Neele Krafzik ist Altenpflegerin – ein schöner Beruf, findet die 26-Jährige, auch wenn jeder Tag eine Herausforderung ist. Sie schätzt den persönlichen Kontakt zu den Bewohner*innen, die Menschlichkeit, wie sie sagt.
Neele klopft an Frau Müllers* Zimmertür, öffnet sie und geht in das Zimmer. Neben der Tür hängt ein kleiner, weißer Briefkasten, verziert mit einem aus gelbem und pinkem Papier gebastelten Schmetterling. In der Hand hält sie das Frühstück für die Palliativ-Patientin: Grießpudding mit Eierlikör und Erdbeer-Soße in einer kleinen Schale. „Weil sie das so gerne mag“, erklärt Neele. Die 26-Jährige ist seit vier Jahren Altenpflegerin in einem Duisburger Pflegeheim.
In einem Bett auf der linken Seite des Zimmers liegt Frau Müller, sie schaut Frühstücksfernsehen, gerade geht es um Harry und Meghans Rückzug aus der britischen Königsfamilie. Im Hintergrund sind leise die Geräusche ihres Beatmungsgerätes zu hören. Neele begrüßt die Frau im Bett, zieht sich einen Stuhl heran und setzt sich zu ihr, dann beginnt sie, ihr das Essen zu geben. „Schmeckt’s?“, fragt Neele mit dem Löffel in der Hand. „Ja, lecker“, antwortet Frau Müller mit brüchiger Stimme. „Hast du den gemacht?“ „Mit ganz viel Liebe“, antwortet Neele und lächelt die alte Frau an.
Frau Müller berührt mit dem Zeigefinger ein Tattoo auf Neeles linkem Arm. „Tut das weh, das zu machen?“, fragt sie. „Nein, das ist, als würde man sich kratzen“, antwortet Neele. „Gefällt es dir?“ – „Ja, sehr schön.“ Während sie miteinander sprechen, beugt sich Neele zu der Bewohnerin, die dreht den Kopf in ihre Richtung und lächelt Neele an. Sie wirken vertraut, als hätten sie eine besondere Verbindung zueinander.
Genau das macht den Beruf der Altenpflegerin für Neele so besonders: „Die Menschlichkeit und der Bezug zu den Menschen – man tut denen etwas Gutes und die freuen sich darüber“, sagt sie. Auf ihre Arbeit freue sie sich daher jeden Tag. Dabei gibt es Situationen, die die 26-Jährige besonders berühren, zum Beispiel, wenn Patient*innen sie bitten, in ihren letzten Momenten bei ihnen zu sein. „Wenn Menschen im Sterben liegen und jedes Mal sagen ,Ich freue mich, dass du da bist’ oder ,Wenn ich gehe, kannst du dann meine Hand halten und bei mir sein?’ So etwas freut mich halt“, sagt Neele. Den Beruf der Altenpflegerin entdeckte sie während eines Praktikums für sich. Essen bringen, Bewohner*innen waschen und medizinisch versorgen, Umziehen, Tabletten verteilen – und manchmal auch einfach nur da sein und zuhören – all das gehört zu Neeles Aufgaben.
Jeder Tag eine neue Herausforderung
Bevor sich Neele ganz für die Altenpflege entschied, war sie Eishockey-Spielerin und das ziemlich erfolgreich in der U18-Nationalmannschaft. Dann, etwa im dritten Ausbildungsjahr, musste sie sich entscheiden: Mit Wochenendschichten, Früh- und Spätschichten waren die regelmäßigen Trainings und auch die Spiele nicht mehr möglich. Zuerst habe sie versucht, in eine niedrigere Liga zu wechseln, doch auch dort ließen sich die Trainingszeiten nicht mit ihrem Beruf vereinbaren. Dann habe sie entschieden, aufzuhören. „Ich habe gedacht: Dann entwickle ich mich eben in der Pflege weiter“, sagt sie.
Das hat sie getan: 2013 begann Neele die Ausbildung zur Altenpflegerin. Inzwischen leitet sie im Altenheim „Fliedner Pflege und Wohnen am Park“ in Duisburg einen Wohnbereich und zeigt seit 2017 als Praxisanleiterin Schüler*innen, die Altenpfleger*innen werden wollen, wie man Spritzen setzt, Katheter legt, Wunden versorgt. Mitgeben möchte sie ihnen dabei vor allem Eines: „Egal wie stressig der Tag ist, man kann sich trotzdem auf den Beruf freuen.“ Man solle nie mit einem schlechten Gefühl aus dem Arbeitstag gehen, nur weil mal etwas nicht geklappt habe oder der Tag nicht so gut war. „Eigentlich ist das nämlich wirklich ein schöner Beruf“, sagt sie entschlossen.
