Kommentar: Absage der Polizei-Rassismusstudie war ein Fehler

Eigentlich sollte eine Studie untersuchen, ob die Polizei Menschen teilweise nur aufgrund ihres Aussehens kontrolliert. Bundesinnenminister Horst Seehofer lehnte diese Studie nun ab, da „Racial Profiling” bei der Polizei ohnehin verboten sei. Ein Fehler, findet unsere KURT-Autorin, schließlich übt die Polizei das staatliche Gewaltmonopol aus und muss deswegen auch selbst kontrolliert werden. Ein Kommentar.

Für seine Entscheidung, die Studie abzusagen, musste Seehofer viel Kritik einstecken: Die Opposition und auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung sind empört. Selbst in den Reihen der Polizei regte sich Protest: Seehofer nähre damit den Eindruck „als gäbe es etwas zu verstecken”, sagte Sebastian Fiedler, Mitglied des Bundesvorstands beim Bund Deutscher Kriminalbeamter in den ARD-Tagesthemen.

Aber nicht alle widersprechen Seehofer. Jörg Radek, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), findet, es sei richtig, dass Seehofer sich gegen die Studie ausgesprochen hat. „Wenn das Forschungsziel ist, zu erforschen, ob wir hier in Deutschland ein Rassismus-Problem bei der Polizei haben, dann lehne ich so etwas ab”, sagte der Polizeigewerkschaftler in einem Interview gegenüber Deutschlandfunk Nova. Denn man könne für die Untersuchung von Rassismus nicht nur die Berufsgruppe der Polizei herauspicken. Das greife zu kurz.

Zunächst hat er damit auch Recht: Rassismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und sollte überall untersucht und vor allem bekämpft werden. Gerade deswegen sollte man schleunigst damit anfangen. Die Polizei als staatliche Institution sollte sich dabei nicht wegducken, sondern mit gutem Beispiel vorangehen.

Was ist Racial Profiling?

Von Racial Profiling spricht man, wenn Menschen allein aufgrund ihres physischen Erscheinungsbildes oder ethnischer Merkmale von der Polizei oder anderen Sicherheitsbehörden kontrolliert werden.

Der Begriff stammt aus den USA und wurde dort, sowie auch in Großbritannien, als Problem anerkannt. Durch rechtliche Regelungen sollen diese Kontrollen dort unterbunden werden.

In Deutschland sind anlasslose Personenkontrollen grundsätzlich verboten, denn sie verstoßen gegen das Grundgesetz, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Jedoch gibt es hierzulande keine rechtliche Definition des Begriffs und auch in den Polizeigesetzen existiert kein explizites Verbot von Racial Profiling. Zudem darf die Polizei an sogenannten „gefährlichen Orten“ zur präventiven Kriminalitätsbekämpfung anlass- und verdachtsunabhängige Personenkontrollen durchführen. Durch diese Regelung besteht also die Möglichkeit, dass Beamtinnen und Beamte polizeiliche Kontrollen aufgrund von äußeren Merkmalen, wie beispielsweise der Hautfarbe, durchführen.

Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung

Dass es in Deutschland Alltagsrassismus gibt, haben die Diskussionen der vergangenen Wochen eindringlich bewiesen. Ob bei Wohnungsbesichtigungen, bei Bewerbungsgesprächen, vor der Club-Tür oder in unbedachten Aussagen des Gegenübers – überall berichten Menschen von Diskriminierung aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer Herkunft. Rassismus tritt in allen Gesellschaftsschichten auf. Nur bei der Polizei scheint Rassismus laut Polizeigewerkschaftler Jörg Radek kein Problem zu sein. Er redet von „Einzelfällen“ und sagt, es gebe keine rassistischen Strukturen bei der Polizei. Dass die Polizei in einer Gesellschaft, in der Rassismus existiert, davor gefeit ist, scheint unwahrscheinlich.

