie sich bei unserer Umfrage auf dem Campus herausgestellt hat.
Die Begriffe “Ost” und “West” sind zwar auch in der Sprache der Studierenden verankert, die die Wende noch nicht miterlebt haben, verlieren aber an emotionaler Bedeutung. Sie sind nicht “Ossis” oder “Wessis”, sondern Deutsche. Das getrennte Deutschland, den Mauerfall und die Wiedervereinigung kennen sie aus den Geschichtsbüchern und aus Familienerzählungen. Für viele junge Menschen ist es ein Stück Historie. So wie der Nationalsozialismus eben auch. Ein Teil der deutschen Geschichte über den alle Bescheid wissen, sich jedoch nicht unmittelbar damit identifizieren.
Beitragsbild: Ondré (ANBerlin)/ flickr
Bilder im Text: 1. mr172/ flickr 2. zumpe/ flickr