Duell: Campus der TU Dortmund – öffnen oder geschlossen lassen?

Der Campus der TU ist gerade zu, Studierende müssen in den eigenen vier Wänden lernen. Ist das nun nötig oder nicht, müssen wir Präsenzlehre und Gesundheit abwägen?

Die Freiheit der Forschung und Lehre ist wichtig!

findet Leon Pollok

Studierende dürfen die Gebäude des Campus seit dem 16. März wegen der Coronavirus-Pandemie nicht mehr betreten. Am 16. März gab es in Dortmund 37 aktive Corona-Fälle. Aktuell (Stand 19.5.) liegt die aktive Fallzahl in Dortmund bei 24 Fällen.

Dazwischen ist viel passiert. Das öffentliche Leben wurde in ganz Deutschland heruntergefahren, die Infektionskurve stieg exponentiell an und flachte zum Glück wieder ab. Kleinere  Familientreffen sind nun wieder möglich. Restaurants, Geschäfte und Fitnessstudios dürfen unter Auflagen wieder öffnen. Geschlossen hingegen bleiben Discos, Clubs, Bars, Bordelle. Und: zu einem Großteil auch der Betrieb an der TU Dortmund.

Technisch top – aber das Soziale bleibt auf der Strecke

Der kleine, aber feine Unterschied zwischen Bar und Uni: An unserer Uni geht es um ein nach dem Grundgesetz geschütztes Recht: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“

Das digitale Semester hat überraschend gut begonnen – technisch gesehen. Doch ein Studium ist mehr, als nur von Zoom-Meeting zu Zoom-Meeting zu eilen und Referate auf Moodle  hochzuladen. Es fehlt der gemeinsame Austausch, der Team-Spirit geht verloren. An einer Uni arbeiten alle an einem Ziel – gemeinsam. Das macht uns so produktiv und ist ein elementarer Bestandteil der universitären Lehre. Eines ist es sicher nicht: ein „Luxusproblem“.

Gesetzestexte lassen viel Interpretationsspielraum

Zur ganzen Wahrheit gehört, dass die TU Dortmund seit Mai wieder Präsenzveranstaltungen in geringen Umfang zulässt. Nämlich dann, wenn für die Veranstaltung eine besondere Ausstattung zwingend notwendig ist, etwa bei Labortätigkeiten. Dazu muss jeweils ein Hygienekonzept vorgelegt werden. Nach KURT-Informationen hat die TU Dortmund bisher (Stand: 15. Mai) aber noch kein Hygienekonzept für ein Labor bewilligt.

Erschwerend hinzu kommen schwammig formulierte Gesetzestexte auf Landesebene. Während die Allgemeinverfügung des Arbeitsministeriums vom 10. Mai Präsenzveranstaltungen nur dann erlaubt, wenn spezielle Raumausstattung zwingend benötigt wird, hebt der NRW-Plan seit dem 11. Mai genau diese Einschränkung wieder auf. Auf KURT-Anfrage heißt es telefonisch aus der Staatskanzlei, Seminare und Vorlesungen seien – natürlich unter Hygieneauflagen – rein rechtlich erlaubt. Ähnlich sieht das die Corona-Schutzverordnung vom 16. Mai: „Der Lehr- und Prüfungsbetrieb an Hochschulen […] ist zulässig.“

Die TU Dortmund teilt auf KURT-Anfrage aber mit: „Seminare und Vorlesungen dürfen nicht in Präsenz stattfinden. Präsenzveranstaltungen sind für bestimmte Formate wie Laborpraktika laut Allgemeinverfügung rechtlich erlaubt.“ Was gilt denn nun? Hier bräuchte es klare Anweisungen von Seiten der Landesregierung.

Gesundheit und Präsenzlehre abwägen? Ja, das geht!

Abzuwägen zwischen Gesundheit und der Freiheit universitärer (Präsenz-)Lehre: Das ist nicht leicht. Dennoch: Wir haben – im Gegensatz zu anderen Einrichtungen – die Ressourcen und die räumlichen Kapazitäten, um zumindest einen Teil der regulären Seminare und Vorlesungen wieder auf die Beine zu stellen. An Desinfektionsmittel, Schutzmasken und regelmäßiger Reinigung jedenfalls kann es an einer Uni mit einem Jahresetat von 336 Millionen Euro nicht scheitern.