Es geht zur nächsten Bewohnerin, zu Frau Lange*, einer Demenz-Patientin. Sie ist kaum ansprechbar, manchmal schreie sie und schlage um sich, erklärt Neele. Denn auch solche Momente erlebt die 26-Jährige in ihrem Berufsalltag. Eigentlich sei in ihrem Beruf jeder Tag eine Herausforderung, sagt Neele. „Man muss alles unter einen Hut kriegen“, meint sie. Früher habe sie emotional belastende Situationen noch mit nach Hause genommen, heute lasse sie die auf der Arbeit. „Sobald ich rausgehe, mache ich die Tür zu und dann muss man abschalten“, sagt sie.
Frau Lange scheint es nicht gut zu gehen. „Sie sind heute nicht so gut drauf, hm?“, fragt Neele und geht um das Bett der Bewohnerin herum. Sie kniet sich ans Kopfende des Bettes, auf Augenhöhe mit Frau Lange. Die greift nach ihrer Hand. Eine Weile sitzen sie so da, dann steht Neele wieder auf und holt ein buntes Stück Stoff, in etwa so groß wie eine aufgeschlagene Zeitschrift. Daran sind verschiedene Gegenstände befestigt, die Frau Lange ertasten kann: Stoffe, Ketten, Perlen. Mit diesen Decken können Bewohner*innen ihre Motorik trainieren, ihren Tastsinn schulen und sich an altbekannte Bewegungsabläufe erinnern.
Wie kannst du nur in einem Altenheim arbeiten?
Es stört Neele, dass Altenheime in der Öffentlichkeit oft nur in Zusammenhang mit Skandalen auftauchen. Dass manche Menschen ein negatives Bild von der Altenpflege haben, merkt Neele auch, wenn sie von ihrem Beruf berichtet. „Wie kannst du denn nur in einem Altenheim arbeiten?“, werde sie manchmal gefragt. Sie nimmt wahr, dass ihr Beruf in der öffentlichen Wahrnehmung „eher in der unteren Schicht“ rangiert. „Dabei gibt es auch schöne Heime.“ Sie wünscht sich eine andere Darstellung der Pflege – und damit auch des Pflegeberufs.
Neele steht im Frühstücksraum des Altenheims. An vier Tischen sitzen Bewohner*innen in kleinen Gruppen beisammen. Vor ihnen ihr Frühstück: Brote, Tee, Kaffee oder auch einfach ein Glas Wasser stehen auf dem Tisch. Dazwischen stehen weiße Vasen mit roten Kunstblumen darin. Manche der Bewohner*innen sitzen im Rollstuhl, andere gehen zu Fuß zu den Tischen. Im Hintergrund läuft leise Musik, an den Wänden hängen aus buntem Papier gebastelte Pinguine und Schneemänner. Für Neele ist es Zeit, Tabletten zu verteilen. Aus einer großen Kiste zieht sie Pillenkästchen, schüttelt die Tabletten vorsichtig in kleine, gelbe Töpfchen und verteilt sie an die Bewohner*innen – nie, ohne wenigstens ein paar Worte mit ihnen zu wechseln.
Neele wirkt routiniert, wenn sie mit den Bewohner*innen spricht – das bedeutet aber nicht, dass sie bei jeder Person gleich agiert. Vielmehr scheint sie genau zu wissen, wie sie mit jedem*r einzelnem*r Bewohner*in umgehen muss, was sie brauchen, was sie beruhigt, wenn es ihnen nicht gut geht.
Eine Bewohnerin will ihre Tabletten nicht nehmen. „Aber die sind doch gegen die Schmerzen“, sagt Neele. „Ich gieß Ihnen mal ein leckeres Glas Wasser ein und dann nehmen wir die schnell zusammen.“ Die Frau lässt sich dann doch noch überreden und nimmt bereitwillig ihre Medizin.
*Namen wurden geändert
Dieser Artikel ist Teil einer Reihe über Frauen, die in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft etwas bewegen – entweder dadurch, dass sie sich für andere einsetzen oder dadurch, dass sie sich in Bereichen behaupten, in denen Frauen traditionell unterrepräsentiert sind. Ihnen allen wurde unter anderem die Frage gestellt, welche Rolle ihr Geschlecht in ihrem Alltag spielt. Weitere Gesprächspartnerinnen für diese Reihe waren eine Seenotretterin, eine Gründerin, eine Schiedsrichterin und eine Ärztin von „Ärzte ohne Grenzen“.