Jeder Einzelfall ist einer zu viel

Selbst wenn Kontrollen aufgrund des Aussehens, so wie Radek sagt, Einzelfälle sind, sollten diese untersucht werden. Schließlich macht es einen Unterschied, ob Menschen von einem Türsteher oder einem Staatsbeamten wegen ihrer Hautfarbe oder ihrer Herkunft diskriminiert werden. Beides ist schlimm, keine Frage, aber Polizistinnen und Polizisten vertreten nun mal den Staat und haben deswegen eine besondere Verantwortung. Die Polizei sollte dafür sorgen, dass alle Bürgerinnen und Bürger sich in diesem Land sicher fühlen. Deswegen ist auch schon ein einziger Vorfall, bei dem sich Menschen von der Polizei diskriminiert fühlen, einer zu viel.

Jörg Radek sagte im Interview mit Deutschlandfunk Nova, die Rassismus-Diskussion sei aus den USA „importiert” worden. Er findet, man könne die US-amerikanische Polizei nicht mit der deutschen vergleichen, allein schon, weil die Ausbildung eine andere sei. Dass dieser Vergleich hinkt, damit hat er recht, jedoch rechtfertigt dies nicht, eine Untersuchung von rassistischen Strukturen innerhalb der deutschen Polizei von vornherein abzulehnen.

Es scheint, er fühle sich und seine Behörde ungerecht behandelt, wenn er sagt, die mediale Debatte werde im Moment von denjenigen bestimmt, die „schon immer ein Problem mit der Polizei und ihrem Einschreiten hatten”. Er stellt sich schützend vor seine Kolleginnen und Kollegen. Unter keinen Umständen möchte man bei der Polizei unter dem Generalverdacht stehen, rassistisch zu sein.

Die Absage der Studie redet Erfahrungen der Betroffenen klein

Unter Generalverdacht stehen jedoch genau die Menschen, die nur aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Herkunft von der Polizei kontrolliert werden. „Die afrikanische Community hat noch nicht die Erfahrung gemacht, dass die Polizei da ist, um sie zu schützen, sondern sie hat eher den Eindruck, dass die Polizei da ist, um sie zu verdächtigen”, sagte Sylvie Nantcha, Initiatorin und Bundesvorsitzende von „The African Network of Germany” der Deutschen Welle.

Mit der Absage der Studie werden die Erfahrungen der Betroffenen klein geredet. Da Racial Profiling verboten ist, kann es das nicht geben, so Seehofers Argument. Es gibt keine rassistischen Strukturen innerhalb der Polizei, also braucht es keine Untersuchung, so die Devise des Polizeigewerkschaftlers Jörg Radek . Rassistisches Verhalten von Beamtinnen und Beamten erfasst die Polizei nicht. So lange es keine unabhängige Untersuchung gibt, die rassistische Denkmuster innerhalb der Polizei belegt oder widerlegt, bleiben also nur die Erfahrungsberichte der Betroffenen.

Die Forderung nach einer Auseinandersetzung mit Rassismus bei der Polizei ist dabei nicht neu: Die Vereinten Nationen und der Europarat fordern die Deutschen schon seit Jahren dazu auf, unabhängige Beschwerdemechanismen gegenüber der Polizei einzurichten, damit die „Einzelfälle“ gesammelt werden können. In anderen Ländern ist dies längst üblich.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Während Jörg Radek die Rassismus-Vorwürfe gegenüber der Polizei abwehrt, beteuert er gleichzeitig, wie wichtig das Vertrauen der Gesellschaft in seine Behörde sei: „Wir müssen alles unternehmen, dass wir dieses Vertrauen jeden Tag neu rechtfertigen.“ Und wieder hat er im Grunde recht: Eine Berufsgruppe, die das Gewaltmonopol des Staates ausübt, muss ihr Vertrauen rechtfertigen. Dazu gehört aber auch, dass sie mögliches Fehlverhalten untersuchen lässt. Eine wissenschaftliche Untersuchung zu rassistischen Polizeikontrollen könnte dabei ein Anfang sein.

Beitragsbild: Leon Seibert on Unsplash

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