Präsenzveranstaltungen an der Uni finde ich deshalb so wichtig, weil dort alle gleich sind. Die gleichen Stühle, die gleiche S-Bahn-Verspätung, das gleiche Rauschen von der Straße im Fünfminutentakt, wenn der Bus vorbeifährt. Alle Studierenden haben dort die gleichen Möglichkeiten, egal ob der Geldbeutel von Haus aus immer gut gefüllt ist oder man bei den Eltern in der Sozialwohnung mit vier Personen auf wenigen Quadratmetern wohnt.

Studierende sind nicht (mehr) alle gleich

Das ist jetzt anders: Ich kenne Menschen, die haben zu Hause nicht einmal eine WLAN-Verbindung. Mit mobilen Daten ins Zoom-Meeting? Ja, notfalls geht auch das. Kostet halt. Das Perfide ist, dass davon niemand etwas mitbekommt. Und ja: Beim AStA kann sich jede*r Hilfe in Form von Geld holen, die*der – auch durch Corona – in eine finanzielle Notlage geraten ist. Nur muss auch dieses Geld früher oder später zurückgezahlt werden und ist daher für finanziell generell schlechter gestellte Studierende keine Option.

Die Freiheit der Forschung, die Freiheit der universitären (Präsenz-)Lehre darf für mich nicht hinter anderen Grundrechten stehen. Kirchen und Schulen öffnen wieder – aber die Uni zum Großteil nicht, weil „es ja hier auch so jetzt ganz gut funktioniert“. Die Argumentation ist zu einfach und überzeugt mich nicht. Niemand spricht davon, 30.000 Menschen auf einen Schlag per S1 in ein kleines Gebäude zu pferchen. Doch was spricht eigentlich dagegen, einen begrenzten Teil der Seminare und Vorlesungen wieder auf den Campus zu verlagern?

Nämlich genau die Veranstaltungen, in denen Hygienevorgaben umgesetzt werden könnten, weil etwa die Gruppen klein genug sind. Regelmäßiges Händewaschen, Maskenpflicht und Abstandhalten versteht sich von selbst. Und seien wir mal ehrlich: Mittlerweile dürfte es auf dem Campus wahrscheinlich sogar einfacher sein, die Abstände einzuhalten, als an einem sonnigen Samstag auf dem Westenhellweg.

Lasst den Campus zu!

findet Julian Beuter

Das Fitnessstudio macht wieder auf, wir können wieder ins Restaurant und mal eben zu Ikea gehen. Und dann geht’s ab in die Uni – die sich dieses Semester exakt 1,7 Meter von meinem Bett entfernt befindet: Am Schreibtisch zu Hause. Ja, der Campus ist trotz all der Lockerungen noch zu – und ja, das ist gut.

Während nämlich bei den Restaurants, dem Fitnessstudio und im Möbelhaus viele Jobs und Existenzen dahinterstehen, ist die Uni steuerfinanziert und hat viel weniger wirtschaftlichen Druck – ihr bleiben keine Einnahmen aus. Um diesen Druck geht es schließlich bei den Öffnungen. Bei einer Öffnung der Uni kann also viel besser auf die Pandemie Rücksicht genommen werden als bei Privatunternehmen.

Die aktuelle Sicherheit ist fragil

Derzeit scheint das Virus zwar unter Kontrolle zu sein, aber diese Sicherheit ist fragil. Am Dienstag (12. 5.) sagte RKI-Präsident Lars Schaade auf einer Pressekonferenz: „Helfen Sie mit, das Virus in Schach zu halten. Bleiben Sie, so weit es geht, zu Hause. Beschränken Sie Ihre Kontakte und halten Sie weiter Abstand voneinander.“

„So weit es geht“ zu Hause bleiben lässt hier einigen Interpretationsspielraum. Die Politik und letztendlich auch der wirtschaftliche Druck haben entschieden, dass die Geschäfte wieder aufmachen müssen, weil sonst Insolvenzen und Arbeitslosigkeit drohen. Das lässt sich mit „So weit es geht zuhause bleiben“ vereinbaren.

Präsenzlehre wäre ein vermeidbares Risiko

Was sich nicht mit „So weit es geht zuhause bleiben“ vereinbaren lässt: 30.000 Studierende wieder zur Uni kommen lassen, obwohl die digitale Lehre eigentlich ganz gut funktioniert. Abgesehen davon, dass ich das Videokonferenztool „Webex“ für zu unhandlich halte, haben sich fast alle, mit denen ich gesprochen habe, irgendwie mit dem Online-Semester arrangiert.

Dann wieder 30.000 Studis in die S-Bahn zu pferchen und über den Campus latschen zu lassen, „weil mir bei der digitalen Lehre das persönliche fehlt“, halte ich für eine unangebrachte Forderung. Die Rektorenkonferenz sieht es ähnlich. Obwohl das Land Präsenzveranstaltungen wieder erlaubt, hat sich die TU dagegen entschieden.

Es gibt Hilfe bei sozialer Ungleichheit

Soziale Ungleichheit kann in solchen Situationen natürlich entstehen. Wer mehr Geld hat, hat auch besseres Internet und eine bessere Ausstattung zu Hause. Aber ganz ohne Technik muss keine*r auskommen. Dafür gibt es bei uns zum Glück den AStA, der uns in allen erdenklichen Notlagen helfen kann. Für unverschuldete finanzielle Notlagen, wie auch jetzt gerade, gibt es dort einen Nothilfetopf. Wer Hilfe braucht: Hier gibt es Details. Dieser Topf wurde auch jetzt gerade nochmal extra aufgestockt. Auch vom Staat gibt es solche Kredite.

Vom AStA gibt es bis zu 1500 Euro, vom Staat 650 Euro im Monat. Gute Laptops gibt es für knapp 350 Euro, Festnetzanschlüsse gehen bei 10 Euro los. Ansonsten: Fragt! „Hey, hat hier vielleicht noch einer einen Laptop rumliegen, den ich mir für das Semester ausleihen kann?“ Gerade jetzt ist die Hilfsbereitschaft so groß, da finden wir gemeinsam eine Lösung.

Wir müssen uns jetzt zurückhalten, um uns bald wieder treffen zu können

Was wirklich schlimm am Online-Semester ist: Die soziale Interaktion fehlt. Da hat Leon Recht. Aber was spricht dagegen, sich im privaten zu treffen? Solange das mit Abstand und Vorsicht abläuft, ist doch alles gut. Wer die Mensa vermisst, kann sich ja auch gerne die Rezepte zu Hause nachkochen, kein Problem. Mir ist der Abstand gerade aber zumindest lieber, damit ich mich oder andere nicht infiziere.

Auch unter uns Studis gibt es Risikogruppen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Menschen außerhalb dieser Gruppen sterben oder zumindest bleibende Schäden, wie eine viel schwächere Lunge, erleiden. Wenn wir jetzt also mal ein wenig auf unsere Freunde verzichten, schützen wir sie und andere. Außerdem können dann beim Wiedersehen erst so richtig die Korken knallen.

Wir sollten froh sein, dass es überhaupt weitergeht

Das Leben ist kein Ponyhof, wir bekommen nicht immer das, was wir wollen. Das müssen wir auch in der Pandemie akzeptieren und unsere Luxusprobleme zurückstellen. Stattdessen sollten wir lieber froh sein, dass wir unter diesen Umständen überhaupt irgendwie weitermachen können. Jetzt, wo die digitale Lehre so gut angelaufen ist, können wir doch auch damit weitermachen.

Je mehr wir uns jetzt zurückhalten und auf unnötige Kontakte verzichten, desto besser können wir in Zukunft wieder zusammenkommen. Durch die Campusschließung werden die sozialen Kontakte und damit auch die Ansteckungsrisiken von 30.000 Studierenden und noch einmal 6000 Beschäftigter um ein Vielfaches reduziert. Das ist ein wichtiger Beitrag zum Kampf gegen die Pandemie.

 

Beitragsbild: Torben Kassler

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